Krakow am See

Der Glocken-Streit

Glockenstuhl der Kirche in Opferbaum
Der Klang einer Glocke sorgt für Streit im mecklenburgischen Krakow. (Symbolbild) © Deutschlandradio / Heiner Kiesel
Von Silke Hasselmann · 15.09.2015
Für die einen erzeugt sie einen vertrauten Wohlklang, für andere schlafraubenden Lärm - die Kirchturmuhr in Krakow am See. Seit Jahren beschäftigt dieser Streit den Luftkurort in Mecklenburg. Nun ist eine Entscheidung gefallen.
Kann man das nächtliche Gebimmel einer Kirchturmuhr alle Viertelstunde so sehr vermissen, dass man es mit Hilfe von Verwaltungsrichtern retten will? Ja, kann man. So geschehen in Krakow am See. Der idyllisch in der Mecklenburgischen Schweiz gelegene Luftkurort verfügt über eine Tradition, die jedermann hört, der sich dort mindestens eine Viertelstunde lang aufhält.
Bislang jedenfalls. Denn die Kirchturmuhr, die ein reicher Bürger der Stadt vor über 100 Jahren geschenkt hatte, schlägt zu jeder Viertelstunde einmal, um halb zweimal, um dreiviertel dreimal und zur vollen Stunde viermal. Dann schließt sich noch die akustische Anzeige der Stundenzahl an. Und zwar 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Ununterbrochen, und das heißt mittags 12 Uhr: insgesamt 16 Schläge. Punkt Mitternacht: auch. Und, so Bürgermeister Wolfgang Geistert:
"Wenn es nach meinen Wünschen gehen würde, dann kann die Glocke natürlich weiterschlagen, denn die gehört zu der kleinen Stadt Krakow am See. Und wenn Sie die Einwohner hier fragen: Die möchten alle ihre Glocke haben. Die schlägt hier über hundert Jahre und hat noch niemanden gestört."
Doch das kann man nicht für jeden sagen.
"Also ich find' das nicht gut."
... meint eine Krakowerin über das nächtliche Gebimmel. Auch die Eigentümerin des Hotels gegenüber der Kirche war eines Tages die Klagen ihrer schlafgestörten Gäste leid.
"Es ist so, dass die Gäste, die so ein Geräusch nicht gewöhnt sind, regelrecht vor der Kirchenglocke flüchten, weil sie nicht schlafen können."
Bei der Stadt stieß Hotelbetreiberin Ehlers auf taube Ohren, nicht aber bei der zuständigen Behörde des Landkreises Rostock. Die ließ die Lautstärke messen. Ergebnis: 111 Dezibel pro Glockenschlag und damit deutlich mehr, als das Bundesimmissionsschutzgesetz für eine bewohnte Gegend zulässt - erst recht zu nachtschlafender Zeit.
Die Krakower Glocke ist lauter als ein Presslufthammer
Zum Vergleich: Der Lärm, den vorbeifahrende Lastkraftwagen, angeworfene Motorsägen oder Winkelschleifer verursachen, erreicht Werte zwischen 80 und 100 Dezibel (dB). Hier droht bei Dauerlärm bereits der Gehörschaden. Bei 110 dB ist die Schmerzgrenze erreicht, jedenfalls von Menschen, die noch über zwei gesunde Hörorgane verfügen. Dieser Wert wird von Kreissägen, Presslufthämmer, Diskolärm erreicht. Und vom Krakower Uhrengeläut übertroffen.
Also verfügte der Landkreis per Bescheid, die Stadt die Quelle der stetig wiederkehrenden Ruhestörung von Schlag 22 Uhr bis Schlag 6 Uhr morgens ausschalten. Damit würde die Uhr letztmalig um 21:45 Uhr schlagen, und zwar zwölf Mal. Am nächsten Tag dürfte sie sich erstmalig um 6:15 Uhr bemerkbar machen - mit sieben Schlägen.
