Krankheit ohne Grenzen

Von Leonie March · 18.07.2012
Malaria ist die häufigste Krankheit im Kongo. Rund 200.000 Menschen sterben in jedem Jahr daran, vor allem Kinder und schwangere Frauen, deren Immunsystem geschwächt ist. Die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Malaria sind fatal.
Das dreijährige Mädchen schaut mit glasigem Blick an die Decke, eine Infusion im dünnen Ärmchen. Vor ein paar Tagen ist meine Kleine hier ins Krankenhaus eingeliefert worden, erzählt Safi Makomba.

"Meine Tochter hat zuerst Malaria bekommen und dann auch noch Meningitis. Aber sie scheint jetzt auf dem Weg der Besserung zu sein. Ich habe elf Kinder, die häufig an Malaria erkranken. Sie bekommen Fieber, ihnen ist schlecht und ihre Muskeln schmerzen. Ich kenne die Symptome mittlerweile. Wenn das Fieber zu hoch steigt, bringe ich sie zur Behandlung hier ins Krankenhaus."

Die Kinderstation im Krankenhaus der Provinzhauptstadt Lubumbashi ist ein karger rechteckiger Raum. An den Wänden reiht sich ein Gitterbettchen ans nächste. Fast zwei dutzend Kinder werden hier stationär versorgt. Einige hängen am Tropf, kaum eines ist älter als fünf Jahre, die meisten leiden an Malaria. Die Mütter sitzen auf Decken auf dem Boden, viele haben ihren Töchtern und Söhnen Essen mitgebracht.

Füttern und Waschen der Kranken ist hier eher Aufgabe der Familien, nicht des Pflegepersonals. Zwei Krankenschwestern in blütenweißen Kitteln schauen zwischendurch herein, erneuern Infusionen, verabreichen Medikamente oder messen Fieber. Malaria ist die mit Abstand häufigste Krankheit in der Demokratischen Republik Kongo, jedes Jahr sterben rund 200.000 Menschen daran, erzählt Dr. Sylvain Kongolo, Mediziner und stellvertretender Direktor des Krankenhauses in Lubumbashi.

"Laut unserer Statistik kommen etwa 70 Prozent der Patienten wegen Malaria ins Krankenhaus. Darunter sehr viele Kinder unter fünf Jahren. Ihr Immunsystem ist besonders anfällig. Die zweitgrößte Gruppe der Patienten sind schwangere Frauen. Bei ihnen kommt es aufgrund der Malaria oft zu Komplikationen wie Fehl- oder Frühgeburten."

Viele Patienten wenden sich leider erst an uns, wenn die Krankheit schon weit fortgeschritten ist, fügt der Arzt hinzu. Häufig kann dann nicht mehr geholfen werden: Malaria ist einer der Hauptgründe für die hohe Kindersterblichkeit im Land, eines von sechs Kindern erlebt seinen fünftenGeburtstag nicht.

Safi Makomba, die Mutter des kranken Mädchens, kennt das Risiko, seit sie selbst ein Kind verloren hat. Doch viele Menschen können sich die Behandlung nicht leisten, erzählt sie. Krankenversicherungen gibt es nicht. Die Kosten sind je nach Klinik, Medikamenten und Schwere der Krankheit sehr unterschiedlich. Sie können von unter zwei auf über 40 Euro steigen. Eine enorme Summe für die Mehrheit der Bevölkerung, die unterhalb der Armutsgrenze lebt.

Vorsichtig wickelt die Mutter ihre Tochter in eine Wolldecke, wringt den Lappen aus, mit dem sie die Dreijährige gerade gewaschen hat und bringt den Wassereimer nach draußen. Vor der Kinderstation warten mehrere Frauen mit ihren Kindern. Geduldig hocken sie im Schatten des Gebäudes, warten bis sie dran sind. Manchmal kann das mehrere Stunden dauern. Der Andrang ist groß, das Fachpersonal unterbesetzt. In einer betonierten Abflussrinne steht das Wasser, eine potenzielle Brutstätte für Moskitos. Es riecht nach Krankheit, nicht nach Desinfektionsmitteln. Trotz der offensichtlichen Mängel haben die Menschen hier in der Stadt eine bessere Chance wieder gesund zu werden, als auf dem Land, betont Kalil Sagno vom internationalen Kinderhilfswerk UNICEF.

