Kriegsberichte

Operation ziviles Leben

Von Heike Tauch · 30.03.2014
Ein traumatisierter Ex-Soldat legt seine Wunden frei und gewährt dem Leser bedrückende Einblicke in die Kriegswelt. Die Sammlung von Interviews und Geschichten ist zwar keine große Literatur, aber sie zeigt wie Menschen im Krieg steckenbleiben können und nie wieder zurück ins zivile Leben finden.
Dieses Buch macht nicht fröhlich: "Ein Tag wie ein Leben" mit dem Untertitel "Vom Krieg" ist kein Roman, es ist auch keine große Literatur. Das Buch ist Ausdruck eines Traumas. Des Kriegstraumas des Autors Arkadi Babtschenko, der es sich von der Seele zu schreiben versucht, um gleichzeitig auf verheerende Missstände in Russland aufmerksam zu machen.
Arkadi Babtschenko, 1977 in Moskau geboren, kam mit achtzehn zum Militär, kämpfte im ersten Tschetschienkrieg, kam nach Hause, gründete eine Familie, meldete sich zum zweiten. War Soldat bis 2000.
Warum ziehen vor allem Männer freiwillig in den Krieg? Und überhaupt: Um was ging es im Tschetschenienkrieg - im ersten, im zweiten? Um was ging es im Afghanistan-Krieg? Um was im Irak?
Leser wird in Geschichten hineingeworfen
Es ist, als fände der ehemalige Soldat Arkadi Babtschenko im zivilen Leben keine hinreichenden Antworten. 2008: "Ich ziehe Uniform an und melde mich als Freiwilliger beim dritten Zug."
Babtschenko geht als Soldat in den Krieg, in den Kaukasus-Krieg, auch Südossetien-Krieg oder -Konflikt genannt, ist jedoch ausgerüstet mit Diktiergerät und Fotoapparat:
"Ein Stück weiter, an der Kurve verbrennen zwei Volkssturmsoldaten die Leiche eines gefallenen Georgiers. Nicht aus Hass. Ihnen gefällt selbst nicht, was sie da tun. Aber die Hitze lastet, niemand beerdigt die Leichen, und schon wabert Gestank durch die Straßen. ... Fotografieren? Nein. Ach, zum Teufel ... Ihr habt eure Sorgen, ich habe meine. Das hier müssen alle sehen. Ich stelle mich auf den Bordstein und fotografiere in Großaufnahme. Mit Augenhöhlen und allen Einzelheiten. Rotes, angebranntes Fleisch kriecht ins Objektiv. Empfindungen? Absolut keine. Wie schnell sind alle moralischen Verbote in mir abgestumpft."
Als Leser wird man wie ein Fallschirmspringer abgeworfen, hineingeschmissen in diese Geschichte, ohne wissen zu können, dass Babtschenko sie vor einigen Jahren als mehrteiligen Zeitungsartikel schrieb. Man muss die Editorische Notiz am Ende des Buches zuerst lesen, denn nur dort erfährt man, dass zehn der siebzehn im Buch zusammengefassten Kriegsgeschichten zwischen 2004 und 2008 für russische Zeitungen, vor allem für die "Nowaja Gazeta", geschrieben wurden.
Konzept des Autors schwer erkennbar
Es ist diese bizarre Kombination aus der heraus Babtschenko seinen ersten und längsten und vielleicht gewichtigsten Text schreibt: als Freiwilliger der russischen Armee und Journalist der "Nowaja Gazeta". Aber sie erklärt auch die Seltsamkeiten der Erzählperspektive. Das Kriegsfieber, die Droge Krieg, sie hält den Journalisten gefangen:
"Ich schaue mir diese Leichen an – unsere Leichen, von unseren Jungs und ertappe mich plötzlich bei dem Gedanken, dass der Preis für den Sieg gar nicht allzu hoch ist. Schließlich haben wir gesiegt. Die Burschen haben heldenhaft gekämpft. Das Schrecklichste ist, dass ich wirklich so denke."
Nach dem atemlosen Stakkato der ersten Geschichte, findet man sich in der zweiten in einem Interview mit dem amerikanischen Ex-Korporal Tony Lagouranis wieder. Arkadi Babtschenko hat ihn auf einem Literaturfestival in Irland kennengelernt. Als Student für Arabische Sprache war Lagouranis 2004 in den Irak geschickt worden, um als Vernehmungsoffizier Geständnisse herauszufoltern. "Fear up harsh" lautet der Titel seines Buches, nach der gleichnamigen Foltermethode – eine äußerst aufreibende Geschichte über amerikanische Willkür und Verbrechen in irakischen Gefängnissen - doch als Leser fragt man sich, welchem Konzept folgt Babtschenko mit seinem Buch, nach welchen Kriterien hat er seine Geschichten oder Interviews ausgewählt, und was sprach für diese Reihenfolge.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Cover: "Ein Tag wie ein Leben" von Arkadi Babtschenko© Rowohlt
