Krieg in Syrien

Es muss verhandelt werden

Russische Bombardierung in Syrien
Ein Foto des russischen Verteidigungsministeriums. Es soll die Bombardierung von IS-Stellungen in Syrien zeigen. © picture alliance / dpa / Foto: Russian Defence Ministry Press S
Von Thomas Nehls · 17.10.2015
Die Zivilbevölkerung in Syrien leidet seit Jahren. Auch durch die aktuellen russischen Bombardierungen scheinen weder Frieden noch eine baldiges Endes des IS-Terrors in Sicht. Unser Autor Thomas Nehls plädiert deshalb für einen Neustart der Verhandlungen.
Was eigentlich ist verkehrt daran, Syrien als Staat erhalten zu wollen – wie es im Auftrage seines Herrn der russische Außenminister Lawrow Ende September gebetsmühlenartig in und am Rande der UNO-Vollversammlung in New York hat wissen lassen? Sind eine Viertel Million Tote und elf Millionen Flüchtlinge inner- und außerhalb des Landes nicht Belege genug, dass das 2011 begonnene Wechselspiel aus Aufstand, Bürgerkrieg und brutalsten unnachgiebigen Reaktionen des Assad-Regimes nach dem nunmehr fast fünf Jahre andauernden Strickmuster nur als Fiasko enden kann? Schon jetzt ist die syrische Zwischenbilanz das schlimmste Ergebnis der so genannten Arabellion, die allerdings auch in den anderen Ländern nichts Gutes gebracht hat – mit Ausnahme der gerade mit dem Friedensnobelpreis gewürdigten Bemühungen in Tunesien.
Neustart für Verhandlung
Vor diesem Hintergrund und angesichts weiterhin desaströser Aussichten bedeutet der durch Russland geleistete Beistand für Assad keineswegs einen Rückfall, sondern möglicherweise gar die Chance einer Wende. Das militärische Engagement Putins nur mit seinem Ego zu erklären und es einzig und allein als Mitspielversuch auf der Weltbühne darzustellen, ist bei weitem zu kurz gegriffen. Im Gegensatz zu nachhaltig dem Ost-West-Denken aus Tagen des Kalten Krieges verhafteten Experten haben nach vorn schauende Politiker selbst in den Vereinigten Staaten die zielführenden Facetten des russischen Mitmischens erkannt und versuchen, sie in konstruktive Bahnen zu lenken. Der tägliche Beschuss von Milizen der angeblich gemäßigten Rebellen und des Hauptfeindes Islamischer Staat dürfte freilich erst überflüssig und unterbunden werden, wenn ein Neustart für eine Verhandlungslösung eingeleitet wird.
Das wiederum kann niemand allein bewirken – nicht innerhalb und nicht außerhalb Syriens. Dafür ist der Stellvertreter-Krieg für das Trio Iran, Saudi-Arabien und die Türkei, in dem die syrische Bevölkerung dabei ist alles zu verlieren, längst zu weit fortgeschritten. Die Antreiber der tödlichen Auseinandersetzungen denken gegenwärtig nicht daran, massiv Einhalt zu gebieten – es sind ja nicht ihre Völker, die darben, leiden und in die Flucht geschlagen werden. Dringender denn je bedarf es kluger Mittler, die zumindest die Chance der Beendigung dieses jahrelangen Gemetzels zu eruieren hätten – statt sich vorrangig immer raffinierteren militärischen Ausschalt-Möglichkeiten zu widmen. Soll man die Terroristen des Islamischen Staats zu einer Friedenskonferenz bitten? Sicherlich nicht. Aber ihnen jedwede Unterstützung und mittelbare Hilfe zu entziehen, muss möglich sein und ist es auch. Kein Öl mehr raus, keine Waffen mehr rein: Diese Devise wäre ein erster Schritt.
Abgestimmte Einzelaktionen, die etwas bringen könnten
Dabei ist es an den Großmächten, die unmittelbaren Regisseure der syrischen Tragödie endlich zu überzeugen. Was dem amerikanischen Präsidenten nunmehr ein halbes Jahrzehnt lang verwehrt geblieben ist, wird schwerlich von Putin – unterstellt, er will überhaupt Weltverantwortung übernehmen – und wird auch nicht von einem außen- und sicherheitspolitisch eher zerstrittenen Europa gekittet werden können. Es sind abgestimmte Einzelaktionen, die etwas bringen könnten. An diesem Wochenende die Reise von Außenminister Steinmeier in den Iran und nach Saudi-Arabien – nicht zuletzt mit dem Ziel der Bildung einer Kontaktgruppe – morgen die Visite der Bundeskanzlerin beim türkischen Präsidenten und demnächst hoffentlich auch wieder eine neue Initiative im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
Den Russen in diesen Zeiten das Recht zur Mitwirkung an einer umfassenden Lösung abzusprechen, ist kurzsichtig, wenn nicht lächerlich. Zum einen haben auch andere regionale Mächte längst ihre geopolitischen Interessen angemeldet. Zum anderen müssen sich diejenigen, die nun wieder die Annexion der Krim als Gegenargument einer russischen Teilhabe bemühen, auf Völkerrechtsverletzungen anderer hinweisen lassen, bei denen der Westen gerne beide Augen zudrückt. Oder sind mir Sanktionen gegen Israel und/oder die Vereinigten Staaten wegen diverser Verstöße gegen das Völkerrecht in der Vergangenheit und in den besetzen palästinensischen Gebieten entgangen? Hat irgendwann irgendjemand diesen Ländern schon einmal Schlichtungsbemühungen verwehrt? Zweierlei Maß mag sich nicht immer vermeiden lassen, aber doch wohl, wenn´s um die Beendigung von Massakern geht.
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