Kosmos

Gefahr aus dem All

Von Dirk Lorenzen · 30.01.2014
Unsere Erde steht im All ständig unter Beschuss. Der Asteroideneinschlag von Tscheljabinsk im vergangenen Jahr ist gerade noch glimpflich ausgegangen - doch ein Objekt von mehreren hundert Metern Durchmesser würde ganze Länder verwüsten. Die Astronomen sind alarmiert und suchen intensiv nach Himmelskörpern, die der Erde bedrohlich nahe kommen und nach Methoden, diese kosmischen Eindringlinge abzuwehren.
Freitag, 15. Februar 2013, morgens gegen 9 Uhr 20 Uhr Ortszeit. Über Südrussland hat ein kalter Wintertag begonnen - die Sonne steht tief am blauen Morgenhimmel.
Alan Harris: "Das war ein für mich sehr ungewöhnlicher und seltsamer Tag. Ich war tatsächlich an diesem Tag bei den Vereinten Nationen in Wien."
Plötzlich flammt ein gleißendes Licht am Firmament auf, strahlt bald heller als die Sonne und zieht mit langer Rauchspur von Osten nach Westen.
Alan Harris: "Und wir haben gerade ein Meeting gehabt über die Problematik des Einschlagrisikos und was man auf internationaler Ebene dagegen machen könnte."
Der Feuerball kommt dem Boden immer näher. Glühende Brocken platzen ab - ein drohendes Grollen ist zu hören.
Alan Harris: "In Russland kam dann ein Asteroid in die Erdatmosphäre hinein, tauchte in die Erdatmosphäre und durch diese kurze Reise ist er in einer Höhe von ungefähr 23, 25 Kilometern dann regelrecht explodiert."
Nahe der Millionenstadt Tscheljabinsk fallen Trümmerstücke des Asteroiden zu Boden. Eine gewaltige Druckwelle schleudert Passanten zu Boden, lässt Fensterscheiben bersten und marode Mauern einstürzen. Mehr als 1000 Menschen werden von umher fliegenden Glassplittern verletzt.
Alan Harris: "Das war absolut unglaublich. Das war wahrscheinlich für mich der allerseltsamste Tag meiner ganzen Karriere."
Die himmlische Dramaturgie hätte an jenem Tag im Februar des vergangenen Jahres nicht besser sein können. Während die Fachwelt gebannt auf den lange prognostizierten sehr nahen Vorbeiflug eines Asteroiden wartete, traf nur Stunden vorher völlig überraschend ein anderer Brocken die Erde - und zeigte, wie verwundbar unser Planet ist. Zeitgleich saßen Fachleute aus aller Welt zusammen, um zu beraten, wie die Menschheit mit der Gefahr aus dem Weltall umgehen sollte. Mit dabei war auch Alan Harris, Wissenschaftler am Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Berlin.
Alan Harris: "Es war ... ein Traum ist vielleicht der falsche Wort. Auf jeden Fall entsprach es überhaupt nicht der Realität, die man an einem normalen Tag erleben würde. Zum Frühstück gehe im Hotel habe ich Bilder gesehen im Fernsehen, bei denen ich am Anfang dachte, es sei irgendein Anschlag. Es sah aus wie eine Rakete, Nordkorea oder so. Als ich sah, dass Russland beteiligt war, dachte ich, dass kann nicht sein."
Der Feuerball über Südrussland ist bestens dokumentiert: Zahllose Überwachungskameras haben seinen Flug gefilmt, Hunderte Augenzeugen wurden befragt und Bruchstücke des Meteoriten untersucht. So wissen Alan Harris und seine Kollegen mittlerweile sehr genau, was für ein Objekt die Erde nahe Tscheljabinsk getroffen hat.
Alan Harris: "Es war ein Asteroid mit Durchmesser ursprünglich von ungefähr 18, 19 Metern. Wir haben Meteoriten gefunden, insbesondere haben wir ein ziemlich großes Stück einige hundert Kilogramm schwer mit Durchmesser 1,5 Meter aus einem See geholt in der Nähe. Wir wissen jetzt, es handelt sich hier um einen ziemlich normalen Asteroiden. Wissenschaftlich ist das absolut nichts Besonderes. Aber für die Bevölkerung, für die Menschen ist das schon ein Ereignis, das einen zum Nachdenken bringt."

