Kostbares Blut

Von Michael Engel · 24.01.2010
Nabelschnurblut enthält Stammzellen, mit denen Krankheiten wie Leukämie oder Diabetes geheilt werden können. Nur ist die Gewinnung dieser Zellen sehr aufwändig. Amerikanischen Wissenschaftlern ist es nun gelungen, sie zu vermehren.
So klingen die Werbebotschaften der Blutbanken - Zitat:

"Alle Eltern möchten ihrem Baby am liebsten lebenslange Gesundheit schenken. Bei der Geburt haben Sie die beste Gelegenheit zu einer einzigartigen Gesundheitsvorsorge: die Entnahme und Einlagerung des Nabelschnurblutes."

Die Argumente kommen an: Viele Eltern entscheiden sich mittlerweile für diesen Weg.

"Ja, auf jeden Fall. Ich finde eine Nabelschnurblutspende sehr wichtig, um anderen Kindern oder je nachdem, wo das Blut hingeht, zu helfen."

Rund 7000 leukämiekranke Kinder weltweit wurden mit Stammzellen aus Nabelschnurblut behandelt. Besonderer Vorteil: Die Überlebensraten sind 20 Prozent höher als bei der herkömmlichen Behandlung mit Knochenmark. In ihren Schwangerschaftskursen erklärt die Hebamme Maren Drewes die Prozedur der Nabelschnurblutentnahme:

"Das sind so Beutel, da ist eine Riesenschnur dran mit einer Kanüle am Ende. Und diese Kanüle wird eben in diese Nabelschnurvene eingeführt. Dann läuft das Blut direkt in diesen Beutel hinein."

Durchschnittlich kommen nur 80 Kubikzentimeter zusammen. Zu wenig für einen erwachsenen Leukämie-Patienten. Zwar kann den Betroffen auch mit einer Knochenmarkspende geholfen werden, doch nicht immer passen die Gewebedaten von Spender und Empfänger zusammen. In solchen Fällen wären Stammzellen aus der Nabelschnur die rettende Alternative. Sie sind frischer und immunologisch toleranter - da dürfen die Gewebedaten schon mal variieren. Erstmals konnten US-Forscher die begehrten Zellen vermehren und damit auch einem Erwachsenen implantieren: "Ein Durchbruch", urteilt Prof. Karl Heinz Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover anerkennend:

"Wir haben immer wieder versucht, die Blutstammzellen zu vermehren. Das ist bisher nie gut geglückt. Und es scheint jetzt so zu sein, dass im Fred Hutchinson Cancer Research Center, Seattle, USA, dass dort eine Methode entwickelt worden ist, um diese Stammzellen zu vermehren, um damit halt auch genügend zu haben, um auch Erwachsene transplantieren zu können. Ich bin ein großer Fan von diesen Nabelschnurstammzellen, weil einfach sie noch frisch sind, unverbraucht, ein hohes Potential haben und das Überleben von Kindern zum Beispiel mit Leukämien verbessern können im Vergleich zu anderen Quellen für Transplantationen."

Bislang mussten zwei bis drei Nabelschnurblutspenden zusammengelegt werden, um einen erwachsenen Patienten zu behandeln. Das Verfahren ist damit um ein Vielfaches teurer gegenüber Stammzellen aus dem Knochenmark. Durch die Vermehrung der medizinisch attraktiven Zellen aus der Nabelschnur wird ihr Einsatz damit auch ökonomisch interessant. Es gibt allerdings noch einen Haken: Damit sich die Zellen teilen, müssen Gene eingeführt werden, und die – so der Leukämieexperte Prof. Welte – können es in sich haben.

"Diese Gene können potentiell die Zellen auch so verändern, dass sie nicht lang genug leben oder sich so verändern, dass sie bösartig werden. Also es müssen dann klinische Studien durchgeführt werden. Also, es müssen dann klinische Studien durchgeführt werden an Patienten und es dauert Jahre, bis gezeigt worden ist, dass diese Stammzellen einsetzbar sind für Patienten."

