Kreativität in der Krise: Türkei

Wie Kritik in der Kunst überleben kann

Von Sabine Küper-Büsch · 25.12.2015
Auf dem Istanbuler Taksim-Platz sind Demonstrationen seit den Gezi-Protesten verboten. Dagegen wehren sich aufmüpfige Künstler mit originellen Mitteln: Sie spielen eine kurze Performance oder protestieren mit schusssicheren Westen gegen die Gewalteskalation.
(Nurten Karahancı): "Wir sind von Brechts Theatertheorie beeinflusst und versuchen die Techniken des epischen Theaters einzusetzen. Für ein gesellschaftlich wirksames Theater, muss man die normalen Leute auf der Straße erreichen. In den östlichen Provinzen passieren täglich Massaker, von denen im Westen kaum jemand etwas mitbekommt. Dem kann man am besten mit Kunst begegnen. Es ist ja verboten auf dem Taksim- Platz zu demonstrieren, deswegen arbeiten wir metaphorisch und spontan."

Fünf Minuten dauert die Performance, dann zerstreuen sich die Schauspieler und ihr Publikum rasch. Demonstrieren ist in der Türkei zu einem gefährlichen Wagnis geworden. In fünf östlichen Provinzen herrscht Ausgangssperre. In der Metropole Istanbul werden Solidaritätsdemos regelmäßig gewaltsam von der Polizei gesprengt. Dennoch bietet die Kunst eine Nische, in der Kritik möglich ist.
Zeyno Pekünlü etwa gehört zu den Künstlerinnen, die sich seit den Gezi-Protesten sehr bewusst mit dem maroden politischen System in der Türkei auseinandersetzen. Auf der Istanbuler Kunst-Biennale stellte die Künstlerin, die an einer Universitaet Kunsttheorie unterrichtet, Spickzettel ihrer Studierenden aus.
(Zeyno Pekünlü): "Ich habe diese Zettel gesammelt und gemerkt, dass sie einen komplexen Zusammenhang herstellen. Wie funktioniert unser Bildungssystem, wie triezen wir unsere Studierenden auf dem Weg zum Berufsleben. Sie hacken dieses System mit diesen Spickzetteln. Ich finde, wir sind als Künstler heute in einer besseren Position als vor den Gezi-Protesten. Wir haben angefangen, uns zu organisieren. Nicht in einer Partei oder Gewerkschaft, sondern als Akteure mit gemeinsamen Zielen."
Subtile und satirische Bildersprache
Die meisten Künstler wählen eine subtile, oft satirische Bildsprache. Genco Gülan etwa reagiert mit pazifistischen Performances auf die momentane Gewalteskalation im Land. Nach einem Anschlag auf eine Militärstation im Osten, bei der viele Soldaten starben, hatte er ein Lotterielos gekauft. Er schrieb Frieden auf diesen Schein und postete eine Foto davon auf Twitter, nicht ahnend was für einen Sturm er damit auslösen könnte.
(Genco Gülan): "Am Abend fing mein Telefon an zu piepen. Mein Tweet wurde unaufhörlich geteilt, ich erreichte einen absoluten Rekord. Es gab viele Teilungen und auch Likes. Ich dachte, wie schön, viele denken so wie ich. Als ich mir die Tweets aber näher anschaute, sah ich, dass darunter auch ganz viele Hasstweets waren. Meine Familie und ich wurde grob beleidigt. Es waren sogar Morddrohungen dabei."

Für den Frieden zu sein, heißt für viele Anhänger der türkischen Regierung, gegen deren Politik zu sein. Seit Juni, als die Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt zunächst keine absolute Mehrheit bei den Parlamentswahlen erreicht hatte, schürt Ankara den Kurdenkonflikt. Anhaltende Militäroperationen und Ausgangssperren in den östlichen Provinzen haben die Gewalt eskalieren lassen. Genco Gülan laesst sich aber auch von Mobbern auf den sozialen Medien nicht einschüchtern. In seiner jüngsten Performance trägt er eine kugelsichere Weste.
(Genco Gülan): "Ich trage eine schusssichere Weste. In der Hand halte ich bunte Blumen. Dahinter steckt die Aussage, dass ich mich schützen muss, um Blumen in der Hand halten zu dürfen. Doch es ist meine Wahl, in dieser Region und in diesem Land Kunst zu machen. Ich stehe da mit Blumen in der Hand und bin für Frieden, auch wenn ich dafür eine schusssichere Weste brauche."
Staatlicher Druck gegen Journalisten und Verleger
Klare Positionen erfordern viel Mut in diesen Tagen. Die türkischen Medien haben sich mittlerweile dem staatlichen Druck gebeugt. Inhaftierungen und unzählige Prozesse gegen Journalisten und Verleger gehören zu den repressiven Maßnahmen. Bülent Mumay etwa war viele Jahre lang Chef der Online-Seite der auflagenstarken Tageszeitung Hürriyet. Als ein Bombenanschlag kurz vor dem zweiten Urnengang in der Türkei Ende Oktober in Ankara vierunddreißig Menschen in den Tod riss, hielt Mumay sich nicht an das von der Regierung verhängte Nachrichtenverbot. Das kostete ihn seinen Job.
(Bülent Mumay): "Nur weil Journalisten Nachrichten veröffentlichen, werden sie einer Lynchpolitik durch die regierungsnahen Medien ausgesetzt. Dennoch mussten wir publik machen, dass die Bombenleger bekannt waren und der Geheimdienst sogar vor dem Anschlag gewarnt hatte. Es gab sogar Fotos von Ihnen, trotzdem konnten sie sich Mitten in Ankara in die Luft sprengen? Das nicht zu veröffentlichen geht einfach nicht."
Am ersten November entschieden sich über 50 Prozent der Wähler für die türkische Regierungspartei. Der Propagandafeldzug hat Früchte getragen. Dennoch darf die Unbeugsamkeit der Opposition nicht übersehen werden. Trotz aller Repressalien wehrt sich die türkische Zivilgesellschaft nach wie vor tapfer.
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