Kreative Wucht der späten Jahre

Von Volkhard App · 06.10.2011
Das Städel Museum in Frankfurt am Main zeigt das Spätwerk des Malers Max Beckmann. Verfemt von den Nationalsozialisten hatte Beckmann Deutschland verlassen, dann in Amsterdam gelebt. 1947 aber gelang ihm die ersehnte Ausreise nach Amerika. Dort verbrachte er seine letzten - sehr produktiven - Lebensjahre.
"Ankunft bei Morgengrauen, verhängte Riesen standen schläfrig im feuchten Nebel auf Manhattan”, so beschrieb Max Beckmann am 8. September 1947 seine Begegnung mit der Neuen Welt, und notierte einen Tag später: "doll, doll, doll - Babylon ist ein Kindergarten dagegen…”

Dass der Weg des Exilanten nach zehnjährigem Amsterdam- Aufenthalt und allem, was er erlebt hatte, nicht nach Deutschland zurückführte, war nur zu verständlich. In Saint Louis hatte man ihm eine befristete Lehrtätigkeit angeboten, später wechselte er nach New York und nahm dort eine Dozenten-Stelle an.

"Beckmann & Amerika": mit Zigarette in der Hand, verhärteten Gesichtszügen und finsterem Blick porträtierte er sich, zur Selbstbehauptung fest entschlossen. Max Hollein, Direktor des Städel Museums, über das Lebensgefühl des Künstlers:

"Die letzten Jahre von Max Beckmann waren ambivalent. Da war einerseits die Freude, endlich in Amerika zu sein - in dem Land, auf das er im Exil, in Amsterdam, lange gewartet hatte, die Freude, die weite Landschaft und andere Dinge zu erleben. Das findet man auf seinen Bildern wieder. Auf der anderen Seite sind gerade die späten Werke auch von einer sehr dunklen Palette geprägt: von der Verarbeitung einer sehr schwierigen Zeit, die Beckmann vorher durchlebt hat - Erfahrungen, die ihn, der ja auch vorher schon ein sehr abgründiger Künstler war, dazu gebracht haben, einige seiner vehementesten Bilder zu schaffen."

Dieses Oeuvre war eben nicht der müde Epilog eines durch die Welt Getriebenen. Kuratorin Jutta Schütt:

"Wer vor diesen Gemälden steht, spürt, welche Vitalität in diesem Spätwerk aufblüht. Ein solches Spätwerk - es sind hier die letzten drei Jahre-, muss ja nicht unbedingt einem Auftrieb gleichkommen, aber hier wird nicht nur an der Vielfalt der Themen, sondern auch am Umgang mit der Farbe und an den Kompositionen deutlich, welche Energie drinsteckt: geistige Energie und malerische Vitalität, die dort zusammenkommen."

Beckmann brachte starkfarbige Stilleben auf die Leinwand - mit Kerzen oder mit Cello und Bassgeige. Er porträtierte Freunde und Förderer - und sich selber dreimal noch in Öl. Christus, Perseus und die Walküre mit Speer und Schild ließ er auftreten, schuf umfangreiche Figurenszenen und ganze Triptychen in einer neuen Umgebung, die Heimat so recht nicht mehr werden konnte. Und er zeichnete viel, nur die Druckgrafik spielte keine große Rolle mehr.

Beckmann reiste trotz angeschlagener Gesundheit, sooft er konnte und erkundete die Staaten. Landschaften finden sich in seiner Kunst wieder, und San Francisco erscheint auf einem seiner besten Gemälde als schiefe Metropole, die Wolkenkratzer schwanken wie Halme im Wind. Der urbane Amüsierbetrieb blitzt auf seinen Bildern immer mal auf - mit Tanzvergnügen, Bars und freigiebigen Frauen.

Stilistisch aber teilt sich sehr viel Kontinuität mit: Figurative Darstellungen sind es in starken Farben und mit dicken schwarzen Konturen, verschlüsselte Szenen, immer wieder mythologisch überhöht. Und doch machten sich auch neue Akzente bemerkbar. Jutta Schütt:

"Im Umgang mit den Farben spürt man, dass dort etwas Neues passiert: Sie werden sehr viel kräftiger. Was Beckmann in den 20er-Jahren beschäftigte - die Bewältigung des Raumes auf der Fläche-, ist nun nicht mehr so von Bedeutung."

Max Beckmann hatte Verbündete, die seine Bekanntheit in den USA förderten. Aber er beobachtete auch die Künstler-Konkurrenz, die auf dem Markt Furore machte. "Nächstens werde ich nur noch abstrakt malen, das ist angenehmer”, schrieb er im Mai 1949 sarkastisch in sein Tagebuch. Es war eine aufregende Zeit. Jutta Schütt:

"…, weil dort der Abstrakte Expressionismus aufkam. Jackson Pollock, Barnett Newman und Mark Rothko schaffen ihre aufregenden Werke, die dann wichtig werden für die europäische Kunst. Eine andere Position sind die französischen Künstler: In den Sammlungen, die er besucht und sieht, hängen überall Franzosen - aber diese Sammler werden dann auch ihren Beckmann erwerben, so wie Pulitzers in Saint Louis oder Rockefellers in New York."

Zu seinen kontrovers interpretierten Bildern gehört bis heute der "Abstürzende”. Zwischen Hochhäusern, in denen es brennt, fällt ein Mann kopfüber in die Tiefe. Man kann es aber auch anders sehen: Er wechselt wie ein die Wirklichkeit überwindender Künstler aus der gewalttätigen Welt in ein anderes, geradezu jenseitiges Reich. Denn da ist auch viel Blau zwischen den Häusern zu erkennen - mit Barken und engelsähnlichen Wesen. Und Beckmanns letztes Triptychon "Die Argonauten” geriet zur hymnischen Verklärung der Künste. Er vollendete es am Tag vor seinem Zusammenbruch.

Man mag in dieser Schau einzelne seiner späten Werke vermissen - so sein letztes Selbstbildnis -, aber die Freude, so viele Kabinettstücke aus der finalen Schaffenszeit hier anzutreffen, überwiegt bei weitem. Ein unvollendet gebliebenes Gemälde, das wie eine Vorahnung erscheint und "Backstage” betitelt ist, gehört sogar zum Städel-Bestand.

Ein Beckmann-Jahr mit reizvollen Facetten: Können schon die opulenten Ausstellungen in Basel und Leipzig mit den Porträts und Landschaften den Blick auf diesen vielseitigen Künstler schärfen, so ist in Frankfurt am Main noch einmal ein großer Wurf gelungen. "Beckmann & Amerika": Nie zuvor ist die künstlerische Blüte seiner letzten drei Jahre derart anschaulich geworden.