Ausschnitt aus einem Video, dass den Meteoriteneinschlag in Tscheljabinsk zeigt
Ausschnitt aus einem Video, das den Meteoriteneinschlag in Tscheljabinsk zeigt© picture alliance / dpa / RIA Novosti
Schwerster Treffer seit über 100 Jahren
Immerhin war es der schwerste Treffer seit über 100 Jahren, den die Erde einzustecken hatte. Im Juni 1908 war ein deutlich größeres Objekt im Gebiet des Flusses Tunguska über Sibirien explodiert - zum Glück über einer völlig unbewohnten Region. Die Analyse der Flugbahn des Feuerballs von Tscheljabinsk hat nun ergeben, dass Südrussland im vergangenen Jahr nur knapp einem tödlichen Desaster entgangen ist.
Alan Harris: "Wir haben eigentlich Glück gehabt, weil es in einem sehr schrägen Winkel hereingekommen ist. Und das bedeutet, dass es in dieser großen Höhe explodiert ist. Wenn der Winkel steiler gewesen wäre, wäre er mit dieser Energie näher am Boden explodiert. Dann wäre natürlich der Schaden viel gewaltiger gewesen. Auch wenn das Objekt mehr metallischen Inhalt gehabt hätte, wenn es schwerer und dichter gewesen wäre, hätten wir vielleicht sogar einen Krater gehabt. Das wäre für die Stadt Tscheljabinsk eine regelrechte Katastrophe."
Die Explosion über Südrussland und die Passage eines mehr als doppelt so großen Brockens in nicht einmal 30.000 Kilometern Abstand von der Erde zeigen, wie real die Gefahr aus dem All ist. Durch das Sonnensystem kreuzen Myriaden von Gesteinsbrocken und Asteroiden. Von einigen hunderttausend Objekten sind die Bahnen gut bekannt - doch die meisten potenziell gefährlichen Körper sind noch unentdeckt und könnten jederzeit wie aus dem Nichts auftauchen und die Erde bedrohen.
Kosmische Vagabunden auf Kollisionskurs
Eine pechschwarze Neumondnacht im Winter 2013. Kristallklar stehen die Sterne über dem Hang des Vulkans Teide auf der Kanareninsel Teneriffa. Die Kuppel des 1-Meter-Teleskops der Europäischen Weltraumorganisation ESA ist geöffnet.
Detlef Koschny: "Die Suchstrategie ist relativ einfach. Man schaut in die Richtung, wo die Sonne untergeht. Da gehen auch die Sterne unter und da würden auch die Asteroiden untergehen. Da guckt man zuerst hin, scannt dann den Himmel ab und arbeitet sich in Richtung Sonnenaufgang vor."
Das Spiegel-Teleskop nimmt wie von Geisterhand gesteuert eine bestimmte Himmelsregion ins Visier, belichtet einige Minuten, schwenkt dann auf einen benachbarten Bereich am Firmament und macht das nächste Bild.
Detlef Koschny: "Wir machen vier Bilder von derselben Stelle am Himmel im Abstand von 30 Minuten. Und dann habe ich ein spezielles Computerprogramm, was mir diese vier Bilder wie so einen kleine Filmsequenz abspielt. Dann sieht man da an vielen Stellen einen kleinen Punkt hin- und herhüpfen."
Die digitalen Bilder werden gespeichert und automatisch ausgewertet. Die Astronomen suchen im Gewimmel der immer in gleicher Position zueinander stehenden Sterne nach den Himmelskörpern, die der Erde unangenehm nahe kommen könnten.
Detlef Koschny: "Das sind die Objekte, die sich bewegen. Das könnte ein Satellit sein, aber die sind normalerweise viel schneller. Das könnte Rauschen im Bild sein, aber dass auf vier Bildern so ein Punkt im gleichen Abstand in die gleiche Richtung hüpft, ist sehr unwahrscheinlich. Und was dann übrig bleibt, sind Asteroiden."