Doch hunderte Bürger fordern ihren Bürgermeister per Unterschriftensammlung auf, sich taub zu stellen. Es ist auch kein Zufall, dass der Krakower Karnevalclub den traditionellen Bootskorso des Fischerfestes 2013 gewinnt. Man schippert in Form der Kirchturmspitze samt Uhr auf uns ab und schickt den aufgenommenen Originalsound der Glocke per Lautsprecher über den Krakower See. Motto: "111 dB - für den KKC okay".
Die Stadtvertreter legen Widerspruch ein. Der Landkreis gibt nicht nach. Im August 2013 zieht die Stadt zieht vor das Verwaltungsgericht Schwerin.
Geschlagene zwei Jahre haben die Richter Wichtigeres zu tun. Derweil bimmeln die Krakower Uhrenglocken unverdrossen volle Pulle weiter. Zudem wechselt der Hotelbetreiber. Damit kommt dem Landkreis Rostock die einstige Beschwerdeführerin abhanden, denn die neuen Betreiber haben kein Problem:
"Ja, es gibt Gäste, die frühmorgens sagen: Oh, die Glocke! Aber man erklärt dann den Leuten, dass die Glocke zu Krakow gehört wie der Marktplatz. Und dann sind die Leute auch zufrieden."
Ende August 2015 lädt das Verwaltungsgericht die Streitparteien zu einem Erörterungstermin. Bürgermeister Geistert hofft noch auf ein Wunder und steht damit nicht allein.
Der Landkreis will ein Ohr zudrücken
"Ich glaube, hier in Krakow freuen sich alle, wenn der Landkreis einlenken und sagen würde: `Wir ziehen den Bescheid zurück.` Oder: `Wir lassen ihn ruhen.` Man kann ihn ja auch mal liegen lassen."
Nichts da, erklärt Landkreissprecher Uwe Neumann:
"Das ist uns so nicht möglich. Der Bescheid ist in der Welt. Er ist jetzt auch bestandskräftig. Wir haben auf Grundlage der tatsächlich ermittelten Werte diese Überschreitung, diesen Rechtsverstoß festgestellt."
Die Richter machen der Stadt schnell klar, wie aussichtslos ihr Begehren und wie berechtigt der Bescheid des Landkreises ist. Der geht zudem auf den traditionsbewussten Luftkurort zu und will ein Ohr zudrücken. Es wäre auch in Ordnung, wenn die Nachtruhe in Krakow am See erst um 22:02 Uhr begänne und bereits um 05:59 Uhr endete. Das gäbe zwei Lautmeldungen mehr als zunächst verfügt: um zehn Uhr abends vier plus zehn Schläge. Um 6 Uhr morgens vier plus sechs. Die Stadt zieht die Klage zurück.
Und nun? Muss die Stadtvertretung entscheiden, wie sie die Uhr in der Zeit dazwischen zum Schweigen bringt. Einfach ist das nicht, weil das Uhrwerk rein mechanisch funktioniert. Entweder krabbelt jemand auf den Kirchturm, um es anzuhalten bzw. in Schwung zu bringen. Oder die Stadt rüstet die Uhr für mindestens 2400 Euro mit einer automatischen Nachtabschaltung nach.
Wenn schon, denn schon - meint der Bürgermeister und schlägt die gründliche Sanierung des gesamten hundert Jahre alten Uhrwerkes vor. Derweil ärgert sich dieser Krakower mit Hörgerät noch immer über den Ausgang der Uhr-Geschichte.
"Dat kann doch kein' Mensch stören so wat, wenn die Uhr schlägt."
Auch diese jüngere Frau wird das nächtliche Gebimmel vermissen, sagt sie:
"Ich denke, es gehört hierher. Es klingt einfach idyllisch, wenn man es hört. Und wenn man wirklich müde ist, schläft man auch ein, ohne es als störend zu empfinden."
Bleibt zu hoffen, dass in Krakow am See nun nicht etwa deshalb Schlafstörungen auftreten, weil die Kirchturmuhr des Nachts stumm bleiben muss.