Kreativwirtschaft

Wie sich Künstler mit Hartz IV durchschlagen

Ein kreativer Umgang mit Hartz IV zeichnet die Protagonisten des Bandes "Hartz IV und wir" aus.
Ein kreativer Umgang mit Hartz IV zeichnet die Protagonisten des Bandes "Hartz IV und wir" aus. © picture alliance / ZB
Von Gerd Brendel · 14.07.2014
Zwischen Sozialbetrug und selbstbestimmtem Leben: In ihrem Buch stellt Anne Waak Kreative vor, die von Hartz IV leben - und das Geld auch schon mal für Projekte zweckentfremden. Die Geschichten lesen sich wie Krimis.
"Momentan mache ich das erste Mal seit 1994 nichts. Aber es ist gar nicht schlimm und tut mir wahnsinnig gut."
Schon diese Selbstvorstellung von Anne Waaks erstem Protagonisten Patrick macht klar, worum es der Autorin mit ihren Hartz-IV-Geschichten geht.
"Was meine Protagonisten verbindet, ist, dass sie alle wissen, wo es hingehen soll und alle auch gut ausgebildet sind. Für viele ist das ne Möglichkeit sich Zeit und Raum zu verschaffen um an anderen Dingen zu arbeiten, als am bloßen Broterwerb."
Zum Beispiel Patrick Wagner. In seinem Leben vor Hartz IV war er Musiker und Chef eines Plattenlabels.
"War halbwegs erfolgreich, konnte ganz gut davon leben, 15 Jahre und sich einen gewissen Wohlstand aufbauen. Dann ist die Firma pleite gegangen."
Vergleich mit Karlsson vom Dach
In ihrem Vorwort vergleicht Anne Waak ihre selbstbewussten Hartz-IV-Empfänger mit der Astrid-Lindgrens-Kinderbuchfigur Karlsson vom Dach.
"Karlssons herausstechendstes Merkmal ist der kleine, bei Bedarf ausklappbare Propeller auf seinem Rücken, mit dem er sich durch die Welt bewegt."
Wie er seinen manchmal stotternden Abtrieb, haben die Leute in diesem Buch Hartz IV dazu genutzt, ein Stück zufliegen. Mal mehr, mal weniger erfolgreich.
Die schmerzhafte Einsicht
Zwölf Flugversuche mit Sozialleistung hat Waak aufgezeichnet. Sie lässt ihren Gesprächspartnern viel Raum für eigene Reflexionen. Eltern, Studium, Beruf, Scheitern, Wunschträume. Das alles kommt vor. Der Stil erinnert an die dokumentarische Literatur der frühen Siebziger, an die Literatur der Arbeitswelt und die Bottroper Protokolle. Nur dass hier nicht Arbeiter vom Zechen oder Fabrikalltag erzählen, sondern Filmemacherinnen, Musiker oder Philosophen von ihrem Überleben mit Transferleistungen. Am Anfang stand für alle die schmerzhafte Einsicht, von der eigenen künstlerischen oder kreativen Arbeit nicht mehr leben zu können.
Hartz IV als Sockelgehalt
"Musste mich dann arbeitslos melden und hab dann überlegt, was das für einen bedeutet."
"Das Selbstbild eines Künstlers hapert dann schon, wann ist man überhaupt Künstler? Wenn man nur verdient?", fragte sich zum Beispiel die Schauspielerin und Tänzerin Rahel Savoldelli. Sie, Patrick Wagner und die anderen definierten Hartz IV zum Sockelgehalt um. Alle müssen dazuverdienen. Und wenn Haaks Hartz-IV-Karlssons erzählen, was sie alles unternehmen, um am Jobcenter vorbei den eigenen kreativen Lebenstraum zu finanzieren, lesen sich die Texte wie Krimis: Die Filmemacherin führt ein Doppelleben in zwei Ländern. Der Philosoph jobbt nebenher als Drogenkurier. Kein Wunder, dass alle das System grundsätzlich infrage stellen, so wie Rahel Savoldelli.
"Arbeitssuchend war ich ja nicht, ich hatte ja wahnsinnig viel zu tun."
Nur eben ohne Bezahlung.
"Nach meinem ersten Besuch im Jobcenter", lautet ihr erster Satz, "hatte ich das dringende Bedürfnis, eine Arbeit darüber zu machen."
"Guten Abend, Was ist Geld? Man braucht ein bisschen Geld – ein bisschen Geld."
Kurzfilme mit Hartz-IV-Geld finanziert
Kurzfilme und Theaterstücke hat Rahel von dem bisschen Hartz-IV-Geld finanziert und gleichzeitig ihren Sohn großgezogen. Patrick Wagner, der ehemalige Musikproduzent, entdeckte in seiner Hartz-IV-Zeit sein Talent als Fußballtrainer für Jugendliche. In seinem und den anderen Protokollen taucht ein Begriff immer wieder auf: "bedingungsloses Grundeinkommen". Aber genau dazu wurde Hartz IV vom Gesetzgeber nicht ins Leben gerufen. Also hat Waak die meisten Namen in ihrem Buch geändert, denn wer Sozialleistungen in Anspruch nimmt, ohne sich der Kontrolle der Ämter zu unterwerfen und sogar deren Maßnahmen zur "Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt" boykottiert, riskiert Kürzungen oder gar Strafverfahren. Nicht zuletzt deswegen sind die meisten kreativen Karlssons aus Waaks Buch keine Hartz-IV-Empfänger mehr. Patrick Wagner will demnächst eine Fußballschule eröffnen und Rahel Savoldelli hat mittlerweile eine Arbeit gefunden, die ganz legal vom Jobcenter finanziert wird.
"Ich arbeite jetzt ja gerade für ein Unternehmen, das heißt Projektfabrik, die bundesweit Maßnahmen anbietet für Hartz-IV-Empfänger. So hat sich das Blatt gekehrt."

Anne Waak: Hartz IV und wir
Waahr.de, Berlin 2014
114 Seiten, als Ebook 6,99 Euro