Die ESA-Astronomen interessieren sich ausnahmsweise nicht für ferne Sterne, Nebel oder Galaxien. Es geht in den dunklen Nächten von Teneriffa um die kosmischen Brocken im Vorgarten der Erde.
Mit den Objekten, die der Erde potenziell um die Ohren fliegen, beschäftigt sich Detlef Koschny. Der Raumfahrtingenieur und Planetenwissenschaftler leitet den Bereich für erdnahe Objekte im ESA-Programm zur Weltraumlageerfassung. Erst vor wenigen Jahren haben große Raumfahrtagenturen wie NASA oder ESA die Gefährdung unserer Erde aus dem All als Arbeitsgebiet entdeckt. Jahrzehntelang schien es völlig aussichtslos, gegen einen möglichen Einschlag etwas auszurichten. Doch die Zeiten ändern sich. Zwar kochen die Suchprogramme noch immer auf Sparflamme und haben nur ein Budget von wenigen Millionen Euro oder Dollar pro Jahr - doch der Anfang ist gemacht. Zunächst geht es schlicht darum, zu ermitteln, wie viele Objekte sich in der Nähe der Erde tummeln.
Detlef Koschny: "Die Faustregel ist: Je kleiner, desto mehr. Wenn ich nachts rausgehe und eine Stunde lang zum Himmel hoch schaue, sehe ich fünf oder zehn Sternschnuppen. Das ist das kleine Ende. Das sind so millimetergroße Objekte, größer sind die gar nicht. Da gibt es unwahrscheinlich viele, aber die werden durch die Atmosphäre abgefangen. Das andere Extrem ist das Ereignis, was vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier und noch vieles andere Leben ausgelöscht hat. Das ist ein zehn Kilometer großes Objekt. Das passiert typischerweise so alle 50, 60 bis 70 Millionen Jahre."
Einschlag mit verheerenden Folgen
Auf der Erde gibt es Hunderte von Kratern, die bei derart dramatischen Einschlägen entstanden sind. Doch mittlerweile ist so gut wie ausgeschlossen, dass urplötzlich ein Zehn-Kilometer-Asteroid auftaucht und die Erde verwüstet. Im inneren Sonnensystem dürften längst alle Objekte dieser Größe bekannt sein - denn sie sind so hell, dass sie in modernen Teleskopen gut zu sehen sind. Detlef Koschny und seinen Kollegen bereiten vor allem jene Brocken Kopfzerbrechen, die nur schwer zu beobachten sind, die aber im Falle eines Einschlags zumindest regional verheerende Folgen hätten.
Detlef Koschny: "Die Objekte, die uns am meisten interessieren, die sind so im Bereich wie das Tunguska-Ereignis, vierzig, fünfzig Meter. Da schätzen wir, dass es eine Million im Sonnensystem gibt von dieser Größe und dass alle paar hundert Jahre so etwas auf die Erde einschlägt. Kennen tun wir von diesen Objekten aber nur ein paar tausend, da haben wir noch ziemlich Nachholbedarf."

Screenshot einer NASA-Computeranimation: Der Asteroid 2012 DA14 passiert die Erde
Screenshot einer NASA-Computeranimation: Der Asteroid 2012 DA14 passiert die Erde© picture alliance / dpa / NASA
Gut eine Million Objekte so groß wie ein Parkhaus kreuzen die Erdbahn - und die Astronomen kennen bisher nicht einmal ein Prozent davon. Ein ähnlicher Treffer wie 1908 am Fluss Tunguska in Sibirien - mitten in Deutschland - würde zu Millionen von Opfern führen. Und selbst ein Objekt der Tscheljabinsk-Klasse kann potenziell Zigtausende Menschen töten. Spezielle Asteroiden-Suchprogramme sollen endlich zeigen, wie groß die Gefahr eines weiteren schweren Einschlags ist.
