Kräuter und Gurken für New York

Von Jürgen Kalwa · 29.07.2013
Als ehemaliger Spitzenkoch weiß Eberhard Müller, was New Yorker Top-Restaurants brauchen: frisches Gemüse von bester Qualität. Der Bedarf ist so groß, dass er jeden Herbst von seiner Farm auf Long Island mit allen Arbeitern und ihren Familien und Maschinen nach Florida umzieht. So läuft der Anbau das ganze Jahr über.
Es ist früher Morgen auf Long Island. Und an der Zeit, um in den großen Pick-Up-Truck zu steigen und hinaus zu fahren auf die Felder.

Es ist ein fruchtbares Land unweit vom Meer. Die North Fork, wie die Gegend genannt wird. Die nördliche der beiden Gabelungen, auf denen die Insel rund 100 Kilometer von Manhattan sanft ausläuft.

Eberhard Müller: ""Wir haben hier fast hundert 200 acres, also so knappe 80 Hektar.”"

Jürgen Kalwa: ""Und wie viele Leute sind das dann?”"

Müller: ""Ich kann Ihnen das genau sagen. Letzte Woche haben wir 68 Leute auf der payroll gehabt. 68.”"

Kalwa: ""Das ist viel.”"

Müller: ""Ja. 25 sind auf den verschiedenen Feldern tätig. Dann haben wir 15 Leute in der Verpackung. Und dann haben wir sechs Fahrer.”"

Wenn man einen Begriff finden will für das, was Eberhard Müller macht, würde man sagen: Er betreibt einen Gartenbaubetrieb. Mit Schwerpunkt auf Salat und Gemüse. Aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Die beginnt mit einem Jungen aus dem Schwarzwald, der Koch wurde und über die Schweiz und Paris vor 30 Jahren nach New York kam. 1982, um genau zu sein.

Müller: ""Meine Eltern hatten ihre eigene Bäckerei. Dieses unternehmerische Denken, das ist in der Muttermilch mitgekommen, nehme ich mal an. 1986 bin ich im Le Benardin angefangen und habe mit denen das Restaurant aufgemacht. Vier Sterne in der New York Times innerhalb von sechs oder acht Wochen. Das war schon phänomenal. Die Einkaufsstrategie hatte mit dem, was in der Stadt gang und gäbe war, nichts zu tun. Wir sind direkt zu den Fischerleuten gegangen, direkt zum Gemüsemarkt, um bessere Produkte zu bekommen.”"

Damals war New York noch eine regelrechte kulinarische Wüste. Anders als heute, wo es allein sieben Restaurants gibt, die der Michelin mit drei Sternen ausgezeichnet hat. Aber Müller wollte es wissen. Der ehrgeizige Freizeitfußballer, der am Wochenende im Central Park hinter dem Ball hinterherjagte, war von seiner Rolle als Pionier beseelt. Und so übernahm er 1994 das Lutèce, ein legendäres Haus und jahrelang das beste Restaurant in den USA.

Doch damals lernte er die studierte Pflanzenphysiologin und Farmerstochter Paulette Satur kennen, die eine Weinfirma vertrat. Und weil die beiden heirateten und sich ein Anwesen auf Long Island kauften, kam Müller auf eine neue Idee. Zunächst baute er da draußen nur kleine Mengen an Gemüse für das eigene Lokal an. Doch daraus entwickelte sich bald mehr. Heute kocht der Koch nur noch zu Hause. Sein Salat, die Kräuter, Gurken und Tomaten – sie gehen an die Kollegen von einst. Vor allem an die in den Top-Restaurants. Es ist ein gutes Geschäft.

Telefonistin: ""Satur Farms. Good morning. How can I help you? Hold on, one moment, I connect you...”"

Müller: ""Ich glaube, wir waren relativ instrumental, um dieses ganze farm-to-table in die Wege zu leiten. Natürlich, meine Kollegen haben den Qualitätsaspekt sofort erkannt und sehr viele von den besten Restaurants in der Stadt haben Satur Farms – Daniel, Per Se, Jean-Georges. You name them, we are there.”"

Satur Farms – so heißt das Unternehmen – es wuchs beständig. Und so kam Müller irgendwann auf eine höchst ungewöhnliche Idee, die erneut zeigte, mit welchem Pioniergeist er zu Werke geht. Jeden Oktober zieht er, inzwischen 59 Jahre alt, mit allen Feldarbeitern und deren Familien auf eine ebenso große Liegenschaft in Florida um. Die Landmaschinen werden auf Transportlaster verladen, und ab geht die Reise über 1000 Kilometer.

Nicht nur kann Müller nun seinen Leuten das ganze Jahr über einen Job garantieren. Er kann seinen Kunden auch im Winter frische Ware zustellen. Seine Lebensmittel brauchen nur einen Tag länger von Florida bis nach New York, in das Kühlhaus, wo die Ernte täglich weiterverarbeitet wird. Zeit für Privates allerdings gibt es nur noch wenig. Auch nicht zum Fußballspielen. Und wenn, dann liest Müller: am liebsten Bücher über sein Metier. Über Kochen, Gartenbau, Ernährung. Up to date zu bleiben ist wichtig. Auch für einen wie ihn - einen Vordenker.

Müller: ""Also hier kommt das rohe Material an, das geerntet wurde. Das wird hier mit LKW herübergekarrt. Und dann wird nach Qualität untersucht und verpackt, kartoniert und rausgeschickt. Wir haben hier verschiedene Salate. Diese bunten Salate, Bok Choy, Bohnen. Dann sind Sachen hier wie Sellerie. Diese Radieschen kamen heute früh hier herein. Das ist abgepackt. Das wird dann ausgeliefert heute Nacht oder morgen früh.”"

Auffällig ist der hohe Anteil an mittelamerikanischen Mitarbeitern.

Müller: ""Sie können niemand anderen finden, der das macht. I mean. Es ist hart. Es ist wirklich hart, Leute zu finden, die in der Landwirtschaft arbeiten wollen.”"

Für Müllers Erfolg gibt es viele Gründe. Der wichtigste: Er ist näher dran – am Absatzmarkt. Und er ist schneller als die Massenware, die aus den riesigen Anbaugebieten in Kalifornien angeliefert wird. Die braucht mehr als fünf Tage, bis sie in den Großmärkten an der Ostküste ankommt.

Müller: ""Wenn Sie etwas ernten, wenn Sie etwas aus dem Feld nehmen oder im Meer gefangen wird, fängt der Decay-Prozess an, also der Prozess, wo das Produkt einfach zerfällt. Als Küchenchef hat man da schon ein unheimliches Gefühl dafür.”"

Ein Gefühl, dass die Top-Köche zu schätzen wissen. Zumal sie mit speziellen Wünschen bei Eberhard Müller immer ein offenes Ohr finden. Der weiß schließlich, um was es bei dem täglichen Kampf am Herd geht: um Geschmack und Kreativität.

Müller: "”Jedes Mal, wenn wir uns irgendwo treffen, wird immer wieder gesagt: ´Hey,... wie sieht es aus, wann kommt dein Feldsalat?` Oder irgendeine Gemüsesorte, die jemand gesehen hat. Sehr oft bringt einer von den Chefs ein bisschen Samen mit aus Italien oder aus Spanien oder aus Südamerika oder weiß der Kuckuck woher. Und die sagen: ´Kannst du nicht mal probieren?` Und wir machen das dann auch.”"