Die klinischen Versuche mit menschlichen Probanden werden sich noch Jahre hinziehen. Nach Ansicht der Wissenschaftler gleichwohl ein lohnendes Forschungsfeld. Mit Stammzellen aus dem Nabelschnurblut lassen sich nämlich nicht nur Leukämien behandeln. Genetisch modifiziert werden sie sogar pluripotent, das heißt, man kann aus ihnen auch Leberzellen oder Herzmuskelzellen heranzüchten und Patienten mit Organschäden helfen. Für Maren Drewes, Hebamme an der Medizinischen Hochschule Hannover, ist die Botschaft klar:

"Ich finde es absolut sinnvoll das Nabelschnurblut und damit die Zellen zu spenden, damit einfach geschaut werden kann: Was kann damit noch laufen? Und die Entwicklung rast ja nun wirklich davon und insofern würde ich da schon dafür plädieren, dass man da auch Material zur Verfügung stellt."

Derzeit entscheiden sich nur vier Prozent der Schwangeren für eine Nabelschnurblutspende. Das bedeutet: 96 Prozent der medizinisch wertvollen Zellen landen im Klinikmüll.


Hintergrund:

Nabelschnurblutspende: Wie funktioniert das eigentlich?

Werdende Mütter, die Nabelschnurblut spenden möchten, wenden sich spätestens zwei Monate vor der Entbindung an eine Blutbank wie zum Beispiel an die Deutsche Nabelschnurblutbank (www.deutsche-nabelschnurblutbank.de ). Die Einrichtung verschickt dann einen Fragebogen, um zunächst mal zu klären, ob eine Nabelschnurblutspende überhaupt möglich ist. Ausschlusskriterien sind unter anderem genetisch bedingte Erkrankungen, Mehrlingsgeburten oder ein zurückliegender Aufenthalt in Malariagebieten. Kann einer Zellspende zugestimmt werden, was in 50 Prozent der Fälle passiert, erhält die werdende Mutter ein etwa 30 x 30 Zentimeter großes Paket mit dem Entnahmebesteck (u.a. Blutbeutel, Kanüle und Kühlbox). Zugleich informiert die Deutsche Nabelschnurblutbank die von den werdenden Eltern benannte Entbindungsklinik über die bevorstehende Nabelschnurblutentnahme. Fast alle Krankenhäuser in Deutschland dürfen aufgrund einer speziellen Zertifizierung Nabelschnurblut entnehmen.

Die Entbindung ist der geeignete Zeitpunkt für die Nabelschnurblutentnahme. Ist das Baby abgenabelt, beträgt das Zeitfenster für die Zellgewinnung nur fünf Minuten. Die Plazenta darf sich nämlich noch nicht abgelöst haben, das Blut in der Nabelschnur muss noch unter Druck stehen. Durchschnittlich kommen so etwa 80 Milliliter Nabelschnurblut zusammen. Das Klinikum informiert einen zertifizierten Betrieb, der das Blut innerhalb von 24 Stunden abholt, aufbereitet und mit flüssigem Stickstoff dauerhaft einfriert.

Die Deutsche Nabelschnurblutbank ist eine öffentliche Einrichtung, die sich aus Spenden finanziert. Blutspenden sind in diesem Fall kostenlos, weil sie die wertvollen Stammzellen der Allgemeinheit, zum Beispiel Leukämiepatienten, zur Verfügung stellt. Wer das Blut privat einlagern möchte, um eine spätere Erkrankung des eigenen Kindes (z.B. bei Leukämie) mit körpereigenen Zellen behandeln zu können, muss für die Gewinnung, Einlagerung und Konservierung der Nabelschnurblutzellen eine private Blutbank beauftragen. Kosten hierfür belaufen sich auf rund 2000 Euro. Momentan sind 80 Prozent der Nabelschnurblutentnahmen in Deutschland privat veranlasst, nur 20 Prozent sind öffentlich zugängliche "Blutspenden".