Krim-Krise

Putins Parallelen zu Mussolini

Wladimir Putin und Dimitri Medwedjew nehmen an der Feier auf dem Roten Platz in Moskau teil.
Wladimir Putin und Dimitri Medwedjew nehmen an der Feier auf dem Roten Platz in Moskau teil. © picture alliance / dpa / Michael Klimentyev
Moderation: Marietta Schwarz · 09.05.2014
Bei der traditionellen Militärparade zur Feier des Sieges über Nazi-Deutschland präsentiert Russland seine militärische Leistungskraft. In der Inszenierung sieht der Historiker Stefan Plaggenborg faschistische Züge.
Marietta Schwarz: Der heutige 9. Mai ist der Tag, an dem sich Russland traditionell des Sieges über Hitler-Deutschland gedenkt, ein Tag, an dem die Führung in Moskau sich ihrer eigenen Potenz rückversichert, vor allem der militärischen. Dass in diesem Jahr nicht nur in Moskau, sondern auch auf der frisch annektierten Krim eine Militärparade stattfindet, ist eine wohl kalkulierte Provokation gegenüber der Ukraine, aber auch der gesamten westlichen Welt.
Der Zustimmung unter der Mehrheit der Russen kann sich Wladimir Putin dabei sicher sein, egal ob er nun in Sewastopol persönlich anwesend ist oder nicht. Denn das hat er sich bislang noch offengelassen. Der Osteuropahistoriker Stefan Plaggenborg hat uns im Vorgespräch bereits gesagt, er erwarte eine Parade im Stil altsowjetischer Tradition. Herr Plaggenborg, erst mal guten Morgen!
Stefan Plaggenborg: Guten Morgen!
Schwarz: Wie sieht eine solche Parade nach altsowjetischer Tradition aus? So wie jedes Jahr?
Plaggenborg: Ja, da gibt es in der Tat eine starke Tradition oder Kontinuität. Meistens finden die, oder eigentlich immer, ja auf dem Roten Platz statt, und das ist eine Waffenschau der also zu Sowjetzeiten Sowjetarmee, und nun dürfen wir erwarten, dass es eine Waffenschau der heutigen russischen Armee ist, bei der also die einzelnen Waffengattungen über den Roten Platz marschieren, einschließlich der Luftwaffe, die über ihn hinwegfliegt, in Anwesenheit sehr wichtiger Persönlichkeiten des Staates, und zum Ausdruck bringt, welche militärische Leistungskraft damals die Sowjetunion, heute Russland besitzt.
"Dass an der Annexion nicht mehr gerüttelt werden kann"
Schwarz: Wie wichtig ist dabei Putins Anwesenheit in Sewastopol, sage ich jetzt mal? Es gibt ja zwei Paraden.
Plaggenborg: Das ist natürlich ein Zeichen, so wie Sie gerade auch schon gesagt haben, dass nach der Annexion der Krim gar keine Chance bestehen soll, überhaupt noch über die Zugehörigkeit der Krim zu verhandeln. Und wenn ein solches Signal gesendet wird im Zusammenhang einer Militärparade, dann darf man das ganz sicher so interpretieren, dass die Annexion der Krim ein Fait accompli ist und daran nicht mehr gerüttelt werden kann.
Schwarz: Nun sind solche Militärparaden, Herr Plaggenborg, in autoritären Systemen ja weit verbreitet und immer, immer eine wohl durchdachte Inszenierung. Interessant ist ja eher, dass Putin sich der Fans sicher sein kann, und das im Russland des 21. Jahrhunderts. Woran liegt das?
Plaggenborg: Das liegt ganz sicherlich daran, dass er oder Russland die Krim annektiert hat und damit ein patriotisches, nationales, wenn nicht gar nationalistisches Gefühl bedient, dass sehr, sehr viele Russen vereinnahmt hat und sogar so weit geht, dass Teile der Opposition, die sich ja im vergangenen Jahr noch deutlich bemerkbar gemacht hat, mittlerweile auf die Seite Putins übergeschwenkt ist, weil sie das aus patriotischen und nationalen Gründen für einen glorreichen Akt russischer Geschichte hält, nämlich die Heimholung der Krim nach Russland.
Faschistische Züge?
Schwarz: Sie gehen ja so weit, dass Sie sagen, das System Putin trage faschistische Züge, woran man sich eigentlich erst mal reiben kann, denn in der Tat feiern die Russen ja heute genau den Sieg gegen die Faschisten. Also was genau meinen Sie damit?
Plaggenborg: Ja, es ist in der Tat richtig, dass der Sieg über den Faschismus gefeiert wird, und das ist auch richtig, dass das gemacht wird. Das geschieht ja übrigens nicht nur in Russland, sondern auch in anderen Gebieten Europas, wie wir ja wissen, und dazu gibt es genügend Anlass vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges, der in Osteuropa auch auf dem Territorium der Sowjetunion geführt wurde. Ich glaube, das muss man deutlich erst einmal sehen.
