Kreative und leckere Küche

Achterbahnfahrt der Aromen in Peru

Mistura ist eine jährliche gastronomische Messe, die in Lima jedes Jahr in der zweiten Septemberwoche stattfindet.
Ein Stand auf einer jährlich stattfindenden Gastronomie-Messe. © picture alliance / dpa / Paolo Aguilar
Von Anne Herrberg · 27.01.2016
Pisco und Ceviche kennt inzwischen jeder. Aber Seeigel mit Meeresparmesan, Kokabrot mit Huacatay-Kraut oder Shampoo aus Bergmais? Perus kulinarischer Kosmos ist unerschöpflich - die Zutaten dazu wachsen in einem Land, das von den höchsten Andenwipfeln über den tiefsten Amazonas-Regenwald bis zu den rauen Pazifikküsten alle Klimazonen zu bieten hat.
"Die Magie dieser Stadt liegt in ihrer Vielseitigkeit. Wir alle hier in Lima tragen einen Mix aus verschiedenen Kulturen in uns. Und so ist unsere Küche. Also ein Tipp, wenn du in Lima bist: Gib dich dem Essen hin!"
Wenn er das sagt: Gastón Acúrio, mehrfach unter die besten Köche der Welt gewählt, Vorkämpfer für Biofood und Nachhaltigkeit, raffinierter Geschäftsmann und kulinarischer Botschafter seines Landes Peru. Aber er ist längst nicht mehr der Einzige.
Die lukullische Reise durch Lima beginnt fünf Meter unter dem Meeresspiegel.
"Unser erstes Ökosystem: 'Felsenspinnen': Das hier sind Schlüsselschnecken auf Krabbenkrokant. Mit Zitrusschaum und eingelegtem Beerentang. Guten Appetit, iss' das am besten mit der Hand."
Die Empfehlung des Kellners in Lateinamerikas derzeit angesagtestem Restaurant: Dem Central, untergebracht in einem stattlichen Steinhaus im schicken Miraflores-Viertel. Drinnen begrüßt schlichte Eleganz, die Restaurantküche liegt hinter Glas, frei für die neugieren Blicke der rund 50 Gäste, die zwei Monate im Voraus reserviert haben, um hier zu speisen. Für umgerechnet gut 100 Euro, oder: den Durchschnittsverdienst eines Peruaners pro Woche. Dafür geht es im Central auf Achterbahnfahrt durch alle Klimazonen: vom Pazifik in Nebelwälder, vom Amazonas in Hochtäler, vom Grund einer Lagune bis auf einen 4000er in den Anden.
"Wir orientieren uns an den 'Alturas', den verschiedenen Meeres-Höhen, auf denen wir unsere Produkte zusammensammeln."
... erklärt Virgilio Martinez. Der Chefkoch ist ein zierlicher Typ, Ende 30, mit dunklen, warmen Augen und Röhrenjeans. Der Vater Gourmet, die Mutter Künstlerin. Und Virgilio richtet jeden Teller mit der Pinzette an. Gelernt hat er im renommierten Cordon Bleu in London, gekocht in Barcelona, Singapur und New York, aber das war es nicht, was ihn interessierte:
Im Restaurant lernt man 18 verschiedene Regionen des Landes kennen
"Durch die Speisen lernst du 18 Regionen in Peru kennen und damit immer auch die Menschen, unsere Kultur. Es ist uns dabei sehr wichtig, mit der lokalen Bevölkerung zusammen zu arbeiten. Und dabei nicht nur ein einseitiges Geschäft zu machen, sondern so, dass vom Geld, das die Leute hier im Restaurant ausgeben, auch die Zulieferer und Produzenten profitieren. Darin sehe ich auch eine Verantwortung der Köche von heute. Anstoß zu geben, darüber nachzudenken, was wir essen. Wie wir essen. Und wie das die Produktion beeinflusst. Die Menschen, die Tiere, das Ökosystem."