Detlef Koschny: "Die kleineren Objekte, diese 40, 50 Meter großen, sind die, die richtig spannend sind und die sieht man nur, wenn die wirklich nah an der Erde sind. Und das ist nur ein paar Tage, dass die so hell sind, dass man sie sieht. Wir wollen bei der ESA jetzt ein Programm aufbauen, bei dem wir mit Teleskopen den Himmel einmal in der Nacht abscannen und da können wir dann wirklich auch diese kleinen Objekte sehen."
Bisher erspäht das ESA-Team mit dem Teleskop auf Teneriffa nur eine kleine Stichprobe der himmlischen Vagabunden - doch in einigen Jahren sollen spezielle Teleskope eine echte kosmische Volkszählung ermöglichen. Allerdings gibt es generell ein Problem: Nicht alle Objekte sind gleich gut zu entdecken. Asteroiden, die sich der Erde aus dem Inneren des Sonnensystems - also grob aus Richtung der Sonne nähern - entgehen fast immer den gängigen Suchprogrammen. Zu ihnen gehörte auch der Feuerball von Tscheljabinsk. Von den Asteroiden, die die Astronomen zu sehen bekommen, bestimmen sie umgehend den genauen Bahnverlauf im Weltraum. Interessant wird es immer dann, wenn sich herausstellt, dass das Objekt der Erde bedrohlich nahe kommt - laut Definition also dichter als 50 Millionen Kilometer. Dieser Sicherheitsabstand ist üppig bemessen, denn er entspricht rund 130mal der Entfernung Erde-Mond.
Detlef Koschny: "Wenn das der Fall ist, dann haben wir in Europa ein System an der Universität Pisa. Das guckt sich den Orbit ganz genau an. Und rechnet vor allem auch bis 90 Jahre in die Zukunft. Da guckt es dann, wie nahe kommt dieses Objekt der Erde."
Genau wie Venus, Erde oder Mars umrunden auch Millionen von Asteroiden innerhalb von Monaten oder Jahren die Sonne - unser Planetensystem gleicht einem tanzenden Mückenschwarm. Das Rechenzentrum in Pisa versucht daher, den Lauf jedes potenziell gefährlichen Asteroiden oder Kometenkerns möglichst lange vorauszuberechnen. Denn verlief die eine Begegnung mit dem Asteroiden noch ungefährlich, kann es bei der nächsten Passage schon ganz anders aussehen.
Detlef Koschny: "Wenn da zum Beispiel herauskommt, er hat eine Chance, auf die Erde selber zu treffen, dann fangen die Alarmglocken zu läuten an und dann sagt der Wissenschaftler: Hier muss man irgendjemand informieren und was tun wir denn jetzt."
Vor 65 Millionen Jahren mussten die Dinosaurier eine Katastrophe biblischen Ausmaßes einfach hinnehmen, in deren Folge sie ausstarben. Heute will die Menschheit auf Einschläge vorbereitet sein - und sie im Idealfall abwenden.
Rettung ist möglich
Der Weltraum im Frühjahr 2035, irgendwo jenseits des Planeten Mars. Ein 200 Meter großer Asteroid taumelt über seine Bahn - Kurs: Erde.
Steve Chesley: "Wir haben zwar noch nie einen Asteroiden abgelenkt - aber wir wissen, wie man das macht."
Eine drei Tonnen schwere Raumsonde rast mit mehr als 200.000 Kilometern pro Stunde auf den felsigen Brocken zu - die Kameras übermitteln Bilder an das Kontrollzentrum auf der Erde, wo die Forscher das Geschehen gebannt verfolgen.
Steve Chesley: "So wir wissen, was passiert, wenn man mit einem Hammer auf einen Nagel schlägt, wissen wir, was geschieht, wenn eine Raumsonde einen Asteroiden rammt."
Die rasende Kapsel trifft den Asteroiden leicht von der Seite. In einem gewaltigen Explosionsblitz verglüht das einschlagende Raumschiff - Gesteinsbrocken des Asteroiden schleudern hinaus ins All.
Steve Chesley: "Es gibt verschiedene Varianten, wie sich ein Asteroid ablenken lässt. Aber der Beschuss mit einer Raumsonde ist die naheliegendste - und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das bei Bedarf schnell hinbekämen."
