Kriminalgericht Moabit

Die Justizfabrik

Justizpalast in Neo-Barock: das Kriminalgericht Moabit
Justizpalast in Neo-Barock: das Kriminalgericht Moabit © Deutschlandradio Kultur / Frederik Rother
Von Frederik Rother · 09.05.2016
Der Prozess gegen Ex-DDR-Staatschef Erich Honecker wurde hier verhandelt, auch das Verfahren gegen den Kaufhauserpresser Dagobert: Das Kriminalgericht Moabit gilt als eine "Justizfabrik", in der Urteile am laufenden Band fallen. Mehr als 2000 Menschen arbeiten in dem Berliner Gericht.
Am Eingang ist viel los an diesem Morgen. Ich stehe zusammen mit anderen Besuchern vor der Sicherheitskontrolle und lege Handy, Geldbörse und meinen Rucksack in die Plastikkiste. Dann wird alles durchleuchtet - wie am Flughafen.
Die riesige Eingangshalle des neo-barocken Gerichtsgebäudes ist überwältigend. In alle Richtungen gehen lange Gänge ab, breite Treppen führen auf die nächsten Ebenen und zu den mehr als 20 Gerichtssälen. Vor gut 100 Jahren wurde das Kriminalgericht Moabit gebaut, errichtet – ein "Justizpalast" der, die "Erhabenheit des Rechts" deutlich machen soll.

Saal 537: Schwerer Raub

Ich gehe als erstes zu Saal 537. Schwerer Raub steht hier auf Tagesordnung. Gerade wird ein Zeuge gehört und die Anwältin des Angeklagten löchert ihn mit Fragen.
In der Prozesspause spreche ich mit dem Mann: Wie fühlt man sich eigentlich im Zeugenstand, vor dem Richter und dem Angeklagten?
"Aufgrund der Tatsache, dass ich sämtliche Fernsehsendungen über Gerichtstermine gucke, ja, im Prinzip so, wie man das aus dem Fernsehen kennt. Ich bin ja nicht als Angeklagter, sondern als Zeuge hier und sehe das eher entspannt."
Vor dem Saal sitzt auch Frank W.. Der ehemalige Profiboxer wurde von dem Angeklagten brutal überfallen und beraubt. Jetzt ist er zum ersten Verhandlungstermin gekommen, aufgeregt ist er bisher nicht.
"Wie gesagt, aufgeregt… Ich weiß die Wahrheit und wenn man sie mir verdrehen will, kann es sein, dass ich ein bisschen aufgeregt werde."
Frank W. wirkt ruhig vor der Verhandlung. Er wartet darauf, aussagen zu können.
"Und ich werde in der Sache auch nichts mehr hinzuerfinden, sage ich mal, sondern so sagen, wie es ist und eigentlich auch festgestellt wurde. Bin ja auch operiert worden, sechseinhalb Stunden."
Nasenbeinwurzelbruch und Mittelgesichtsfraktur - das sind einige der Verletzungen, mit denen Frank W. zu kämpfen hatte. Jetzt hofft er auf Schmerzensgeld.
Auf den Fluren des Kriminalgerichtes herrscht reger Betrieb: Justizbeamte schieben Aktenwagen durch die Gänge, Anwälte und Angeklagte besprechen sich, Zeugen sitzen vor den Sälen und warten. Ich bin zum ersten Mal hier und es ist schwierig, sich zurechtzufinden.

"Im Prinzip könnte mir auch so eine schlimme Tat passieren."

Ulf Morling ist das Haus sehr vertraut. Er ist seit gut 15 Jahren Gerichtsreporter und kennt Wachtmeister, Richter und Staatsanwälte gut. Auch er beobachtet den Prozess um Frank W., um darüber zu berichten. Was reizt ihn an seiner Arbeit?
"Dass es hier eigentlich um Wahrheit geht, dass es hier um ganz existenzielle Dinge geht, Mord, Totschlag oder auch Fahrradklau, egal. Und es geht hier mehr um Schicksale als in der Politik, viel unmittelbarer. Deswegen reizt mich das hier viel mehr als irgendetwas anderes, was man als Journalist tun kann."
Er glaubt: Die meisten Menschen draußen wollen wissen, was in den Gerichten passiert, wie mit Kriminalität - von der man fast jeden Tag hört und liest - hier umgegangen wird. Dabei will er zeigen, was für Menschen vor Gericht stehen:
"Das sind eben nicht die Bestien, die oft auch in den Medien so geschildert werden, sondern es sind Menschen wie du und ich, die halt irgendwann eine schlimme Tat begehen. Und wenn man mit Kollegen spricht, die auch tagtäglich hier sind, kann man nur sagen, jeder sagt relativ demütig, im Prinzip könnte mir auch so eine ganz schlimme Tat passieren."
Das menschliche Leid hinter diesen Taten berührt ihn zwar. Aber:
"Das ist die Realität und ich denke, man braucht eine relativ stabile psychische Gesundheit oder eine Familie, die man im Rückhalt hat, dass man das so alles verkraften kann."
Das Kriminalgericht Moabit gilt als "Justizfabrik". Mehr als 2000 Menschen arbeiten hier: Richter, Wachtmeister, Justizfachangestellte. Jeden Tag kommen noch circa 1000 Besucher hinzu, etwa als Zeugen oder Zuschauer.