Virgilio ist deswegen selbst ständig auf Reisen – auf Expedition in seinem eigenen Land, dem er den Rücken kehrte in Jahren des Bürgerkrieges und Terrors – in den 1980er und 90er Jahren. Nun entdeckt Virgilio seine Heimat wieder:
Einer der Spitzenköche Perus: Virgilio Martinez
Einer der Spitzenköche Perus: Virgilio Martinez© Deutschlandradio / Anne Herrberg
"Das hier ist eine Variation aus verschiedenen Maissorten, gelbem, violettem und rotem Mais. Ich präsentiere dir dieses Gemüse in verschiedenen Texturen, knusprig, cremig, faserig bis flüssig. Das hier ein Maisdrink gemischt mit dem Saft der Bananenpassionsfrucht Tumbo. Trink das am besten ganz am Schluss auf Ex."
Der schwere Geruch von Erde und Feuer steigt in die Nase
Ein Geschmackserlebnis auf der Zunge und im Kopf entstehen Bilder:
Eine frische Brise fährt durch Felder und Obstwiesen in den fruchtbaren Tälern von Limas Hinterland. Plötzlich steigt der schwere Geruch von Erde und Feuer in die Nase. Serviert wird jetzt Koka-Brot, gebacken im Nest aus den Blättern des heiligen Strauches, der hoch oben in den Anden wächst. Dann wird es kühl und glibberig: Kaviar aus Cushuro-Bakterien. Sie werden auch Blaualgen genannt und wachsen ebenfalls in der Kordillere. In den glasklaren Pfützen, die sich bei Regen zwischen den Felsen bilden.
"Die Gastronomie hat hier den Tourismus und die Wirtschaft angekurbelt. Und einen Wandel in Bewegung gesetzt, im Leben der Menschen. Eben durch die Gastronomie. Denn heute kommen Leute aus der ganzen Welt nicht nur um Macchu Pichu zu sehen, sondern auch, um unsere Küche kennen zu lernen."
Drei der 100 offiziell besten Restaurants der Welt sind derzeit in Lima, laut dem Fachblatt "Restaurant Magazin". Die Pazifik-Metropole gilt als Gourmethauptstadt Südamerikas. Völlig logisch eigentlich, findet derjenige, der zum ersten Markenzeichen für Spitzenküche aus Peru wurde: Gastón Acurio.
"Lima war die Hauptstadt des spanischen Vizekönigreichs in Amerika, hier gab es Geld für rauschende Feste und gutes Essen. Peru ist ein Land, das seit Jahrtausenden von verschiedenen Hochkulturen wie den Inkas geprägt wurde, die Ackerbau und Zubereitungsmethoden perfektioniert haben. Außerdem hat Peru eine biologische Vielfalt, wie kaum ein anderes Land der Welt. Dazu kamen die Einflüsse verschiedener Einwandererkulturen: Chinesen, Japaner, Spanier, Italiener, Araber. Und daraus ist eine Fusion entstanden, die letzten Endes das ist, was wir sind: peruanisch."
Die regionale Küche wurde lange nicht wertgeschätzt
Nur: Vor 20 Jahren habe das kaum einer wirklich wertgeschätzt, erinnert sich seine Frau und Geschäftspartnerin Astrid Gutsche. Die beiden haben sich in Frankreich kennengelernt, dort studierten beide ihr Metier. Heute leiten Astrid & Gastón ein kulinarisches Imperium mit 40 Restaurants in elf verschiedenen Ländern. Astrid ist gebürtige Hamburgerin, aber im Interview spricht sie doch lieber spanisch:
"Als ich herkam, konnte ich nicht verstehen, warum die Köche hier kaum landestypische Zutaten verwendet haben. Vorbild war die europäische Küche, das peruanische galt als minderwertig. Quinoa, Papas Andinas, die zig Kartoffelarten der Anden zu essen, ein kulinarischer Schatz der Menschheit. Damals undenkbar auf einer Menükarte. Oder gar ein Cuy zu essen, das Meerschweinchen galt den Inkas schon als eine Delikatesse, es ist zart und eiweißreich, es gehört hier zur Kultur. Aber vor 20 Jahren war das so, als ob du eine Ratte isst. Da spürte man, wie schwer das Erbe der Kolonialgeschichte auch auf der Küche lastete."
Gäste machen bei der Neueröffnung des Gourmetrestaurants Astrid & Gaston in der peruanischen Hauptstadt Lima am 17.2.2014 Handyfotos.
