Krim-Krise

    EU-Sondergipfel berät über Sanktionen

    Bundeskanzlerin Angel Merkel beim EU-Sondergipfel zur Krim-Krise in Brüssel
    Bundeskanzlerin Angel Merkel beim EU-Sondergipfel zur Krim-Krise in Brüssel © dpa / Olivier Hoslet
    06.03.2014
    Auf der Krim scheinen pro-russische Kräfte die Oberhand zu gewinnen. Das Parlament stimmte für einen Anschluss an Russland. Unterdessen berät die EU auf einem Sondergipfel über Sanktionen. Die USA reagierten derweil mit Visa-Beschränkungen gegen russische Bürger, die die Sicherheit der Ukraine gefährden.
    Wie staatliche russische Nachrichtenagenturen am Donnerstag meldeten, hat das Parlament der Krim für einen Anschluss an Russland gestimmt. Dies gehe aus einer Mitteilung von Rustam Temirgalijew hevor, dem Vize-Regierungschef der Krim. Außerdem habe das Parlament die Volksabstimmung über den künftigen Status der Krim auf den 16. März vorgezogen, berichtet Deutschlandradio-Korrespondentin Gesine Dornblüth aus Moskau. Ursprünglich sollte sie Ende Mai stattfinden, war aber schon einmal auf den 30. März vorverlegt worden.

    Die Bewohner der Halbinsel im Schwarzen Meer sollen im Rahmen des Referendums darüber entscheiden, ob die Autonome Republik Krim im Staatsverband der Ukraine bleibt oder sich künftig Russland anschließt. Gleichzeitig bat das Parlament Russlands Präsident Wladimir Putin, eine Aufnahme der Krim in die Russische Föderation zu prüfen.
    Vereinigte Staaten verfügen erste Sanktionen gegen Russland

    Unterdessen haben die USA am Donnerstag erste Sanktionen gegen Russland erlassen. US-Präsident Barack Obama verfügte, dass die Vermögen von Personen derjenigen eingefroren werden sollen, die direkt oder indirekt die ukrainische Sicherheit, Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit bedrohten. Namen wurden nicht genannt.

    Außerdem wurde Visa-Beschränkungen für russische Staatsbürger und Krimbewohner erlassen. Die Beschränkungen würden für eine Reihe von Regierungsbeamten und Personen gelten, die für "die Bedrohung des demokratischen Prozesses" in der Ukraine verantwortlich seien, hieß es in einer Mitteilung des Weißen Hauses.
    US-Präsident Barack Obama
    US-Präsident Barack Obama© picture alliance / Photoshot
    Russland reagierte verärgert auf die bereits verhängten bzw. noch drohenden Sanktionen der USA und der EU, berichtet Gesine Dornblüth. Man sei befremdet über die Absicht der EU, die Verhandlungen mit Russland über Visaerleichterungen wegen der Ukraine unter Umständen auszusetzen, sagte Alexander Lukaschewitsch, Sprecher des Außenministeriums: "Ganz offensichtlich widerspricht dieser destruktive und unbegründete Ansatz den bestehenden Vereinbarungen zwischen Russland und der EU. Wir setzen darauf, dass unsere Partner letztlich von diesem Schritt absehen. Er entspricht weder den Interessen der Bürger Russlands, noch der Bürger der EU."

    Moskautreue Kräfte verweigern OSZE-Beobachtern den Zugang zur Krim

    Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurde am Donnerstag der Zugang zur Krim verwehrt. Moskautreue "Selbstverteidigungskräfte" hätten die internationale Expertengruppe an einem Kontrollposten im Nordwesten der Krim abgewiesen. Dies berichteten westliche Diplomaten in Wien. Die Beobachter befänden sich nun auf dem Weg zu einem anderen Posten.
    Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte scharfe Kritik an der OSZE-Mission geäußert. Das Vorgehen trage nicht dazu bei, eine Atmosphäre des Dialogs und konstruktiver Zusammenarbeit zu schaffen. Die OSZE hatte am Mittwoch 35 unbewaffnete Militärbeobachter in die südukrainische Hafenstadt Odessa geschickt. Ihr gehören auch zwei Bundeswehr-Soldaten an. Sie sollen prüfen, ob Russland in der Ukraine militärisch aktiv ist.
    Merkel wiederholt Drohung gegen Russland
    Zur gleichen Zeit laufen in Brüssel die diplomatischen Bemühungen um eine Beilegung der Krise auf Hochtouren. Die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten sind zu einem Sondergipfel zusammen gekommen, um über die Lage in der Ukraine und über Sanktionen gegen Russland zu beraten. Der Konflikt hatte sich gestern verschärft, nachdem die Bildung einer Kontaktgruppe am russischen Widerstand gescheitert war.

