Kretschmann zum Flüchtlingsgipfel

Plan B noch in der Schublade lassen

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, setzt auf Konsens. © picture alliance / dpa - Christoph Schmidt
Moderation: Korbinian Frenzel · 26.02.2016
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält wenig von übereilten Vorschlägen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Vor allem sei es geradezu schädlich, schon jetzt laut über ein Scheitern des geplanten Flüchtlingsgipfels nachzudenken.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) setzt in der Flüchtlingskrise auf Konsens. Statt übereilte und radikale Vorschläge an die Öffentlichkeit zu bringen, halte er es für besser, seine Pläne erst nach einer Beratungsphase öffentlich vorzustellen – "wenn auch klar ist, was ich selber meine und will, mit anderen zusammen. Und dann setzt man die Dinge möglichst schnell um", sagte Kretschmann im Deutschlandradio Kultur.
Bezogen auf den geplanten Flüchtlingsgipfel der EU mit der Türkei am 7. März sagte der Grünen-Politiker weiter, er halte es zudem für unvernünftig, jetzt schon über ein mögliches Scheitern des Gipfels zu sprechen:
"Wenn man einen Plan B in der Öffentlichkeit diskutiert, dann ist der Plan A nämlich kaputt. Also, wenn Sie jetzt schon diskutieren, was wir nicht machen, wenn das mit der Türkei scheitert, dann kann die den Preis so weit hochtreiben, dass wir ihn gar nicht machen können. Man muss erst für das Ziel kämpfen und dann hat man vielleicht noch einen Plan B in der Schublade oder im Hinterkopf – aber gewiss nicht in der Öffentlichkeit. Das ist absolut schädlich."

Keine radikalen Parteien wählen

Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg warnte Kretschmann die Wähler davor, aus momentaner Unzufriedenheit heraus radikalen Parteien ihre Stimme zu geben. "Das führt nur in die Irre und zum Schluss zu Frustration. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass am Ende Koalitionen da sind, die niemand so richtig will."
Er sehe die Bürger darüber hinaus in der Pflicht, sich, ebenso wie die Politiker, gut zu informieren, um Vorgänge und Sachverhalte richtig beurteilen zu können – "damit sie nicht irgendwelchen Stimmungen, Vorurteilen oder gar Gerüchten hinterherrennen. Das ist sozusagen die Bürgerinnen- und Bürgerpflicht."


Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Es ist eigentlich egal, welchen Schauplatz Sie im Moment auswählen, Brüssel, Berlin, Athen. Oder brechen Sie es runter auf eine Republik mit anstehenden Landtagswahlen und schauen Sie nach Magdeburg, nach Mainz oder nach Stuttgart: Sie werden Politiker sehen, die mit einer Großkrise zu kämpfen haben, die Flüchtlingskrise, und die sich an vielen Orten darüber streiten wie die Kesselflicker und die dabei zusehen müssen, dass große Teile der Bevölkerung immer verunsicherter sind. Welche Verantwortung hat Politik in diesen Krisenzeiten, welche Verantwortung haben insbesondere die Parteien – und kommen sie der nach? Fragen wir einen, der für Lösungen kämpfen muss genauso wie für Stimmen am 13. März in Baden-Württemberg, der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Guten Morgen!
Winfried Kretschmann: Guten Morgen!
Frenzel: Was erleben wir zurzeit, Herr Kretschmann? Einen fruchtbaren, einen notwendigen Streit um die richtigen Antworten in der Flüchtlingspolitik? Oder ein unwürdiges Hickhack?