Gäste machen bei der Neueröffnung des Gourmetrestaurants Astrid & Gaston in der peruanischen Hauptstadt Lima Handyfotos© picture-alliance / dpa / Paolo Aguilar
Surquillo, einer dieser typischen Stadtteilmärkte von Lima. Von außen eine trister Betonbau inmitten von Lagerhallen, Ramschläden, Großstadthektik und dem ewigen Dröhnen des Verkehrschaos Limas. Drinnen eine Explosion aus Farben, Formen und Gerüchen. Frischer Fisch wird angepriesen, um Hühnerherzen und Schweinefüße gefeilscht, Pülverchen abgefüllt, Säcke, Kisten und Bottiche geschleppt. Und an den Obsttheken stapeln sich neben Papaya, Mango, Bananen Früchte mit Namen, die direkt in den Amazonasurwald entführen: Lúcuma, Aguaje, Umarí. Doch die beste Marketingstrategie hat Alicia Terre Aguilar, mit runzligen, aber vergnügten Augen. So sitzt sie fast versteckt zwischen ihren Bastkörben voller Kräuter, Trockenfrüchte, Nüssen und Samen: Kiwicha, Cañihua, Quinoa, Maca.
"Du wirst nicht glauben, wie alt ich bin! 100 Jahre!"
"Du wirst nicht glauben, wie alt ich bin! 100 Jahre! Das Geheimnis ist die gute Luft und das Essen aus der Sierra, aus den Anden. Hier: die Quinoa, das ist ein wilder Samen, der viel Eiweiß, Calcium und Eisen hat. Heute wollen alle Quinoa haben, deswegen kostet sie ein bisschen mehr jetzt. Genauso wie Maca. Das ist eine Knolle, die wird gemahlen und gibt dir Kraft, besonders die Männer sind verrückt danach, weil sie Kraft bei der Liebe gibt. Die Chinesen und die Koreaner kaufen alles auf. Weil das bei denen nicht wächst, das ist eine Pflanze aus den Anden."
In den Einkaufskorb wandern: drei Pack Quinoa und 20 Gramm Maca für alle Fälle - die Hundertjährige zwinkert und kichert: Ich bin erst 76, sagt sie, aber der Rest ist wahr. Chapeau, Dona Alicia!
Weitere Einkäufe sind: frischer Fisch, Limetten, Paprika. Die Basis-Zutaten für das wohl traditionsreichste Mittagessen in Lima – und in ganz Peru:
"Ich erkläre dir jetzt kurz, wie man ein gutes Ceviche macht."
Jose del Castillo kocht Hausmannskost in einer kleinen Taverne
Jose del Castillo kocht Hausmannskost in einer kleinen Taverne© Deutschlandradio / Anne Herrberg
José del Castillo ist Sohn seiner Mutter Isolina, die gut kochen konnte und ihre Hausmannskost irgendwann in einer Kneipe verkauft hat: Die wurde Kult und inzwischen hat die Familie mehrere Restaurants. Das Isolina ist eine gemütliche Taverne im Trendviertel Barranco. Essen wir früher bei der Oma zu Hause. Messlatte für die Qualität seiner Küche bleibt aber Ceviche.
Das einfache Gericht gelingt vielen nicht
"Es ist ein ganz einfaches Gericht, aber vielen gelingt es doch nicht. Das wichtigste ist: ganz frischer Fisch, also wirklich ganz frischer Fisch. Du kannst zum Beispiel Seezunge nehmen. Filetiert und in kleine Stücke geschnitten. Dazu ein bisschen fein geschnittene scharfe Paprika, wir hier benutzen Rocoto. Jetzt noch frischen Koriander und feine Zwiebelringe. Dazu Limettensaft, aber frisch gepresst, ganz frisch gepresst. Das macht den Geschmack aus."
Roher Fisch in einer Limetten-Chilli-Koriander-Marinade, die Tigermilch heißt. Ein Gedicht, und Gastón Acurio fasst es so in Worte:
"Es ist eine Liebesgeschichte zwischen dem Meer und den Anden und daraus geht ein Sohn hervor, der Ceviche heißt."