    Wie Annette Riedel, Korrespondentin des Deutschlandradios, aus Brüssel berichtet, haben sich aber auch die EU-Staaten bisher nicht auf ein einheitliches Vorgehen gegen Russland verständigen können. So würden die früheren Ostblock-Staaten wie Polen, Tschechien oder die baltischen Länder ein deutlich robusteres Vorgehen fordern als die westlichen EU-Staaten, berichtet Riedel.

    Zwar drohte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Russland erneut mit Sanktionen, doch der dabei angeschlagene Tonfall war relativ zurückhaltend: "Ob sie in Kraft gesetzt werden müssen oder nicht, werden wir entscheiden auch in Abhängigkeit davon, wie weit die diplomatischen Prozesse vorankommen", sagte Merkel. Dazu verwies sie auf ein gleichzeitig anstehendes Treffen mehrerer EU-Außenminister in Rom. "Der Tag wird noch zeigen, in welcher Weise wir hier vorgehen", sagtte die Kanzlerin. Zum Auftakt ihres Gipfels hatten sich die Staats- und Regierungschefs mit dem ukrainischen Übergangsregierungschef Arseni Jazenjuk getroffen. Dieser warf Russland vor, die Spannungen auf der Krim weiter zu verschärfen und forderte Russland auf, auf die Vermittlungsbemühungen der EU einzugehen.

    In den USA hat sich Angela Merkel mit ihrem Krisen-Management bisher großes Ansehen erworben. Außenpolitische Experten trauen der Bundeskanzlerin eher als Präsident Obama zu, die Krise in den Griff zu bekommen, berichtet ARD-Korrespondent Martin Ganslmeier aus Washington, So beklage Steven Cohen, Russland-Experte von der Columbia-University, dass das 90-minütige Telefonat von Obama und Putin am vergangenen Wochenende das Verhältnis der beiden Präsidenten weiter verschlechtert habe. US-Außenminister John Kerry und Obama sollten die deutsche Bundeskanzlerin anflehen, weiter mit Putin zu reden, weil Angela Merkel die einzige sei, der Putin vertraue, sagte Cohen. Und CNN-Starreporterin Christiane Amanpour ist der Meinung: "The most important person I think in this is Angela Merkel."
    Bundeskanzlerin Angela Merkel
    Bundeskanzlerin Angela Merkel© picture alliance / dpa / Olivier Hoslet
    Bundeswirtschaftsminister Gabriel befürchtet Rückfall in den Kalten Krieg

    Unterdessen ist Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in Moskau mit Russlands Präsident Putin zusammengetroffen. Die Reise des Vizekanzlers war bereits länger geplant und sollte in erster Linie der Intensivierung der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen dienen - nun steht der Besuch des Vizekanzlers ganz im Zeichen der Krim-Krise.
    Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) wird am 06.03.2014 auf dem Moskauer Flughafen Vnukovo-3 vom Vertreter der Deutschen Botschaft, Georg Birgelen (r), begrüßt. Neben Wirtschaftsgesprächen ist eine Begegnung mit Präsident Wladimir Putin in dessen Residenz bei Moskau geplant.
    Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu Besuch in Moskau© dpa / Tim Braune
    Das Treffen mit Putin dauerte laut Agenturangaben ungefähr eine Stunde und fand in Putins Residenz in Nowo-Ogarjowo in der Nähe von Moskau statt. Für kurze Zeit soll auch Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew am Gespräch teilgenommen haben. Konkrete Inhalte des Treffens wurden nicht bekannt. Immerhin scheinen sich beide Seiten wohl einig darin gewesen zu sein, dass eine weitere Eskalation vermieden werden muss - umso enttäuschter reagierte Gabriel, als er hörte, dass das moskautreue Krim-Parlament das Referendum über den künftigen Status der ukrainischen Halbinsel vorziehen will. Wenn "immer neue Provokationen stattfinden", so Gabriel nach dem Treffen mit Putin, schließe sich irgendwann das "Zeitfenster". Warnend fügte Gabriel hinzu: "Wir sind kurz davor, Europa zurückzuwerfen in die Zeiten des Kalten Krieges."