Das Flugteam im Kontrollzentrum jubelt. Bilder einer kleinen zweiten Sonde zeigen, dass sich die Bahn des Asteroiden minimal verändert hat. Das Objekt wird fünf Jahre später die Erde nicht treffen, sondern in geringem, aber ausreichendem Abstand an ihr vorbeiziehen.
Ablenken, nicht zerstören
Steve Chesley ist Astronom am Jet Propulsion Laboratory im kalifornischen Pasadena und eine Art oberster Asteroidenwächter der NASA. Er setzt darauf, dass sich die Menschheit gegen den Beschuss aus dem All wehrt. Martialische Methoden wie der Einsatz von Kernwaffen mögen in Hollywood-Filmen beliebte Stilmittel sein. Doch es bringt wenig, einen Asteroiden zu zerstören - im schlimmsten Fall wäre die Erde dann einer ganzen Schrotladung ausgeliefert. "Ablenken, nicht zerstören" heißt daher die Devise von Steve Chesley und seinen Kollegen weltweit.
Steve Chesley: "Das wichtigste ist, einen Asteroiden und seine Gefahr so früh wie möglich zu erkennen. Wenn wir Jahrzehnte Vorwarnzeit haben, lassen sich fast alle Objekte problemlos ablenken. Bei nur wenigen Jahren bis zum Einschlag wird es manchmal sehr schwierig. Ob sich etwas tun lässt, hängt auch von der Größe des Asteroiden ab. Der Einsatz von Kernwaffen wäre nur die allerletzte Möglichkeit. Bei kleinen Objekten könnte man auch einfach nur das Einschlaggebiet evakuieren. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass wir jemals einen möglichen Treffer der Erde tatenlos hinnähmen."

Die Nasa-Sonde Deep Impact schießt ein Geschoß in den Kern des Kometen Tempel-1.
Die Nasa-Sonde Deep Impact schießt ein Geschoß in den Kern des Kometen Tempel-1.© Nasa
Es ist keineswegs utopisch, einen Asteroiden aus der Bahn zu schubsen. Im Jahr 2005 hat die NASA die Raumsonde "Deep Impact" gezielt in den Kern eines Kometen gelenkt. Dabei ging es zwar allein um Kometenforschung - aber ganz nebenbei hat diese Mission gezeigt, dass sich kleine Raumsonden auch über viele Millionen Kilometer hinweg gezielt zur Kollision mit einem Himmelskörper bringen lassen. Wie effektvoll so ein Einschlag ist, hängt vor allem vom Aufbau des getroffenen Objekts ab. Besteht der Asteroid aus festem Gestein und Metall, ist ein Einschlag vielversprechend. Handelt es sich dagegen eher um eine recht lockere Zusammenballung von Eis und Geröll, kann der Einschlag einer Raumsonde ziemlich verpuffen. Steve Chesley setzt daher darauf, den Gegner beim kosmischen Katz- und Mausspiel erst einmal besser kennenzulernen - und schickt bald eine Raumsonde zu einem besonders interessanten Asteroiden.
Steve Chesley: "OSIRIS-REx wird Materialproben des Asteroiden Bennu auf die Erde holen. Die Sonde soll 2016 starten und drei Jahre später ihr Ziel erreichen. Anfangs wird OSIRIS-REx den Asteroiden in allen Details untersuchen und später auf der Oberfläche aufsetzen, Proben gewinnen und diese nach Hause bringen."
Das Ziel ist gut gewählt: Der erdnahe Asteroid Bennu, benannt nach einer ägyptischen Gottheit, ähnelt in Bahn und Aufbau dem Meteoriten von Tscheljabinsk vor rund einem Jahr - er ist mit 500 Metern Durchmesser allerdings viel größer. Noch ist Bennu völlig ungefährlich, könnte sich aber Ende des nächsten Jahrhunderts der Erde bedrohlich nähern. Vielleicht werden unsere Nachfahren dann mit Freuden auf die OSIRIS-REx-Daten zurückgreifen.
