Kriminalexperte: Prostitution unter 21 Jahren verbieten

Manfred Paulus im Gespräch mit Gabi Wuttke · 18.12.2012
Die meisten Opfer des Frauenhandels in Deutschland seien jünger als 21 Jahre, sagte Kriminalhauptkomissar a.D. und Buchautor Manfred Paulus. Dieser Handel boome, und die Polizei könne mit dem derzeitigen Prostitutionsgesetz kriminelle Machenschaften kaum aufdecken.
Gabi Wuttke: Bis zu 90.000 Euro im Jahr dazuverdienen, das will die Mehrheit im Stadtrat von Dietzenbach in Hessen. Sie wollen wissen wie? Ganz einfach, durch die Extrabesteuerung von sexuellen Dienstleistungen aller Art in den entsprechenden Etablissements. Ein bemerkenswerter Beschluss, nicht nur, weil Prostituierte vor zehn Jahren per Bundesgesetz zu Dienstleisterinnen wurden. Manfred Paulus beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Prostitution. Nachdem er als Ulmer Kriminalhauptkommissar in Pension gegangen ist, schrieb er das Buch "Frauenhandel und Zwangsprostitution – Tatort Europa". Einen schönen guten Morgen, Herr Paulus!

Manfred Paulus: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Wer wird in Dietzenbach oder womöglich außerhalb von Dietzenbach Ihrer Ansicht nach letztlich für so eine Steuer bezahlen?

Paulus: Auch für die Steuer bezahlen im Milieu sicher nicht die Ausbeuter, sondern eher die Ausgebeuteten, also die Frauen, die möglicherweise in der Prostitutionsfalle stecken.

Wuttke: Das heißt, die Kritiker des Dietzenbacher Beschlusses haben recht, wenn sie sagen, diese Steuer würde Prostituierte verstärkt in die Illegalität verdrängen?

Paulus: Ja, oder sie werden eben mehr ausgebeutet. Ich kenne die Verhältnisse in Dietzenbach natürlich nicht, aber ich kenne diese Milieus, und ich kenne die Vorgänge in diesen Milieus, und da ist es einfach so, dass der Schwächere dann solche Zechen zu bezahlen hat.

Wuttke: Wenn eine Stadt mit 33.000 Einwohnern sich so viel Mehreinnahmen in einem Jahr verspricht, kann man aber ganz generell sagen, Herr Paulus, das Geschäft der Prostitution blüht?

Paulus: Das blüht mit Sicherheit. Wir gehen momentan davon aus, dass in der Bundesrepublik Tagesumsätze von weit über einer Million erzielt werden, und diese Milieus haben mit Sicherheit auch mit die geringste Steuermoral, also ganz unberechtigt ist das, was hier erhoben wird, sicher nicht. Das ist aber auch nicht neu: Die Finanzbehörden und Oberfinanzbehörden, die winden sich seit vielen Jahren, und einmal soll auf diese, auf die andere Weise, will man an die Steuertöpfe herankommen. Auf der anderen Seite ist das ganze dann wieder zu schmutzig, die Gelder, und dieser Kampf, der geht ja schon seit vielen Jahren.

Wuttke: Vor zehn Jahren ist in Deutschland per Bundesgesetz das Prostituiertengesetz in Kraft getreten. Wie beurteilen Sie das jetzt im Jahre 2012, gibt es überhaupt Statistiken, wie viele Frauen ihre Rechte vertraglich mit Zuhältern regeln, und damit dann – das war ja das Ansinnen des Gesetzes – besser geschützt sind?

Paulus: Also nach meiner tiefen Überzeugung kam dieses Gesetz in den Milieus, in denen die Frauen arbeiten, nie an. Das war auch gar nicht anders zu erwarten, weil in diesen Milieus, da gelten nicht unsere Gesetze, die wir machen, die wir kennen, sondern da gelten nur die Milieugesetze, die man sich dort selber gibt. Deshalb kam das nie an, ich kenne keine Frau, die sich inzwischen kranken- und sozialversichert hat, das Ganze hat also seine Zielrichtung total verfehlt, das war für mich aber nicht anders zu erwarten.

Wuttke: Wie lauten denn die Milieugesetze?

Paulus: Die Milieus haben eigene Gesetze, nicht nur eigene Gesetze, auch eigene Ermittler, eigene Richter, wenn Sie so wollen, eigene Henker. Das sind Subkulturen mit völlig eigenen Wertvorstellungen, die unsere Gesetze nur dann zur Kenntnis nehmen, wenn sie für das jeweilige Milieu nützlich sind, und die größte Verfehlung in diesen Milieus ist der Verrat – zum Beispiel zu sagen, ich gehe nicht freiwillig der Prostitution nach, das wäre Verrat.

Wuttke: Das heißt aber auf der anderen Seite auch, dass das Prostitutionsgesetz in Deutschland nicht der Grund ist, weshalb es so hohe Zahlen von Prostituierten vor allem aus Ost- und Südosteuropa gibt.