"Die Leute sind durch die Medien besser aufgeklärt. Wenn ein Kind hohes Fieber bekommt, wissen sie, dass es Malaria haben könnte. Und da die städtischen Gesundheitseinrichtungen für sie gut erreichbar sind, können sie ihre Kinder auch dort behandeln lassen. Auf dem Land sieht das anders aus: Die nächste Klinik liegt meistens sehr weit entfernt. Außerdem wissen die Leute weniger über die Krankheit. Die Konsequenz ist, dass in der Stadt weniger Menschen an Malaria sterben, obwohl die Krankheit hier genauso häufig vorkommt wie auf dem Land."

Kalebuka. Das Dorf liegt nur wenige Kilometer von der Stadtgrenze Lubumbashis entfernt und doch in einer anderen Welt. Auf der ausgewaschenen Sandpiste transportieren Männer stapelweise Säcke mit Holzkohle auf dem Fahrrad. Oft das einzige Transportmittel. Ein mühsamer Kraft- und Balanceakt. Vor grasgedeckten Steinhäusern kochen Frauen auf offenem Feuer das Essen für ihre Familien. Auf kleinen Feldern bauen sie Mais und Maniok, Spinat und Erdnüsse an. Die örtliche Klinik unterscheidet sich nur durch die verputzte Fassade und das Wellblechdach von den andern Häusern. Strom oder Wasser hat auch sie nicht.

Auf einer Holzbank vor dem Eingang warten zwei Frauen. Die Einrichtung drinnen ist trostlos: Die Ausstattung des winzigen Labors besteht nur aus einem Mikroskop. Auf einem wackligen Tisch im Behandlungszimmer liegt ein Fieberthermometer neben ein paar Spritzen und Ampullen, windschiefe Moskitonetze hängen wie Zelte über den unbezogenen Betten. Es fehlt an allem, meint Krankenpfleger Lusa Kaya, wir stoßen hier täglich an unsere Grenzen.

"Dieses Gesundheitszentrum ist für die Basisversorgung von rund 6.800 Menschen zuständig. Aber sie sehen ja selbst, wie begrenzt unsere Kapazität ist. Wir haben nur sieben Krankenbetten in diesem Zimmer und drei Betten für Gebärende nebenan. Mehr als die Hälfte unserer Patienten hat Malaria. Viele Kinder leiden an einer schweren Form mit Anämie. Sie brauchen also Transfusionen. Aber komplizierte Fälle können wir hier nicht behandeln. Wir müssen sie an größere Kliniken in der Stadt überweisen. Es ist wirklich zum Verzweifeln: Uns fehlen die notwendigen Medikamente, wir haben nicht einmal ordentliche Bettwäsche für die Patienten. Auch sauberes Trinkwasser gibt es in dieser Gegend nicht."

Die Klinik ist kein Einzelfall. Internationale Hilfsorganisationen sprechen von einer chronischen Krise des Gesundheitssystems. Jahrzehnte der Kolonialherrschaft, Mobutu-Diktatur und Bürgerkriege haben deutlich Spuren hinterlassen. 2006 fanden erstmals seit dem Ende der Diktatur wieder demokratische Wahlen statt. Seitdem seien durchaus Fortschritte erzielt worden, meint Melanie Silbermann, medizinische Koordinatorin von "Ärzte ohne Grenzen" in der Provinz Katanga. Aber insbesondere auf dem Land sei die Situation noch immer dramatisch.

"Die Bevölkerungszahl von Katanga liegt bei 10 Millionen, allein im letzten Jahr gab es 1,2 Millionen registrierte Malariafälle, offiziell registrierte. In diesem Jahr sind wir schon jetzt bei 550.000. Es ist also die Krankheit mit der größten Ausbreitung in Katanga."

Auch in der Klinik in Kalebuka haben die schweren Malariafälle in letzter Zeit zugenommen. In dem Behandlungszimmer mit den windschiefen Moskitonetzen sitzen mehrere Frauen auf den Betten: Eine hat ein schwerkrankes Kleinkind auf dem Arm, das apathisch am Tropf hängt, eine andere stillt ihr Neugeborenes. Am Vormittag hat Bupe Kilombo hier ihr siebtes Kind zur Welt gebracht. Ein Mädchen. Zum Glück gesund.