Verspielt die Menschheit ihre Rettung?
New York im Herbst 2017 - es tagt die Vollversammlung der Vereinten Nationen. Auf der Tagesordnung steht der mögliche Einschlag eines Asteroiden. Das Objekt mit 200 Metern Durchmesser könnte im Mai 2046 die Erde treffen.
Rusty Schweickart: "Bei einem 200 Meter großen Asteroiden, der auf Kollisionskurs mit der Erde ist, darf es keine Frage sein, dass man ihn ablenkt."
In der hitzigen Debatte fordern die Vertreter ostafrikanischer Staaten entschlossenes Handeln - schließlich dürfte der Asteroid in ihrer Region einschlagen. Andere Staaten warnen davor, dass ein nur unvollständiges Ablenken zu einem Einschlag in Europa führen könnte.
Rusty Schweickart: "Die Staaten müssen untereinander die Gefahren abwägen und entsprechend handeln, um schließlich für alle das Risiko auf null zu bringen."
Vertreter aus den USA, Russland und China mahnen zur Besonnenheit. Der Einschlag drohe erst Mitte des Jahrhunderts - zudem liege die Chance der Kollision derzeit nur bei 1 zu 20. Vermutlich reiche es, einfach gar nichts zu tun.
Rusty Schweickart: "Wir sehen keine andere Möglichkeit, als dass sich die Vereinten Nationen der Frage annehmen, wie und wann ein Asteroid abzulenken sei."
Vergeblich weisen Delegationen aus Skandinavien darauf hin, dass im unglücklichen Fall, dass der Einschlag doch passiert, weite Regionen Ostafrikas verwüstet würden und Millionen Menschen ums Leben kämen. Die Resolution, die die Raumfahrtnationen zum sofortigen Handeln auffordert, wird abgelehnt.
Rusty Schweickart gehört zum Urgestein der Astronautenszene. In den 60er-Jahren hat er an Bord von Apollo 9 die Erde umkreist. Beim Blick von außen ist ihm die Verwundbarkeit des blauen Planeten bewusst geworden - und nun setzt er sich im Rahmen der Association of Space Explorers, einer Art Berufsverband der Astronauten, für die Rettung unserer kosmischen Heimat ein. Asteroiden zu finden, die Gefahr abzuschätzen und mögliche Abwehrmissionen zu planen, ist schon schwer genug - doch er betont die großen politischen Herausforderungen, die dieses Thema mit sich bringt.
Rusty Schweickart: "Um etwas gegen einen Asteroiden zu tun, der die Erde bedroht, muss man sehr früh handeln - am besten Jahrzehnte im Voraus. Würden wir jetzt Entscheidungen treffen, um künftige Generationen zu retten? Planung, Bau und Flug einer solchen Mission dauern lange. Da ist man schnell bei 30 oder 40 Jahren, wobei das konkrete Vorgehen bei jedem Asteroiden anders ist."
Solche Zeiträume werfen enorme politische und gesellschaftliche Fragen auf. Gäbe es in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wirklich den Willen, einer sehr geringen Gefahr, die in einem halben Jahrhundert oder später droht, schon jetzt zu begegnen? Einen Asteroiden abzulenken kostet mindestens einige hundert Millionen Euro. Das Tückische an Asteroideneinschlägen ist, dass sie extrem unwahrscheinlich sind. Doch wenn sie eintreten, haben sie katastrophale Folgen - und bedrohen, je nach Größe, ganze Länder und Kontinente.
Rusty Schweickart: "Unterhalb einer bestimmten Größe wird man sich bestimmt entscheiden, nichts zu tun und den möglichen Einschlag des Asteroiden abzuwarten, weil man ein Ablenken für zu aufwändig hält. Aber muss das Land, in dem der Einschlag stattfinden wird, eine solche UNO-Entscheidung hinnehmen? Muss die UNO womöglich haften? Hilft sie bei Evakuierungen? Über all diese Fragen muss man nachdenken."
