Kriegspropaganda

Regelrecht besoffen

Von Bodo Morshäuser · 01.01.2014
Auch Schriftsteller und Intellektuelle hatten offenbar den Frieden satt und beteiligten sich an der Propaganda vor und während des Ersten Weltkriegs. Der Militärhistoriker Klaus-Jürgen Bremm hat entsprechende Texte aus vier Nationen analysiert.
Eine Lehre des 20. Jahrhunderts lautet: Jedes Unrechtsregime findet Intellektuelle, die Krieg oder Diktatur rechtfertigen. Nicht nur während des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegsdiktaturen, sondern schon vor dem Ersten Weltkrieg schreiben sie Propaganda-Verse. Und sie bilden eine geistige Heimatfront. Einige ihrer Namen sind Georg Heym, Gerhart Hauptmann, Richard Dehmel, Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Rudolf Borchardt, Werner Sombart, Max Scheler und Georg Simmel.
Sie sind des über vierzig Jahre währenden Friedens müde, den Georg Heyms folgendermaßen beschreibt:
"Faul, ölig und schmierig wie eine Leimpolitur auf alten Möbeln."
Heym schwärmt, er wolle
"noch mit der Kugel im Herzen den Rausch der Begeisterung spüren".
Rudolf Borchardt schreibt von der "Heiligkeit der deutschen Sache". Oder hören wir Thomas Mann zu:
"Wie hätte der Künstler, der Soldat im Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte."
Auf britischer Seite schreiben für den Krieg Thomas Hardy, "Krieg der Welten"-Autor H.G. Wells, "Sherlock-Holmes"-Autor Arthur Conan Doyle, und der "Dschungelbuch"-Verfasser Rudyard Kipling. Frankreich rüstet auf mit dem Philosophen Henri Bergson. Die USA lassen erfahrene Zeitungsleute an der Desinformation arbeiten.
Der Militärhistoriker Klaus-Jürgen Bremm hat die Kriegspropaganda dieser vier Nationen genau gelesen und herauszufinden versucht, wer überzeugender gelogen hat. Die deutsche Propaganda schneidet am schlechtesten ab. Glaubwürdig die Tatsachen zu verdrehen, ist nicht ihre Sache. Wenn sie es tut, bleibt sie meistens plump.
Das hängt mit den ersten Kriegswochen zusammen. Nach nur zwölfstündigem Ultimatum wird Belgien überfallen, die Stadt Leuven in Schutt und Asche gelegt und die Universität samt Bibliothek niedergebrannt. Die deutsche Behauptung, Bürger der Stadt hätten die Feuer gelegt, wird von niemandem geglaubt und erweist sich als tumbe Lüge. Kurze Zeit später versenkt ein deutsches U-Boot den Ozeanriesen Lusitania mit 1200 Passagieren. Diese Aktion kann niemals begründet werden. Dass auch 120 amerikanische Bürger getötet werden, bringt die eigentlich neutralen USA schon drei Jahre vor ihrem Kriegseintritt gegen die Deutschen auf.
Und auch in der Defensive gibt die deutsche Propaganda ein klägliches Bild ab, konstatiert Bremm:
"Ob es um abgehackte Hände belgischer Kinder ging oder um eine angebliche deutsche Leichenfabrik, als Angreifer und Besatzer stand der preußisch-deutsche Militärstaat von Anfang an im Visier der alliierten Gräuelpublizistik. Eine überzeugende propagandistische Antwort darauf gelang den Deutschen jedoch nie."
Erst Jahre nach dem Krieg räumt die englische Seite ein, dass es sich bei den abgehackten Händen und den Leichenfabriken um gezielte Lügen gehandelt hat.
Auf deutscher Seite ist eine Strategie von Öffentlichkeitsarbeit überhaupt nicht zu erkennen. Hier agiert ein Militärstaat. Bei den Kriegsgegnern handelt es sich um Demokratien. In London, Washington und Paris betraut man Presseleute mit der Propagandaarbeit. Im preußischen Militärstaat versuchen sich Beamte, die keine Ahnung davon haben, welche Geschichten sich in die Köpfe der Leute graben und welche nicht. Sie erzählen pausenlos die falschen Lügen-Geschichten.
Geradezu skurril muten die Propagandaversuche des orientophilen Beamten Max von Oppenheim an. Er bietet islamischen Würdenträgern an, an der Seite des deutschen Reiches einen Heiligen Krieg, einen Dschihad, gegen den Imperialismus der Westmächte, im Besonderen gegen die britischen Kolonialherren aufzuziehen. Und das Ungeschick bleibt den Deutschen treu. So merken sie nicht, dass innerstaatliche Geheimdepeschen von den Engländern abgefangen werden. In der New Yorker U-Bahn gehen sogar Unterlagen verloren, die deutsche Sabotageakte in amerikanischen Rüstungsfirmen belegen.
Das Bild einer Nation, die sich einbildet und anderen vormachen will, eine bedeutendere Kulturnation zu sein als die anderen es sind, die in Wahrheit aber barbarisch handelt, verfestigt sich von Jahr zu Jahr und wird das Bild von den Deutschen noch lange prägen. Auch die Universum Film AG, heute noch bekannt als UFA, wird daran nichts mehr ändern. Ihre Gründung 1917 ist vielleicht die beste Propagandaidee des deutschen Militärstaats, aber sie kommt zu spät, um in diesem Krieg noch Wirkung zu zeigen.
Zum Schluss dieses lehrreichen Buches stellt der Autor Klaus-Jürgen Bremm drei Fragen, die man als rhetorische verstehen darf:
"Mussten die Botschaften der Propaganda wirklich wie ein tückisches Gift in die Hirne und Herzen der Massen geträufelt werden, um den angeblich natürlichen Willen der Menschen zur Wahrheit und Kritik zu zersetzen? Oder traf nicht vielmehr gerade die Propaganda des Ersten Weltkriegs auf ein starkes Bedürfnis des zutiefst verunsicherten modernen Menschen nach Selbstvergewisserung und äußerer Abgrenzung? Schufen nicht Krieg und Propaganda in der verwirrenden Vielfalt einer sich damals schon deutlich anbahnenden globalisierten Welt wieder klare Fronten?"
In diesen drei Fragen verbirgt sich eine der plausiblen Erklärungen dafür, warum große Teile der Völker und ihrer Intellektuellen regelrecht besoffen waren davon, einen Jahrzehnte währenden Frieden zu beenden, um in einen Krieg zu ziehen, der nur Verluste brachte, und mit dem nichts zu gewinnen war.

Klaus-Jürgen Bremm: Propaganda im Ersten Weltkrieg
Konrad Theiss Verlag Stuttgart
188 Seiten, 24,95 Euro

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