"Ich hatte während meiner Schwangerschaft Malaria, aber kein Geld für die Behandlung. Ich hatte große Angst, denn meine Schwester ist auf diese Art gestorben. Mir blieb dennoch nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass die Krankheit von selbst verschwindet. Ich bin allein erziehend und kann meine Kinder ohnehin kaum ernähren. Wir leben von dem, was wir auf unserem Feld anbauen. Bei einer guten Ernte kann ich manchmal etwas auf dem Markt verkaufen und ein wenig Geld verdienen. Meistens aber bleibt nichts übrig. Und wenn ich krank werde, haben meine Kinder nicht genug zu essen."

Viele Leute in der Gegend teilen dieses Schicksal, meint Krankenpfleger Lusa Kaya. Die Armut ist groß, die Möglichkeiten, Geld zu verdienen noch geringer als in der Stadt. Um den Menschen hier zu helfen, muss man erfinderisch sein, fügt er lächelnd hinzu.

"Die Patienten müssen natürlich für ihre Behandlung bezahlen, aber wenn sie das gerade nicht können, dann gibt es auch andere Möglichkeiten. Sie lassen ein Pfand da, wie das Kofferradio da drüben, oder sie stottern die Summe nach und nach in Raten ab. Wir führen hier eine entsprechende Liste. Wenn es zu lange dauert, gehen wir bei den Patienten zuhause vorbei und erinnern sie daran, dass sie uns noch Geld schulden. Aber manchmal verschwinden die Leute spurlos. Da kann man nichts machen."

Der Vater von sechs Kindern zuckt mit den Schultern. Ohne Leidenschaft ist man in diesem Job fehl am Platz, meint er. Zwar gehöre er mit seiner festen Arbeitsstelle zu einer privilegierten Minderheit, doch sein Gehalt reiche gerade einmal zum Überleben.

Die schlechte Bezahlung des medizinischen Personals, ist ein großes Problem, bestätigt UNICEF-Gesundheitsexperte Kalil Sagno. Immer wieder kommt es vor, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen müssen, um überhaupt behandelt zu werden. Ein Akt der Verzweiflung auf beiden Seiten.

"Es gibt in diesem Land Ärzte, die gerade einmal 40 Euro im Monat verdienen. Wie sollen sie davon Lebensmittel, Schulgeld, Miete, öffentliche Verkehrsmittel und alle anderen Kosten für ihre Familie bezahlen? Also versuchen einige ihr Gehalt aufzubessern, indem sie Geld von den Patienten verlangen. Und weil es gerade auf dem Land zu wenige Kliniken als Alternative gibt, lassen sich die Kranken in ihrer Notsituation darauf ein. Die meisten können sich das allerdings nicht leisten. Sie sind bitterarm und werden deshalb von diesen Ärzten nicht behandelt."

Eine Möglichkeit, diesen Menschen zu helfen, sei eine bessere Vorbeugung, fügt Kalil Sagno hinzu. Ende April hat UNICEF gemeinsam mit der Regierung und anderen internationalen Partnern eine entsprechende Kampagne ins Leben gerufen. Jeder Haushalt soll mindestens ein Moskitonetz bekommen. Ein wirksames und dazu kostengünstiges Mittel, um die Ansteckung zu vermeiden und die Kindersterblichkeit drastisch zu senken. Klingt nach einer einfachen Lösung, doch die Verteilung von allein fünf Millionen Netzen in der Provinz Katanga ist große Herausforderung.

Vor einer Lagerhalle in Katangas Provinzhauptstadt Lubumbashi stehen mehrere LKW für den Transport bereit. Gut ein dutzend Männer stapeln die verschnürten Bündel mit den Moskitonetzen auf den Ladeflächen. Der Italiener Gabriele Salmi überwacht die Arbeit. Er ist der Koordinator der Nichtregierungsorganisation ALBA, die für Logistik und Transport zuständig ist.