Asteroid 2007 VK185 steuert auf die Erde zu
Würde die Staatengemeinschaft einen Einschlag in der Mongolei eher hinnehmen als einen in Kalifornien? Eine höchst brisante Frage. Derzeit gelten knapp 500 Objekte als potenziell gefährlich. Das größte Risiko geht aktuell vom Asteroiden 2007 VK185 aus, der in gut 30 Jahren die Erde treffen könnte. Die Wahrscheinlichkeit liegt momentan bei 1 zu 1800. Auch wenn weitere Beobachtungen und eine bessere Bestimmung der Bahn dieses Objekts vermutlich rechtzeitig für Entwarnung sorgen, so dürften die großen Suchprogramme in den kommenden Jahren etliche ähnlich gefährliche Objekte aufspüren. Allerdings brauche niemand in Panik zu geraten, uns falle bald der Himmel auf den Kopf, mahnt der NASA-Asteroidenexperte Steve Chesley:
Steve Chesley: "Wenn wir von potenziellen Einschlägen hört, muss man immer bedenken, dass Asteroiden von bedeutender Größe die Erde nur alle paar tausend oder zehntausend Jahre treffen. Die Chance, dass so etwas zu unseren Lebzeiten passiert, ist wirklich sehr gering. Für uns ist es viel gefährlicher zu rauchen, ohne Gurt Auto zu fahren oder in einem Flugzeug zu sitzen."
Und doch ist allen Experten klar, dass es nicht darum geht, ob die Erde wieder einmal unter kosmischen Beschuss gerät, sondern nur darum, wann das passiert.
Der Treffer, der kommen wird
April 2068: Die Menschen in aller Welt halten den Atem an. Ein 300 Meter großer Asteroid droht mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu fünf die Erde zu treffen.
Alan Harris: "Einschläge hat es seit immer gegeben. Die Erde ist eigentlich aus einschlagenden Objekten ursprünglich entstanden."
Der Weltsicherheitsrat hatte sich 20 Jahre zuvor nicht auf eine Rettungsmission einigen können. Vergeblich hatten etliche Länder für eine "Blauhelm"-Sonde geworben, um den Asteroiden abzulenken.
Alan Harris: "Wir wissen auch, dass Asteroiden die Evolution von Leben beeinflussen können. Einschläge haben zur Auslöschung der Dinosaurier beigetragen."
Beobachtungen kurz vor der Passage des Asteroiden haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit des Einschlags viel höher ist als ursprünglich angenommen - für ein Ablenken des Asteroiden ist es nun aber viel zu spät.
Alan Harris: "Das ist ein natürlicher Prozess, der jetzt weiter geht. Er hält nicht an - gerade jetzt, weil wir hier sind."
Beinahe wäre es wirklich gut gegangen. Doch der kosmische Brocken trifft ganz knapp die Erde. Er reißt einen zehn Kilometer großen Krater in Texas - das herausgeschleuderte Material und die heiße Druckwelle der Explosion verwüsten weite Teile der USA und Mexikos.
So weit muss es nicht kommen. Die Inventur des Sonnensystems schreitet zügig voran. Die Astronomen entdecken immer mehr Asteroiden, bestimmen die Bahnen und schätzen so die Gefahr für die Erde ab. Doch was im Falle eines drohenden Einschlags zu tun ist, liegt nicht in der Hand der Wissenschaftler. Sie können nur empfehlen, wie sich eine Katastrophe abwenden ließe. Die Europäische Kommission finanziert derzeit das Projekt NEOshield - den Schutzschild vor erdnahen Objekten. Projektleiter ist Alan Harris vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
Alan Harris: "Es geht um die ganze Problematik des Einschlagrisikos und Abwehrmaßnahmen, wie man Asteroiden ablenken kann. Welche Methoden gibt es? Sind diese Methoden technologisch reif? Könnte man eine solche Methode auch morgen schon einsetzen? Wir arbeiten hauptsächlich in Richtung einer Demonstrationsmission. Wir wollen eine oder zwei von diesen Methoden wirklich testen können. Das bedeutet, wir brauchen einen harmlosen Asteroiden als Ziel und wir würden dann versuchen, die Umlaufahn dieses Objekts leicht zu ändern."