Das Zauberwort lautet "Konsens"

Kretschmann: Leider beides. Ich meine, man muss natürlich sehen: Parteien sind ja Zusammenschlüsse gleichgesinnter Bürger und Bürgerinnen und die haben unterschiedliche Konzepte und Haltungen zu anstehenden Fragen. Der Streit in der Demokratie ist also ganz normal und gehört dazu. In Krisen allerdings gehe ich auf Konsens. Weil, große Krisen kann man anders nämlich nicht lösen. Und deswegen muss man in Krisen darauf achten, dass man sehr lösungsorientiert gemeinsam an die Dinge rangeht, dass man sehr kompromissbereit ist. Anders können die großen Fragen nicht gelöst werden und das Krisenbewusstsein der Bevölkerung ist ja auch da, die erwarten das in solchen Zeiten auch.
Frenzel: Das heißt also, jetzt müsste das Motto sein: Ich kenne keine Parteien mehr, nur noch Politiker, die Lösungen suchen?
Kretschmann: Ja, so kann man das durchaus nennen.
Frenzel: Die Frage ist dann aber, Herr Kretschmann: Wenn wir uns zum Beispiel aktuelle Streitpunkte angucken, gestern im Bundestag, heute im Bundesrat, Asylpaket II, da gibt es hoch umstrittene Punkte wie den Familiennachzug. De facto geht es um ein paar Hundert, vielleicht ein paar Tausend Fälle. Leistet sich die Politik da Scheingefechte, baut sie Scheinalternativen auf?
Kretschmann: Nein, das glaube ich jetzt nicht, das sind ja schon ganz wichtige, grundsätzliche Fragen. Man muss natürlich sehen, die Bundesregierung und wir gehen natürlich, wenn Fragen im Bundesrat anliegen, in gemeinsame Gespräche, aber ich sehe nicht, dass die Bundesregierung sich jetzt groß bemüht, die Opposition da mit einzubeziehen, da muss sie natürlich auch damit rechnen, dass sie dagegen opponiert. Ich meine, niemand ist verpflichtet, nur etwas zu machen, weil der andere ihm das sagt. Insofern herrscht da im Bundestag noch mal eine andere Situation.
Frenzel: Aber was ich damit meine, Herr Kretschmann, ist ja folgende Situation, dass wir offenbar doch in den Grundfragen einen ganz großen politischen Konsens erleben. Ich frage das jetzt ganz ohne Polemik, ganz bewusst ohne Wahlkampfrhetorik: Aber unterscheidet sich eine bayrische Flüchtlingspolitik im Praktischen, verantwortet von der CSU, von der grün-roten Flüchtlingspolitik, für die Sie stehen?
Kretschmann: Nicht wirklich. Im Praktischen machen die Bayern das, was wir auch machen. Wir versuchen einfach, das, was unsere Aufgabe ist als Länder und Kommunen, die Flüchtlinge gut unterzubringen und sie zu integrieren.
Frenzel: Können Sie denn verstehen, dass Bürgerinnen und Bürger, die eine Schwierigkeit haben mit der Politik, die verunsichert sind, sagen: Das, was da politisch angeboten wird von den etablierten Parteien, ist im Prinzip eigentlich alles das Gleiche, wir suchen nach einer Alternative?
Kretschmann: Ja, entweder man geht auf Kompromiss, dann kommt natürlich zum Schluss was Einheitliches heraus. Wenn man auf Konfrontation geht, dann wird natürlich deutlich, dass man auch zur Flüchtlingspolitik unterschiedliche Ansichten hat. Also, beides kann man natürlich nicht bieten. Die Bayern versuchen das immer, im Praktischen sind sie sehr kompromissbereit, aber dann setzen sie immer noch irgendwelche populistischen Dinge drauf. So was funktioniert aber nicht.

