Kriegerischer Wahnsinn

Von Bernd Sobolla · 11.02.2007
Hollywoodstar Clint Eastwood beschreibt mit seinen beiden Filmen "Flags of our fathers" und "Letters from Iwo Jima" die Schlacht um eine japanische Insel im Zweiten Weltkrieg. Einmal aus der amerikanischen, einmal aus der japanischen Perspektive schildert er den erbarmungslosen Krieg, die nationale Propaganda und die entwürdigende Instrumentalisierung. "Letters from Iwo Jima" war nun auf der Berlinale zu sehen.
Filmausschnitt: "Herzlichen Glückwunsch! Ihr Mann zieht in den Krieg."
"Vielen Dank, ich freue mich, meinem Land dienen zu dürfen."

Als der Bäcker Saigo seinen Einberufungsbefehl erhält, zeigt er das, was die japanische Gesellschaft von ihm erwartet: Er bedankt sich und zeigt Stolz, seinem Land dienen zu dürfen.

Doch sogleich ändert sich das Bild: Denn seine Frau ist schwanger, und bisher ist kein einziger Soldat des Dorfes aus dem Krieg zurückgekehrt. Und daran wird sich wohl nicht viel ändern. Denn Saigo muss nach Iwo Jima. Die kleine Pazifikinsel liegt etwa 1000 Kilometer südlich von Tokio. Eine Vulkaninsel, wirtschaftlich ebenso unbedeutend wie strategisch, aber heiliges japanisches Land. Und wenn die Amerikaner diese Insel erobern, steht der Sprung auf die Hauptinsel unmittelbar bevor. Deshalb ist die Order eindeutig.

Filmausschnitt: "Für unsere Heimat, bis zum letzten Mann! Es ist unsere Pflicht, den Feind hier aufzuhalten. Erwarten Sie nicht, lebend zurück nach Hause zu kommen."’"

1945 trafen die amerikanischen und japanischen Truppen auf Iwo Jima aufeinander. Erst vor zwei Jahren fand man bei Ausgrabungen Hunderte von Briefen in der Erde der kargen Insel. Briefe von gefallenen Soldaten, die nie abgeschickt wurden. Aber diese Briefe geben den Opfern im Nachhinein ein Gesicht. So erleben wir neben dem Bäcker Saigo den Baron Nishi, der 1932 als Reiter bei den Olympischen Spielen in Los Angeles siegte, ebenso wie den idealistischen Ex-Polizisten Shimizu und den von der Sache überzeugten Leutnant Ito. Vor allem aber ging es Clint Eastwood um den japanischen General Kuribayashi:

""Als ich 'Flags of our fathers’ drehte, konzentrierte ich mich ganz darauf. Aber dann dachte ich auch an das andere Projekt, denn ich begann die Story immer mehr zu analysieren: Als die Amerikaner die Insel einnahmen, wussten sie nicht, warum die Japaner einer so heftigen Bombardierung widerstehen konnten. Das war faszinierend. Ich fragte mich also, wer die Taktiker dahinter waren, was für eine Mentalität sie hatten, was sie fühlten. Die Amerikaner, die in den Südpazifik geschickt wurden, hofften wieder nach Hause zu kommen. Auch wenn sie wussten, dass es hart werden würde. Aber den Japanern wurde gesagt, dass es kein Zurück gäbe. Das ist eine völlig andere Haltung. Deshalb wollte ich auch einen zweiten Film darüber machen."

Es ist der erste Kriegsfilm, den Clint Eastwood drehte. Und er zeigt mächtige Bilder: Wenn die Japaner 30 bis 50 amerikanischen Kriegsschiffe erwarten und weit über 100 auf die Insel zukommen, ist die totale Übermacht bombensicher. Der Film liefert aber auch – das sollte nicht verschwiegen werden – eine Menge grausiger Szenen. Doch nicht nur durch diese gewaltigen Kampfszenen wirken "Letters from Iwo Ima" und "Flags of our fathers", sondern dadurch, dass Eastwood das Gefasel von Patriotismus und Heldentum ad absurdum führt.

Und irgendwie zeigt der Regisseur, der inzwischen 76 Jahre alt ist, eine gewisse Konsequenz. Denn seinen Durchbruch feierte er in den Italo-Western der 60er Jahre als namenloser Ponchoträger. Im Gegensatz zu John Wayne glaubt dieser an nichts: Weder an die Bibel noch an sein Land und an Freunde schon gar nicht. In den 80er demontierte Clint Eastwood, inzwischen selbst zum Regisseur aufgestiegen, mit "Bronco Billy" und "Honky Tonk Man" den American Way of life. Und 1990 gewann er mit "Erbarmungslos" den Oscar. Und darin entmystifiziert er den Westernhelden. Und nun mit "Flags of our fathers" und "Letters from Iwo Jima" bleibt nichts mehr von Abenteuer und Kriegeshelden übrig.

"Sie hatten nicht die gleiche Ausrüstung und eine viel schlechtere Nahrungsversorgung. Auf Iwo Jima gab es kein Wasser, außer wenn es regnete. Dort gibt es keine Brunnen. Sie lebten von Pflanzen und Würmern. Heute sind viele Jahrzehnte vergangen, und ich denke, es war wichtig für die japanische Öffentlichkeit, diese Männer wahrzunehmen, ihre Leistung bewusst zu machen. Dabei geht es gar nicht darum, ob der Krieg gewonnen oder verloren wurde, sondern um die Opfer, die sie für ihr Land gebracht haben."

Filmausschnitt: "Hanako, wir Soldaten graben uns ein. In diesem Loch werden wir kämpfen und sterben. Dieser Brief wird dich wahrscheinlich nie erreichen, aber meine ganze Sorge gilt dir und dem Kind."

"Letters from Iwo Jima" ist kein Film, in dem die Darsteller glänzen. Das gilt übrigens ebenso für "Flags of our fathers". Dazu sind beide Filme zu sehr von den Kriegsaufnahmen dominiert. Wobei es Clint Eastwood nicht darum ging, möglichst viel Action zu zeigen, sondern dem Kriegswahn keinen Platz für schöne Momente zu bieten.

General Kuribayashi gelingt es mit einer brillanten Strategie, die sichere Niederlage 40 Tage hinauszuzögern. Doch der Preis ist hoch. Am Ende sterben auf Iwo Jima 7000 amerikanische und über 20.000 japanische Soldaten. Unterstrichen wird die Katastrophe noch durch die geringe Farbgebung. Die Soldaten passen sich in ihren Uniformen der metallisch grau wirkenden Insel an, wie eine Verfügungsmasse, die mal einen Berg hoch getrieben wird und mal runter.

Und dann gibt es auch die kleinen, aber wichtigen Szenen: Wenn ein Japaner den Brief von der Mutter eines toten amerikanischen Soldaten vorliest, hört er die gleichen Worte, die auch japanische Mütter ihren Söhnen schreiben. Wäre Clint Eastwood nicht schon längst ein lebendes Denkmal in Hollywood, spätestens mit "Letters from Iwo Ima" beziehungsweise "Flags of our fathers" hätte er sich ein solches verdient.