Zwar arbeiten bei diesem Projekt die Wissenschaftler international zusammen - dennoch gibt es derzeit nicht einmal annähernd genügend Geld, um einen Probelauf der Weltrettung durchzuspielen. Vielleicht ist der Einschlag von Tscheljabinsk etwas zu glimpflich verlaufen, um die Asteroidengefahr dauerhaft auf die politische Agenda zu heben. Ein zuverlässiger Schutz der Erde liegt heute in unserem Interesse - aber erdgeschichtlich gesehen haben wir den Bomben aus dem All wahrscheinlich viel zu verdanken.
Alles Gute kam von oben
Die Erde vor etwa vier Milliarden Jahren. Eine grau-braune Kugel - trocken, wüst und leer. Mühsam bahnt sie sich ihren Weg durch eine dichte Wolke von Meteoriten und Trümmerstücken.
Petra Rettberg: "Einige Arten von Meteoriten enthalten größere Konzentrationen von organischen Verbindungen, die letztlich Bausteine für Lebewesen, wie wir sie heute auf der Erde haben, bilden."
Nahezu täglich krachen große Brocken auf die Erde - der junge Planet ist schutzlos einem intensiven kosmischen Bombardement ausgesetzt.
Petra Rettberg: "Andrerseits gibt es aber auch noch Kometen, die ebenfalls große Mengen an Wasser und organischen Verbindungen auf die Erde gebracht haben."
Im Laufe der Jahrmillionen lässt der Beschuss allmählich nach - aber immer wieder fügen gewaltige Einschläge der Erde böse Narben zu, löschen bestehendes Leben aus, machen neues Leben möglich.
Petra Rettberg: "Und das war zu Zeiten der Entstehung des Lebens auf der Erde vermutlich von sehr großer Bedeutung, dass diese Bausteine und das Wasser passend geliefert wurden."
Vielleicht haben die Meteoriten sogar das Leben von anderen Planeten auf die Erde gebracht - als kosmische Flaschenpost.
Petra Rettberg ist Astrobiologin beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln. Sie untersucht, ob und wie Mikroorganismen die auf den ersten Blick so lebensfeindlich erscheinende Umgebung des Weltraums überleben können. Wie sich zum Beispiel bei Experimenten außerhalb der Raumstation zeigt, sind Mikroben durchaus widerstandsfähig - und eine Reise durch das All muss nicht zwangsläufig zum Absterben der Zellen führen. Auch wenn die Panspermie-Theorie, also die Idee, das Leben sei von außen auf die Erde gekommen, heute nur noch wenige Anhänger hat, so beschäftigt sie dennoch die Wissenschaftler.
Petra Rettberg: "Diese Einzelaspekte, das Herausschlagen von Material aus einem belebten Planeten, die ungerichtete Reise durch das Weltall, Wiedereintritt und die Landung auf einem anderen Planeten sind durchaus Dinge, die ernsthaft untersucht werden - gerade in den letzten 15 bis 20 Jahren. Es sagt keiner, es war so - aber es wird untersucht, ob es überhaupt möglich ist. Es ist in der Tat so, dass die einzelnen Etappen möglich sind - ob es wirklich so war, wissen wir nicht."
Klar ist nur, dass die Erde nicht von Anfang an ein blauer oder gar grüner Planet gewesen ist. Zumindest die Grundlagen des Lebens sind von außen gekommen - vielleicht sogar das Leben selbst. Immer wieder haben gewaltige Einschläge der Evolution einen neuen Weg gewiesen. Was uns früher offenbar sehr genutzt hat, ist nun eine tödliche Gefahr. Und zum ersten Mal hat die Evolution Leben hervorgebracht, das sich gegen die kosmischen Gefahren wehren kann.
Alan Harris: "Wir müssen uns entscheiden. Wir können die Natur seinen normalen Weg nehmen lassen, oder wir sagen: Okay, wir haben die Intelligenz jetzt, dass wir etwas dagegen machen können. Wir können unsere Zukunft auf diesem Planeten langfristig versichern, wenn wir Abwehrmaßnahmen entwickeln."