Der Gastro-Boom hat Lima verändert: wichtige Nahrungsmittel-Messen finden statt, wie die Mistura. Bio und Nachhaltigkeit wird wichtiger, außerdem sprießen jeden Tag neue Restaurants aus dem Boden – und es ist seine Aufgabe, diese zu testen: Javier Masias, begeisterter und stadtbekannter Gastro-Kritiker:
"Peru hat sehr schwere Zeiten durchgemacht. Ich habe in den 80er Jahren eine Hyperinflation erlebt, Terroranschläge, Krise und Gewalt. Niemand ging auswärts essen, aus Angst, das in jedem Moment überall eine Bombe explodieren könnte. Heute ist das vorbei. Essen gehen war plötzlich wie eine Befreiung. Argentinier gehen ins Fußball-Stadion, andere gehen in die Opern, wir gehen essen."
Das Restaurant "Picanteria" zu finden ist nicht ganz einfach. Der Trick: Man muss den Polizisten an einer Straßenecke im Marktviertel Surquillo fragen, der hat den Schlüssel.
Drinnen ist es zum Zerbersten gefüllt, die Stimmung ist bestens, die Portionen sind riesig und jeder isst bei jedem mit.
"Alles schmeckt lecker, alle lieben Essen ..."
... sagt Jonas Kecskemethi. Der Deutsch-Peruaner hat im Berliner Trendclub Bar 25 gekocht und vor einem Jahr ein Strandrestaurant bei Lima aufgemacht: 5 p.
"Nicht wie in Deutschland, wo man halt guckt wie man möglichst billig noch was bei Aldi einkauft und in Peru identifiziert sich jeder mit dem peruanischen Essen und jeder kann kochen, egal wo man ist."
Im Armenviertel Pachacutec gibt es eine Kochschule
Zum Beispiel in Pachacutec, einem Armenviertel auf einer riesigen Düne nördlich des Hafens von Lima. Es gibt kein fließendes Wasser, aber eine Kochschule – gefördert übrigens von Gastón Acurio.
Im Armenviertel Pachacutec gibt es kein fließendes Wasser, aber eine Kochschule
Im Armenviertel Pachacutec gibt es kein fließendes Wasser, aber eine Kochschule© Deutschlandradio / Anne Herrberg
Es herrscht Hochbetrieb, denn das Abschlussexamen steht an. Und Jerson Olivares, 19, hat Carapulcra gekocht: einen deftigen Eintopf aus den Anden, mit Trockenkartoffeln, Erdnüssen und Yucca:
"Meine Eltern fanden das nicht toll, dass ich Koch werden wollte. Das gibt doch kein Geld, haben sie gesagt. Früher war Koch ein Job mit schlechtem Ruf, dank Gastón wollen heute alle Koch werden, weil alle stolz auf unsere gute Küche sind."
Sein Traum: ein Restaurant aufzumachen, hier in seinem Viertel – und dabei die Nachtische zu kreieren, am besten mit Zutaten aus dem Amazonas. Der 19jährige ist, mit einem Stipendium, erstmals in die grüne Lunge Amerikas gereist:
"Ich habe da Früchte kennengelernt, die komplett neu für mich waren. Für Eis, Pralinen, Cremes. Und Zubereitungsarten, und einen Kakao, der unbeschreiblich war. Das liebe ich am Koch sein, dass du reisen kannst, das öffnet dir den Horizont, da lernst du sehr viel für das Leben."
Darauf und zum Verdauen einen Pisco Sour – das peruanische Nationalgetränk aus dem Traubenschnaps Pisco, frischen Limetten, einem halben Eiweiß, auf Eis geschüttelt. Das Nachbarland Chile behauptete zwischendurch zwar, ebenfalls Erfinder des Pisco zu sein. Gastón Acurio hat nur ein Schulterzucken dafür übrig.
"Für uns ist der Pisco Teil unserer ureigenen Identität. Wir haben Pisco Sour, Chilcano, wir trinken Pisco nach einem Essen, stoßen damit mit guten Freunden an. Und manchmal verwenden wir ihn auch zum Kochen. Aber am Wichtigsten ist: Er ist Teil unseres Lebens. Was für die Deutschen das Bier darstellt, ist für uns der Pisco."
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