Kosmische Versuchslabore

Burnout am Schwarzen Loch

Von Eva Raisig · 18.12.2014
Anhand der extremen Bedingungen an Schwarzen Löchern versuchen Physiker auf die grundlegende Struktur des Universums zu schließen. Sie sind auf der Suche nach dem geheimen Code des Universums.
"There is a strange and mysterious world surrounding us ..."
"Verändern wir die Realität oder verändern wir die Realität unserer Wahrnehmung?..."
"Ist unsere Welt nur eine Illusion?..."
"
The true nature of reality..."
"Ist unsere Welt nicht, wie sie scheint? ..."
""Was ist Realität?..."
"Iit could change our idea of reality forever! ..."
Am Fermilab, 50 Kilometer westlich von Chicago, werden diese Fragen weniger dramatisch, dafür umso aufwendiger gestellt. Hier vermessen Physiker den Raum mit einer nie dagewesenen Genauigkeit. Sie wollen ergründen, ob unsere Vorstellung von ihm tatsächlich geändert werden muss.
Mit zwei Inferometern, dem “Holometer”, einer Anordnung aus Lasern und Spiegeln, untersuchen der Leiter des Experiments, Craig Hogan, und seine Kollegen das grundlegende Wesen des Raums.
Craig Hogan: "Wir vermessen die Position der Spiegel in unseren Interferometern sehr genau und überprüfen, ob wir eine winzige Bewegung feststellen können - keine Bewegung der Körper, sondern der Raumzeit selbst. Das würde zu einer neuen Art von Rauschen führen, das wir holographisches Rauschen nennen und das sich im Signal des Versuchsaufbaus zeigen müsste."
Ein solches Rauschen könnte heißen: Die Welt ist nicht wie sie scheint. Der Raum, den wir zu kennen glauben, löst sich bei genauerem Hinsehen auf. Er könnte, so die Theorie, in Wirklichkeit aus winzigen Quantenpaketen bestehen. Nicht nur die Materie, auch der Raum selbst wäre immer einer winzigen Unschärfe unterworfen. Nichts stünde jemals still.
Das Holometer ist der Versuch eine Idee experimentell nachzuweisen, die unser Vorstellungsvermögen auf eine harte Probe stellt.
"Wir neigen dazu zu denken, wir könnten dem Raum Zahlen zuordnen", sagt Herman Verlinde, Professor für theoretische Physik an der Universität Princeton.
Herman Verlinde: "Wir behandeln diese Zahlen, als könnten sie jeden Wert annehmen und nennen es deshalb “Raum-Zeit-Kontinuum”. Aber wahrscheinlich ist das schon eine Näherung von etwas, das in Wirklichkeit ein bisschen verschwommen ist, grobkörniger und unscharf, wenn es um sehr kleine Distanzen geht. Wenn wir sehr hohe Temperaturen betrachten oder sehr dichte Gebiete, dann kann die Notierung von Raum und Zeit in ihrer jetzigen Form nicht beibehalten werden. Wir nennen das emergent: Dass es Beschreibungen von Materiezuständen gibt, bei denen der Raum nicht wirklich existiert. Erst wenn die Dinge kühl genug sind, taucht der Raum auf."
Der Raum geht aus einem noch grundlegenderen Geflecht hervor. Aus einer Realitätsebene, die sich unserem Blick bisher entzieht. Und hier betreten die schwarzen Löcher die Bühne des Geschehens. Wie immer sind sie zuverlässig zur Stelle, wenn es um den Raum geht. Unstimmigkeiten im Theoriengebilde der Physik lassen sich an ihrem extremen Wesen besonders gut offenlegen.
Tucholsky wusste: Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist.
Tucholsky in "Zur soziologischen Psychologie der Löcher": "Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist. Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des Nicht-Lochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut. Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch, aber auch keine Philosophie und erst recht keine Religion, als welche aus dem Loch kommt. Die Maus könnte nicht leben ohne es, der Mensch auch nicht: es ist beider letzte Rettung, wenn sie von der Materie bedrängt werden. Loch ist immer gut."
Schwarze Löcher könnten die entscheidende Rolle dabei spielen, den grundlegenden Code des Universums zu entziffern. Dabei war ihre Erfolgsgeschichte nicht abzusehen.
Dezember 1915. Der Astronom Karl Schwarzschild, Leiter des astrophysikalischen Observatoriums in Potsdam hat sich bei Kriegsausbruch freiwillig für die Armee gemeldet. Von der Ostfront aus schreibt er einen Brief an Albert Einstein, der zu dieser Zeit in Berlin arbeitet: "Wie Sie sehen, meint es der Krieg freundlich mit mir, indem er mir trotz heftigen Geschützfeuers in der durchaus terrestrischen Entfernung diesen Spaziergang in Ihrem Ideenlande erlaubte.“
Das Ideenlande, von dem Schwarzschild schreibt, ist Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, die dieser kurz zuvor veröffentlicht hat. Dem Brief liegt eine Lösung von Einsteins Gleichungen bei. Es ist die erste Lösung und wird lange Zeit die einzige bleiben. Sie beinhaltet das, was ein halbes Jahrhundert später den Namen Schwarzes Loch erhält.