Saal 500: Abrechnungsbetrug

Nach einigen Minuten Fußweg finde ich Saal 500. Hier ist heute der erste Verhandlungstag in einem Prozess gegen mehrere Berliner Ärzte angesetzt. Ihnen wird gemeinsamer Abrechnungsbetrug vorgeworfen. Es geht um einen Schaden von 14 Millionen Euro. Ich bin nicht der einzige, der sich dafür interessiert.
Der holzvertäfelte Saal ist fast voll: Hinten sitzen Besucher, vorne die Richter und Schöffen. Rechts und links davon sehe ich die angeklagten Ärzte, jeder umgeben von mehreren Anwälten - vor Gericht kämpft jeder für sich allein.
Gerade verliest die Staatsanwältin die Anklage. Das dauert eine Stunde. Claus Brendl hat zugehört und urteilt fachmännisch:
"Die Anklage wurde sehr gut vorgetragen, aber sie werden ja selber gemerkt haben, das war nicht alles umfangreich zu verstehen."
Brendl - der seinen richtigen Namen nicht im Radio hören möchte - hat schon viele Gerichtsprozesse verfolgt: Er war selbst zehn Jahre lang Schöffe. Inzwischen ist er im Ruhestand. Aber zu Prozessen und Gerichtsverhandlungen kommt er immer noch gerne.

Gerichtsverhandlungen beobachten als Hobby

"Weil mich das interessiert, einmal rein aus zivilrechtlichen Gründen, muss ich sagen. Warum gucke ich gerne ein Krimi, warum gehe ich hierher? Wenn mich eine Thematik interessiert, dann bin ich auch hier vor Ort." – "Und ist das ein bisschen Ihr Hobby?" – "Ja, auch mein Hobby mit."
Manchmal geht er einfach zur Pressestelle und fragt, welche Verfahren denn gerade stattfinden, was interessant sein könnte. Er kennt immer noch viele Mitarbeiter im Haus. Man grüßt sich.
"Ja, das ist ein Anwalt hier, der hier also die Rockerprozesse macht. Über zehn Jahre bin ich dabei."
Der Rockerprozess gegen drei Hells-Angels-Mitglieder, der im März mit einem Freispruch endete, reiht sich ein in eine Reihe großer und viel beachteter Verfahren, die hier durchgeführt wurden. Der Prozess gegen den ehemaligen DDR-Staatschef Erich Honecker wurde im Kriminalgericht Moabit abgehalten, genauso wie das Verfahren gegen den Kaufhauserpresser "Dagobert".
Derzeit sorgen vor allem die Verfahren gegen mutmaßliche Islamisten für Schlagzeilen. Ich treffe Bernhard Falk. Er unterstützt diese Angeklagten und besucht in ganz Deutschland ihre Verfahren. Falk war mal Linksterrorist und saß wegen mehrerer Mordversuche im Gefängnis. Jetzt ist er Muslim und will den "politischen Gefangenen" - wie er seine Glaubensbrüder nennt - helfen.
"Es ist ja auch selbst nach deutschem Recht nicht vorgesehen, den Gefangenen zu vernichten, sondern: Der Gefangene soll ja entlassen und in die Gesellschaft wieder aufgenommen werden."
Die vermeintliche "Vernichtung" in der Haft will er verhindern. Das sei seine Aufgabe und seine Pflicht als Muslim, erzählt er mir.
Am Ende des Tages stehe ich wieder in der gigantischen Eingangshalle. Es ist ruhiger als am Vormittag. Die meisten Verhandlungen sind für heute beendet. Auch ich lasse die "Erhabenheit des Rechts" hinter mir, mache die schwere, große Tür zur Straße auf und merke - die frische Luft in Freiheit tut gut.
Mehr zum Thema