Denn nach diesem kurzen Irakausflug wirft Babtschenko den Leser erneut in Tschetschien ab – man muss allerdings seine Biographie kennen, um herauszufinden, in welchem Jahr wir uns jetzt befinden.
"'Wir sind die ganze Zeit nur mit Säuberungen beschäftigt', erzählt Fidel, Kommandeur der Sondereinsatztruppe. 'Wenn wir ein Dorf regelmäßig säubern, ist es dort relativ ruhig. Bleiben die Säuberungen ein, zwei Monate lang aus, wagt man sich dort besser nicht rein. Du wolltest nach Grozny fahren? Ich rat dir gut – tu das nicht. Grozny ist schon seit einem Monat nicht gesäubert worden'".
Autor hält Dritten Weltkrieg für eine Option
Der Originaltitel "Operatzia Zizn prodolschaetza" wörtlich übersetzt: "Operation Leben geht weiter" unterstreicht, was Babtschenko wichtig ist: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Das zivile, bürgerliche Leben ist nur eine "Operation", ein kurzer Moment zwischen zwei Kriegen. Seit Jahrhunderten befindet sich Russland im Krieg.
Am vielleicht interessantesten sind die Interviews mit Veteranen verschiedener russischer Kriege. In ihren Äußerungen prangern sie nicht nur die heutige Korruption und Arroganz von Beamten und Politikern an, sondern machen auf schmerzhafte Weise deutlich, zu welchen Überzeugungen das alles führen kann:
"Nicht wir sind die verlorene Generation, sondern sie, die nicht im Krieg waren. Wenn ihr Tod auch nur einen der Jungs wieder zum Leben erwecken könnte, würde ich sie alle umbringen."
Auffallend ist, daß Babtchenko in seinen Interviews immer wieder die Möglichkeit eines Dritten Weltkriegs in Betracht zieht – sie scheint als völlig normal zu gelten. So zum Beispiel fragt er seinen Interviewpartner Michail – für Frieden und Demokratie kämpfte dieser in Afghanistan, Tadschikistan, in der israelischen Armee und zuletzt für die Amerikaner im Irak:
"Du bist jetzt amerikanischer Staatsbürger. Soweit ich weiß, unterschreibt man bei der Annahme der Staatsbürgerschaft so eine Art Vereinbarung, dass man im Konfliktfall für die USA kämpft und sein Vaterland vergisst. Stell dir vor, ein dritter Weltkrieg beginnt, wirst du diese Verpflichtung einhalten?"
Keine Heilung in Sicht
Es sind dies die bedrückendsten Momente dieses Buches, denn sie geben den Blick frei auf den Zustand Russlands. Und durchaus Angst machen können Äußerungen wie die eines ehemaligen Soldaten, der inzwischen zum Militärausbilder avanciert ist:
"Wenn ein Bandit zur Waffe greift, muss man ihn vernichten. Egal, wie viele es sind, einer, zwei, 500, 2.000. Das Volk ist erwachsen, selbständig, das ist Demokratie. Wenn man etwas anstellt, muss man auch wie ein Erwachsener dafür einstehen. Damit sie nicht am Ende hier auftauchen, im Zentrum von Moskau. Deshalb muss man sie vor Ort erwischen, solange sie sich noch vorbereiten, formieren, trainieren. Besser dort vernichten, dann haben wir hier weniger davon."
Babtschenkos Sammlung von Kriegstexten, die zahlreichen Beschreibungen diverser Verstümmelungen in verschiedenen Kriegen durch Kugeln, Geschosse, Splitter, die Schilderung der Maden in den Geschwulsten – das alles wirkt wie ein Bild aus einer fernen, längst vergangenen Zeit. Ein misanthropisches törichtes Perpetuum mobile. Und irgendwie erinnert es auch an Herbert Fritschs Inszenierung von "Ohne Titel Nr. 1": Während am vorderen Bühnenrand ein glitzernder Frauenchor seine Pirouetten dreht, rennen im Hintergrund Männer unentwegt gegen eine überdimensionierte Sofaarmlehne, verrenken sich dabei ihren Kopf, rücken ihn wieder zurecht und rennen erneut los... "Hört endlich damit auf", möchte man ihnen zurufen.

Arkadi Babtschenko: Ein Tag wie ein Leben. Vom Krieg
Rowohlt, 272 Seiten
16,99 Euro, auch als E-Book

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