Herman Verlinde: "Ich glaube, in unserem kollektiven Bewusstsein gibt es schwarze Löcher schon viel länger als hundert Jahre. Die Idee, in ein schwarzes Loch zu fallen, bedeutet etwas für uns und erklärt die Anziehungskraft, die sie auf uns ausüben, oder zumindest unsere Neugier. Was ist ein schwarzes Loch? Es ist das große Unbekannte, es ist das, was dich einsaugen kann, auch wenn du gar nicht in ein solches Loch hineinfallen willst."
Jürgen Renn: "Als es zum ersten Mal klar wurde mit Schwarzschild, dass es da so komische Bestandteile gab einer Lösung, die man nicht so richtig interpretieren konnte, da hat man das für ein mathematisches Artefakt gehalten zunächst mal und hat nicht gedacht, dass dahinter eine tiefere physikalische Bedeutung steht."
Jürgen Renn, Direktor des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin: "Die ist wirklich erst erkannt worden, und das hat wirklich viele Jahrzehnte gebraucht, nachdem man verstanden hat, wie sich Sterne entwickeln und wie Sterne dann auch kollabieren."
Irgendwann war klar: Wenn ein massereicher Stern am Ende seines Lebens seine Energie verfeuert hat, stürzt er vollständig in sich zusammen, nur sein Schwerefeld bleibt erhalten. Die gesamte Masse des Sterns wird auf einen Punkt zusammengedrückt.
Unvorstellbar. Es dauerte Jahre und Jahrzehnte bis sich schwarze Löcher in der Vorstellungswelt der Physikgemeinde etabliert haben.
Die Rockstars der Astrophysik
Jürgen Renn: "Das soll uns aber nicht zu dem Vorwurf führen an die frühen Protagonisten: Ihr habt doch gar nicht gewusst - jetzt kann man alle möglichen psychologischen Gründe anführen, ah das war sowas Dunkles und Unheimliches, das wollten sie nicht. Davor warne ich. Dass man das im Rückgriff so vereinfacht."
Die Physiker hatten ihre Gründe, die seltsame Lösung zunächst als Definitionslücke abzutun, ohne Bezug zur Realität. Gerade das Dunkle und Unheimliche, das die schwarzen Löcher umgibt, führt aber später dazu, dass sie umso schneller in der außerwissenschaftlichen Welt ankommen. Dabei war lange gar keine Rede von einem Loch, in das man hineinfallen oder das alles um sich herum einsaugen könnte. “Vollständig gravitativ kollabierte Objekte”, nannten die Forscher den seltsamen Endzustand schwerer Sterne.
Womöglich wären die Schwarzen Löcher niemals zu den geheimen Rockstars der Astrophysik aufgestiegen, wenn ihre Band nicht den richtigen Namen gehabt hätte. Womöglich wären sie das Anschauungsobjekt eines eingeweihten Zirkels von Spezialisten geblieben und niemals in unsere Alltagswelt gelangt, wenn nicht ein Zuhörer auf einer Konferenz in Baltimore im Jahr 1967 den Namen “Schwarzes Loch” vorgeschlagen hätte.
John Archibald Wheeler, zu dieser Zeit einer der Protagonisten auf dem Gebiet, greift den Vorschlag auf - mit solchem Erfolg, dass die Namensfindung bis heute oft ihm zugeschrieben wird.
Tucholskys in "Zur soziologischen Psychologie der Löcher": "Wenn ein Loch zugestopft wird: wo bleibt es dann? Drückt es sich seitwärts in die Materie? oder läuft es zu einem andern Loch, um ihm sein Leid zu klagen – wo bleibt das zugestopfte Loch? Niemand weiß das: unser Wissen hat hier eines."
Jürgen Renn: "Das ist auch eine große Kunst in der Wissenschaft, diese komplexen Zusammenhänge so zu verdichten, dass man damit operieren kann als seien es Alltagsgegenstände. Die Wissenschaft wird nicht immer nur komplexer, sie wird an manchen Stellen auch wieder ganz einfach. Und dann haben wir sozusagen einen neuen Zoo vor uns und da leben halt seltsame Tiere drin, aber die haben schon einen Namen und wir wissen auch, wie sie sich verhalten."
Schwarze Löcher gehören für uns mittlerweile zum Standardinventar des Universums. Wir haben akzeptiert, dass schwarze Löcher eine unsichtbare Grenzfläche haben, den Ereignishorizont, der die eine Welt von der anderen trennt.
Es sind die Punkte, von denen an die Gravitationskraft des Loches so stark ist, dass selbst Licht ihr nicht mehr entkommen kann.
Wir haben in Gedankenexperimenten Astronauten hinter den Horizont stürzen lassen, um mit ihren Augen zu sehen, was im Inneren vor sich geht.
Wir haben mit einiger Genugtuung festgestellt, dass diese unsichtbare Grenzfläche den unschönen Kern des Lochs vor unserem Blick verbirgt.
Kosmische Zensur.