Erst beraten, dann an die Öffentlichkeit gehen

Man muss immer sehen: Die Vorschläge, die man öffentlich macht, die radikal klingen und die nachher nicht gemacht werden, das hinterlässt doch Unmut bei der Bevölkerung und landet dann bei rechtspopulistischen Parteien. Deswegen ist mein Prinzip … Ich habe natürlich auch diese und jene Idee, die berate ich mit meinen Mitarbeitern, dann schaue ich, was andere dazu sagen, konsentiere sie, und erst dann gehe ich an die Öffentlichkeit, wenn auch klar ist, was ich selber meine und will, mit anderen zusammen. Und dann setzt man die Dinge möglichst schnell um, das ist wichtig, und nicht Dinge in die Welt setzen, von denen man annehmen kann, dass sie nachher der andere gar nicht mitmacht.
Frenzel: Herr Kretschmann, sind denn Parteien gute Orte, um ehrliche und offene Debatten zu führen?
Kretschmann: Ja, im Alltag schon. Ich meine …
Frenzel: Im Alltag?
Kretschmann: Im Normalalltag schon, aber in Krisen ist es natürlich schwierig. Ich meine, man kann ja auch in Krisen nicht seine Grundsätze aufgeben. Es sind also schwierige Herausforderungen, ein Konsens in solchen wichtigen Fragen ist nämlich keineswegs einfach.
Frenzel: Wie viel Ehrlichkeit wagen Sie denn selbst? Sie werden ja sicherlich darüber nachdenken, was ist, wenn wir es nicht schaffen, wenn am 7. März beispielsweise beim Gipfel in Brüssel keine europäische Lösung gelingt, was dann? Wagt es ein Ministerpräsident Kretschmann, jetzt schon darüber offen zu sprechen?

Nicht von vornherein mit dem Scheitern rechnen

Kretschmann: Nein, das ist auch gar nicht sinnvoll. Wenn man einen Plan B in der Öffentlichkeit diskutiert, dann ist der Plan A nämlich kaputt. Also, wenn wir jetzt schon diskutieren, was wir nicht machen, wenn das mit der Türkei scheitert, dann kann die den Preis so weit hochtreiben, dass wir ihn gar nicht machen können. Also, man muss immer für das Ziel erst kämpfen und vielleicht hat man einen Plan B in der Schublade oder im Hinterkopf, aber gewiss nicht in der Öffentlichkeit. So was ist absolut schädlich, so was darf man nicht machen.
Frenzel: Okay, ich gehe davon aus, Sie haben einen in der Schublade. Was sagen Sie denn eigentlich Wählerinnen und Wählern? Was denken Sie, was die tun sollten ganz konkret am 13. März in Baden-Württemberg, wenn die sich unwohl fühlen mit dem Kurs der Kanzlerin, mit dem Kurs, für den Sie ja auch stehen, da sind Sie ja beieinander? Wen sollen die denn eigentlich wählen?
Kretschmann: Ich meine, es gibt ja genügend Parteien, wo sie auswählen können. Wo sie wissen, die vertreten da unterschiedliche Ansichten. Wofür ich die Leute nur warnen kann, ist, extremistische Parteien zu wählen, weil die nur sozusagen den Protest und die Ängste und Sorgen immer verstärken, aber nichts lösen können. Das führt nur in die Irre und zum Schluss zu Frustration. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass nachher Koalitionen da sind, die niemand so richtig will. Und davon hat nämlich niemand was.
Frenzel: Herr Kretschmann, drehen wir den Spieß mal um: Wir haben jetzt über die Verantwortung von Politik und Parteien geredet, welche Verantwortung sehen Sie bei uns, bei den Bürgerinnen und Bürger?
Kretschmann: Ja, die Bürger haben natürlich auch die Verantwortung, sich erst mal auch gut zu informieren, damit sie diese Dinge auch wirklich gut beurteilen können, nicht irgendwelchen Vorurteilen, Stimmungen oder gar Gerüchten hinterherrennen. Das ist sozusagen die Bürgerinnen-und-Bürger-Pflicht. Natürlich auch selber abzuwägen, was kann man jetzt von den Politikern erwarten und was nicht.
Jetzt haben wir die Fluchtursachen, diesen Krieg in Syrien, da haben wir dann nicht die Macht, das einfach zu beenden. Das geht nur ganz zäh und langsam. Das muss auch der Bürger versuchen zu beurteilen, damit er nicht Forderungen an die Politik stellt, die sie gar nicht erfüllen kann, die Krise einfach geschwind zu lösen. Den Schalter hat nämlich niemand.
Frenzel: Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der grüne Winfried Kretschmann. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Kretschmann: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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