    Auf dem Flug nach Moskau hatte Gabriel vor einer weiteren Eskalation gewarnt und die Notwendigkeit einer internationalen Kontaktgruppe unter Einbeziehung Russlands und der Ukraine gefordert: "Wir brauchen die Kontaktgruppe. Wir müssen den Konflikt beherrschbar halten und eine weitere Eskalation vermeiden", sagte der SPD-Politiker auf dem Flug nach Moskau.

    Gabriel dürfte in Moskau auch die Sorgen der deutschen Wirtschaft ansprechen. Rund 6.200 deutsche Firmen haben laut Angaben des Industrieverbandes BDI etwa 20 Milliarden Euro in Russland investiert. In Deutschland hängen vom Russlandgeschäft rund 300.000 Jobs ab. Würde Moskau Konten ausländischer Konzerne einfrieren oder Betriebe konfiszieren, könnten westliche Investoren viel Geld verlieren.
    EU will Finanzhilfen in Höhe von elf Milliarden Euro verabschieden
    Bei ihrem Sondergipfel wollen die EU-Staats- und Regierungschefs auch Finanzhilfen beschließen, um einen wirtschaftlichen Kollaps der Ukraine zu verhindern. Laut einem Vorschlag der EU-Kommission geht es um rund elf Milliarden Euro. Außerdem will der Sondergipfel auch über Sanktionen gegen Russland entscheiden.

    Bereits gestern hatte die EU die Konten des früheren ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und von 17 weiteren Personen gesperrt. Die Liste wurde online im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Die NATO distanzierte sich von Russland und signalisierte, die Beziehungen zur Ukraine weiter zu intensivieren.
    Röttgen für einheitliche Position der EU
    Norbert Röttgen (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, ist der Meinung, dass es in den nächsten Tagen "zu einer einheitlichen, deutlichen Antwort des Westens auf die militärische Aggression Putins" kommen muss. "Dazu gehört reden, aber reden allein ist es nicht, sondern man muss klarmachen, dass die Verweigerung von gemeinsamer Verantwortung durch Russland und das Weitergehen militärischer Aggression auch Konsequenzen haben muss. Ich halte diese Doppelstrategie für unverzichtbar", sagte Röttgen am Donnerstag im Deutschlandradio Kultur.
    Norbert Röttgen, Chef des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag
    Norbert Röttgen, Chef des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag© AP
    Neue Spekulationen um Heckenschützen auf dem Maidan
    Wie Deutschlandradio-Korrespondentin Sabine Adler berichtet, ist in Kiew ein Verdacht aufgetaucht, der die Übergangsregierung der Ukraine in einem völlig neuen und sehr negativen Licht erscheinen lassen könnte. In einem Telefonat mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton habe der estnische Außenminister Urmas Paet am 25. Februar berichtet, dass die Scharfschützen, die zwischen dem 19. und 21. Februar auf dem zentralen Maidan-Platz fast 90 Menschen erschossen haben, keine Berkut-Spezialkräfte der Regierung Janukowitsch gewesen sein sollen, sondern aus den Reihen der Opposition stammten. Die Echtheit des mitgeschnittenen Telefonats wurde vom estnischen Botschafter in Kiew bestätigt.

    Paet beruft sich in dem Gespräch auf Aussagen der Maidan-Ärztin Olga Bogomolez. Ihrer Meinung nach weisen die verwendeten Projektile darauf in, dass Oppositionelle wie auch Regierungsanhänger von denselben Waffen getroffen wurden. Die Übergangsregierung wollte dies bisher nicht kommentieren.
    Mehr zum Thema