"Die Provinz Katanga ist so groß wie Frankreich, aber es gibt kaum ausgebaute Straßen. Für eine Strecke von 200 bis 300 Kilometern, die man in Europa in zwei bis drei Stunden zurücklegt, braucht man hier bis zu 20 Tage. In der Regenzeit sind die Straßen manchmal gar nicht passierbar. Dann stecken die LKW tagelang fest. Außerdem bereitet uns die Sicherheitslage im Norden von Katanga Sorgen. Seit Dezember liefern sich die Mai-Mai Rebellen dort wieder erbitterte Kämpfe mit den Regierungstruppen. Die Lage ist unberechenbar. Unsere Trucks können jederzeit in Gefechte oder einen Hinterhalt geraten."

Während die Trucks sich auf den langen und gefährlichen Weg machen, nehmen die ersten Familien in Lubumbashi ihr Netz bereits in Empfang. Vor einer Klinik in einem der Armenviertel stehen Frauen und Kinder in einer langen Schlange. Viele von uns haben noch nie ein Moskitonetz besessen, erzählt die 32-Jährige Adolphine Mpanga aufgeregt.

"Wir haben über vier Monate auf diesen Moment gewartet. Damals kam jemand in unser Viertel, nahm unsere Personalien auf und erzählte uns, dass wir bald ein Moskitonetz geschenkt bekämen. Das war natürlich eine tolle Nachricht. Denn wie alle anderen hier, haben ich und meine Familie regelmäßig Malaria. Viele Leute sind gestorben. Wenn wir aber in Zukunft unter einem solchen Netz schlafen, dann können uns die Mücken nicht mehr stechen."

Geduldig wartet Adolphine Mpanga bis sie an der Reihe ist. Nacheinander treten die Frauen an einen kleinen Holztisch, nennen ihren Namen und ihre Anschrift. Klinikleiterin Marie-Etoile Nganula gleicht die Daten mit denen auf ihren Registrierkarten ab. Wir waren vorher in jedem Haushalt, erklärt sie stolz, damit es auch gerecht zugeht.

"Wenn ein Haushalt nur aus einer oder zwei Personen besteht, dann bekommen sie nur ein Moskitonetz. Größere Familien bekommen natürlich mehrere. Wir haben da konkrete Vorgaben. Dabei ist es unerheblich, ob jemand arbeitslos ist, oder einen Job hat. Jeder bekommt von uns kostenlos mindestens ein Netz. Außerdem nutzen wir die Chance, um die Leute über die Ansteckungsgefahren und den richtigen Gebrauch der Netze aufzuklären. Früher gab es schon einmal Leute, die sie zum Fischen benutzt haben. Das darf nicht mehr passieren. Diese Netze sind nur dazu bestimmt, die Familien vor Malaria zu schützen."

Neben dem Tisch steht ein Krankenpfleger mit einem Megafon, um auch alle Wartenden zu erreichen. Mehrmals wiederholt er an diesem Tag, dass sich die Mücken unter anderem in stehendem Wasser vermehren, dass sie überwiegend nachts aktiv sind und dass die Moskitonetze mit einem Insektizid imprägniert sind, um effektiver und länger zu schützen. Internationale Studien belegen, dass der Einsatz dieser Netze die Zahl der Malariafälle halbieren und die der Toten um fast ein Fünftel senken kann, betont Kalil Sagno vom internationalen Kinderhilfswerk UNICEF. Er ist sichtlich zufrieden mit dem Auftakt der Kampagne. Doch sie ist nur der Anfang, fügt er hinzu.

"Es ist eine Sache, Moskitonetze zu verteilen, die andere aber ist deren sachgemäßer Gebrauch. Es reicht nicht aus, den Menschen das einmal zu erklären. Diese Informationskampagne muss in den nächsten Monaten und Jahren fortgesetzt werden. Außerdem kann es nicht bei Moskitonetzen bleiben. Bei einer wirksamen Malaria-Prävention geht es auch um sauberes Wasser, Sanitärsysteme und Hygienemaßnahmen. In diesem Punkt muss sich viel verbessern. Nicht nur die Bevölkerung, auch die Mitarbeiter in den Kliniken und die Behörden in den Städten und Gemeinden müssen entsprechende Maßnahmen ergreifen."

Angesichts der von Bürgerkrieg und Misswirtschaft gezeichneten Infrastruktur im Land, der chronischen Krise des Gesundheitssektors und der bitteren Armut in der Bevölkerung ist das eine Herkulesaufgabe.
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