Man muss sich andererseits aber auch klarmachen, welchen Wandel das Regime in der Zeit Putins, ganz besonders in seiner zweiten Präsidentschaft durchgemacht hat. Und wenn ich sage oder geschrieben habe, dass es Anklänge an den Faschismus gibt, dann meine ich damit erstens gar nicht, dass es der Nationalsozialismus ist, weil damit falsche Assoziationen geweckt würden, sondern eine historische Situation entsteht, die vergleichbar sein könnte mit dem italienischen Faschismus, der also diese Radikalisierung des Nationalsozialismus nicht kennt. Aber da finden wir dann doch einige bemerkenswerte Ähnlichkeiten, die zum Beispiel sich ganz deutlich äußern in der Inszenierung Putins.
Schwarz: Zum Beispiel? Gibt es Parallelen Putins, auf dem Bären reitend, zu Mussolini?
Plaggenborg: Ganz eindeutig. Also, wenn man das faschistische Bildprogramm des italienischen Faschismus sich anschaut und das Duce-Bildprogramm, dann kann man feststellen, dass da ganz starke Ähnlichkeiten bestehen. Da geht es um Führerschaft, um Stärke und um Virilität, und das ist das, was Mussolini damals ikonografisch verkörpert hat, und das findet man kurioserweise heute in der Putin-Ikonografie ebenfalls wieder.
"Solche Inszenierungen haben immer eine bestimmte Funktion"
Schwarz: Jetzt wäre ja mal spannend zu fragen, ob dieser Wladimir Putin diese Inszenierung für sein Volk macht, ob er bewusst Allmachtsfantasien bei den Russen weckt oder ob er sie selbst verfolgt!
Plaggenborg: Nein, ich glaube, das ist gar nicht der entscheidende Punkt, sondern solche Inszenierungen haben ja immer eine bestimmte Funktion. Und die steht im Zusammenhang mit einer zerrissenen Gesellschaft in Russland. Wir wissen ja aus den Ereignissen der letzten zwei, drei Jahre, dass es tiefe Gräben in der russischen Gesellschaft gibt, und die werden überbrückt durch Aktionen, wie sie jetzt in der jüngsten Zeit passiert sind. Also die Annexion der Krim, das, was wir vorhin schon besprochen haben, und ganz besonders durch die Inszenierung Putins als Führer, weil es ihm damit gelingt, eine Einheitlichkeit der Nation zumindest nach außen zu repräsentieren.
Und diese inszenatorischen Mittel dienen eigentlich dazu, Kit in eine zerrissene Gesellschaft hineinzubringen, damit sie besser zusammenhält. Und ich habe den Eindruck, dass das funktioniert, im Moment jedenfalls.
Schwarz: Warum ist diese Gesellschaft so zerrissen? Sie haben es selbst bereits erwähnt, in seinen ersten Regierungsjahren hat Putin ja ganz anders agiert, einen ganz anderen Politikstil gepflegt!
"Mehr oder weniger geschlossen hinter Putin"
Plaggenborg: Ja, das ist die Geschichte der 90er-Jahre und ihrer Folgen, als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die russische Gesellschaft in einen Strudel geraten ist von sozialem und ökonomischem Abstieg und in dieser Situation sich die Gesellschaft völlig auseinandergeteilt hat mit einem hohen Anteil an armer Bevölkerung, der immer noch nicht verschwunden ist übrigens, einem Anteil der älteren Bevölkerung, bei den Rentnern, die in einer sehr schlechten sozialen Lage sich befinden, und auf der anderen Seite einem wild drehenden Kapitalismus, der in den Oligarchen seine Repräsentation findet.
Und da ist die Gesellschaft ganz stark auseinandergedriftet, und die muss nun wieder zusammengeführt werden, weil sich auch etwa in den letzten zwei Jahren gezeigt hat, dass ja neue Protestformen, teilweise sogar sehr zahlreich besucht bei Demonstrationen oder anderen Anlässen in Moskau, aufgetreten sind, die scheinbar nicht mehr beherrschbar waren. Und nun hat die ganze Aktion der jüngeren Zeit einschließlich der Inszenierung Putins dazu geführt, dass die Opposition zumindest im Moment mundtot ist. Russland steht mehr oder weniger geschlossen hinter Putin und er hat ein hohes Maß an Zustimmung erhalten, so hoch, wie er es vorher nie gehabt hat.
Schwarz: Der Osteuropa-Historiker Stefan Plaggenborg zur heutigen Militärparade in Moskau und der in Sewastopol. Danke Ihnen, Herr Plaggenborg, für das Gespräch!
Plaggenborg: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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