Kreativ zwischen Moskau und Berlin

Von Sigrid Brinkmann · 02.10.2013
In den Fernsehserien "Soko Wismar" oder "Küstenwache" konnte man Monika Gossmann sehen, aber auch in Kinofilmen. Die 31 Jahre alte Schauspielerin wurde in Kasachstan geboren und lebt inzwischen in Berlin. Derzeit pendelt sie nach Moskau, wo sie zum ersten Mal Regie führt.
Mit federnd-leichtem Schritt steuert Monika Gossmann einen Tisch im "Brel" an. Sie mag die Chansons des melancholischen Belgiers, der als Namensgeber für das Café dient, aber in die fließenden Klavierläufe des Italieners Ludovico Einaudi taucht sie noch lieber ein.

Monika Gossmann kam in Kasachstan zur Welt, in Alma-Ata, nicht weit entfernt von der chinesischen Grenze. Ich schaue in ihre mandelförmigen Augen und bin auf der Stelle bereit, ein mongolisches Erbe herbeizufantasieren. Aber nein. Die Vorfahren sind deutsch. Sie kamen im 18. Jahrhundert mit Katarina der Großen nach Russland. Unter Stalin mussten sie umsiedeln, an die Wolga und nach Sibirien.

"Man konnte nicht reisen. Man musste es auch ein bisschen flach halten. Meine Oma hat Deutsch mit uns gesprochen, schwäbisches Deutsch. Dieses Wolga-Deutsch oder Ukrainer-Deutsch, die haben diesen Dialekt, die meisten waren ja aus Hessen, aus der Pfalz, aus Schwaben …" (Lachen)

… und Monika Gossmann wurde evangelisch getauft, heimlich natürlich, denn opportun war das zu Sowjetzeiten nicht. Als sie drei Jahre war, zog die Familie nach Tadschikistan. Sie erinnert sich an den Ruf des Muezzins früh am Morgen und:

"… die Riesenwassermelonen und Honigmelonen und den Markt, an die Sonne, und wir sind ständig auf der Straße als Kinder herumgerannt, Unmengen von Nationalitäten, eine unheimlich wilde Kindheit."

Die Mutter ist Lehrerin, der Vater Augenarzt. Als Michael Gorbatschow 1988 an die Spitze des Obersten Sowjets kam, nutzte die Familie die Chance, nach Deutschland auszureisen. In Hamburg hat Monika Gossmann eine Ausbildung zur Tänzerin gemacht und in Moskau drei Jahre lang Schauspiel studiert. Dann folgten Workshops an der Yale University in Boston. Sie mag es nicht, auf eine Begabung festgelegt zu werden:

"In den Staaten und in Russland ist man einfach Künstler. Manch einer malt, manch einer komponiert nach der Schauspielschule, wird Artist nebenbei. Ich glaube, wenn man einmal den Zugang hat zum Kreativen. – Ich kann und will mich da nicht festlegen und möchte auch keinen missen."

Singen kann Monika Gossmann natürlich auch, und ohne zu zögern hat sie das Angebot angenommen, ein Stück des britischen Dramatikers Stephen Clark zu inszenieren, auf Englisch. Aber das ist längst nicht alles.

"Meine Ruhepausen beschränken sich auf einen Tag. Mir wird sehr schnell langweilig mit dem Alltag. Dafür bin ich irgendwie nicht gemacht. Ich habe eine Doktorarbeit angefangen zu schreiben, das sind so meine Lückenfüller!" (Lachen)

Bis zur Russischen Revolution 1917 fanden jedes Jahr 40 deutsche Theaterpremieren in Sankt Petersburg statt, und Monika Gossmann durchkämmt nun Archive nach deutsch-russischem Bühnenmaterial. Sie will herausfinden, wie sehr das deutsche Theater den legendären Schauspielerneuerer Stanislawski ästhetisch beeinflusste.

Wenn sie nach Sankt Petersburg und Moskau reist, muss ihr Mann mit dem Hund Gassi gehen und die Pflanzen im Schrebergarten mitten in Berlin bewässern. Er kommt aus Russland und ist auch Schauspieler. Verheiratet sind die beiden seit sechs Jahren.

" Wenn man dort ist, und alle sind verheiratet mit 18, 19, denkt man mit 25 irgendwie, vielleicht sollte man ja! (Lachen) Und die Männer sind anders eingestellt. Dort wird öfter mal geheiratet, aber natürlich auch geschieden!" (Lachen)

Um zu erklären, wie es sich anfühlt, zwischen Sprachen, Nationalitäten und Mentalitäten zu wechseln, greift Monika Gossmann auf ein Bonmot zurück, und die Espressomaschine zischt dazu.

"Wie Tschechow sagte: Was gut ist für den Russen, ist der Tod für den Deutschen, und umgekehrt, und als Russlanddeutsche bist du immer dazwischen."

Monika Gossmann lebt und arbeitet in drei Sprachen. Die Archivrecherche, die Dreharbeiten, das Inszenieren und Vorsprechen für neue Rollen – all das nimmt sie ganz pragmatisch.

"Ein Casting ist mittlerweile wie eine Probe für mich, eine Möglichkeit, mich auszuprobieren, irgendeinen verrückten Charakter zu formen. Wenn ich den abgelegt habe – und den muss ich auch hundertprozentig ablegen -, danach bin ich befreit."

Bei Aufnahmen für ein Musikvideo hat Monika Gossmann die Drehbuchautorin Nira Bozkurt kennengelernt. Die beiden haben sich angefreundet und die Produktionsfirma Stormrider Films gegründet. Im Frühjahr wollen sie in Berlin mit den Dreharbeiten für einen Thriller beginnen. Noch werden weitere Investoren gesucht, aber der ansteckende Optimismus, den Monika Gossmann ausstrahlt, wird das Vorhaben schon zum Erfolg tragen.

"Thriller in Deutschland. Irgendwie traut man das den Deutschen nicht zu, aber wir sind anderer Meinung." (Lachen)