Paulus: Nein, die waren auch vorher schon da in weiten Teilen. Die nehmen zwar immer noch zu, das hat sicher Auswirkungen auch, die vom Prostitutionsgesetz herrühren, die Sache ist möglicherweise dadurch noch einfacher geworden, weil durch dieses Gesetz eben die Kontrollmöglichkeiten geringer wurden, weil soziale Kontrollen zurückgefahren werden mussten, und deshalb werden auch gewisse Viktimisierungs-Prozesse, gewisse Opfer, gewisse Straftaten, einfach nicht mehr so viel entdeckt. Wir haben heute nicht allzu viele Anzeigen mehr in der Republik wegen Zuhälterei. Da sehe ich schon Zusammenhänge, und dieser Frauenhandel, vor allem von Ost-, Südost- nach Westeuropa, der boomt, das ist für mich keine Frage.

Wuttke: Würden Sie so weit gehen zu sagen, dass das Prostituiertengesetz vor allem die Zuhälter und auch die Frauenhändler schützt?

Paulus: Ich habe dieses Gesetz schon als Zuhälterschutzgesetz bezeichnet, weil ich gewaltige Nachteile einfach sehe. Da wurde im Zusammenhang mit dieser Gesetzgebung zum Beispiel die Förderung der Prostitution aufgehoben, der Tatbestand, das war immer ein Ermittlungstatbestand, der uns die Türen geöffnet hat. Die Polizei hat mehr oder weniger inzwischen Schwierigkeiten, solche Kontrollen vorzunehmen, und das führt natürlich nicht zur Aufdeckung von Kriminalität. Im Übrigen ist die Szene natürlich auch immer geschickter geworden. Wir haben es heute mit Strukturen zu tun, die zum Teil in Richtung organisierte Kriminalität hingehen. Wir haben Gruppierungen inzwischen aus aller Welt, die sich im Milieu tummeln, und das alles macht es nicht einfach.

Wuttke: Was würden Sie denn also nicht nur den Dietzenbacher Politikern ins Stammbuch schreiben?

Paulus: Ich würde auf Bundesebene ganz bestimmte Dinge einmal vornehmen. Zum einen haben wir dieses Problem des Menschenhandels, und wir wissen auch – bei aller Skepsis gegenüber Statistiken, die auf diesem Feld gemacht werden –, wir wissen auch, die allermeisten Opfer des Frauenhandels ins Milieu, die sind unter 21 Jahre alt. Also warum verbieten wir nicht einfach die Prostitution unter 21 Jahren. Ich wäre für eine Wiedereinführung dieses Geschlechtskrankheitengesetzes im Zeitalter von Aids, auch deshalb, weil dadurch Kontrollen stattfinden können, soziale Kontakte zur Polizei, zur Allgemeinheit entstehen, wo dann Opferrollen erkannt werden können, Verbrechen aufgeklärt, aufgedeckt werden können. Das alles hat es erschwert. Ich würde auch eine polizeiliche Anmeldung vorschlagen, zum Schutz dieser Frauen vor Ausbeutung, vor Abgleiten in die Illegalität und in die Dunkelheit. Ich würde – und damit ließe sich auch die steuerliche Problematik klären – ich würde Prostitution nur als selbstständige, vollkommen selbstständige Tätigkeit erlauben, und damit gleich die Steuerfrage verbinden. Das alles wäre zum Schutz der Frauen, weil die Polizei hier Daten oder Ähnliches haben will.

Wuttke: Aber das, was Sie vorschlagen, ist ja das, was es bereits in der Bundesrepublik gab, aber natürlich noch zu Zeiten, die älter sind als die Republik, und ein moralisches Verständnis hatten, mit dem sich natürlich dann Prostituierte nicht nur verfolgt, sondern auch durchleuchtet und kontrolliert fühlten.

Paulus: Nein, das glaube ich sicher nicht. Wissen Sie, was hier so aus dem Munde von Prostituierten kommt, da höre ich immer im Hintergrund niemand anders als die Profiteure sprechen, und die Prostituierten sind häufig nur das Sprachrohr von Leuten, die eben mit ihnen Geld verdienen. Die Prostituierten – das dürfen Sie mir glauben – die wären in einer großen Masse, wären sie sehr, sehr froh. Sie hätten diese Kontakte, sie hätten hier Rettungsanker, wo sie wissen, ich habe da jemand, mit dem ich über Probleme sprechen kann, das ist genau das, was häufig fehlt.

Wuttke: Sagt Manfred Paulus, Kriminalhauptkommissar a. D. im Deutschlandradio Kultur zu den Konsequenzen des deutschen Prostitutionsgesetzes und dem politischen Beschluss, durch Sex-Arbeit mehr Steuern einzunehmen. Herr Paulus, ich danke Ihnen sehr, schönen Tag!

Paulus: Bitte schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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