Kurz: Wir haben uns mit der Existenz schwarzer Löcher und ihrem seltsamen Wesen abgefunden.
Oder?
Verlinde: "Das ist eine typische Rolle, die die schwarzen Löcher in den letzten hundert Jahren gespielt haben: Immer wenn wir dachten, wir hätten sie verstanden, kam ein neues Rätsel und eine neue Lektion, die wir lernen mussten."
Es ist das Mitgefühl mit demjenigen, der in das Loch hineinfällt. Die Vorstellung, dort ganz allein zu sein. Keine Möglichkeit zu haben, auch nur ein Wort des Bedauerns nach draußen dringen lassen zu können. Jedes Signal verhallt in asymptotischem Schweigen. Der wohlige Grusel liegt in der Perspektive.
Vielleicht liegen Unheimlichkeit und Neugier aber nicht nur am Namen und unserer Phantasie, sondern auch daran, dass an den Grenzen schwarzer Löcher auch die beiden großen Theorien des 20. Jahrhunderts an ihre Grenzen geraten.
Quantentheoretiker und Relativitätstheoretiker uneins
Joe Polchinski: "Die Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt sehr massereiche Objekte und Gebiete. Die Quantenmechanik beschreibt sehr kleine Dinge. Aber es gibt Bereiche im Universum wie den Urknall, wo die Dinge gleichzeitig sehr dicht und sehr klein sind. Beim schwarzen Loch ist es genauso. Im Kern ist die gesamte Masse eines Sterns auf einen Punkt zusammengedrückt. Interessant wird es, wenn du die Theorien an solchen Orten anwendest. In weniger extremen Bereichen funktioniert die Mathematik wunderbar, aber wenn du es zu weit treibst, dann geraten die Theorien in einen Konflikt."
Joseph Polchinski, Stringtheoretiker am Kavli Institut für theoretische Physik in Kalifornien, hat zuletzt besonders eindrucksvoll gezeigt, wie dramatisch der Konflikt zwischen Quantentheorie und Allgemeiner Relativitätstheorie an schwarzen Löchern wird: "Entweder sieht das Innere eines schwarzen Lochs nicht so aus wie es Einsteins Theorie vorhersagt – oder irgendetwas anderes ist falsch. Vielleich muss die Vorstellung der Raumzeit modifiziert werden, vielleicht die Quantenmechanik. Wir haben alles mögliche ausprobiert, aber nichts hat funktioniert. Vor zwei Jahren haben wir unsere Überlegungen dann veröffentlicht."
Polchinskis Rätsel geistert seitdem unter dem Namen “Feuerwandparadoxon” durch das Ideengebäude der theoretischen Physik. Die Protagonisten: Die Quantentheorie, die Allgemeine Realtivitätstheorie, ein schwarzes Loch und ein toter Astronaut.
Auch hier geht es um die Perspektive: Den Blick von außen und den Blick ins Innere.
"Den nächsten Augenblick war sie ihm nach in das Loch hineingesprungen, ohne zu bedenken, wie in aller Welt sie wieder herauskommen könnte."
Für denjenigen, der außen steht, in sicherer Entfernung und keinen Blick hinter den Ereignishorizont zu werfen vermag, ist das Loch das Ende. Ein Defekt in der Welt.
Für denjenigen, der durch den Ereignishorizont hindurchfällt, ist es zwar das Ende der bisherigen Welt. Zuallererst aber ist es ein Durchgang.
"Ehe Alice noch den Gedanken fassen konnte sich schnell festzuhalten, fühlte sie schon, daß sie fiel, wie es schien, in einen tiefen, tiefen Brunnen."
Die Dinge aus der Sicht eines mutigen Astronauten zu sehen, ist eine Möglichkeit der Theoretiker zu untersuchen, wie sich das Innere eines schwarzen Lochs beschreiben lassen könnte.
"Entweder mußte der Brunnen sehr tief sein, oder sie fiel sehr langsam; denn sie hatte Zeit genug, sich beim Fallen umzusehen und sich zu wundern, was nun wohl geschehen würde. Zuerst versuchte sie hinunter zu sehen, um zu wissen wohin sie käme, aber es war zu dunkel etwas zu erkennen."
Was mit dem Astronaut geschehen würde – darüber waren sich die Forscher lange einig.
Er würde durch den Ereignishorizont fallen ohne etwas Besonderes zu spüren, ganz wie es Einsteins Theorie vorhersagt. Nach einiger Zeit schließlich würde der Astronaut von der Gravitation des schwarzen Loches in die Länge gezogen.
"Hinunter, hinunter, hinunter! Wollte denn der Fall nie endigen?"
Schließlich würde er am unendlich dichten Kern des Lochs zerschmettern.
"Da mit einem Male, plump! plump! kam sie auf einem Haufen trocknem Laub und Reisig zu liegen, – und der Fall war aus. Alice hatte sich gar nicht weh gethan. Sie sprang sogleich auf und sah in die Höhe; aber es war dunkel über ihr."
Eine Feuerwand im Raum
Doch mit Polchinskis Überlegungen taucht plötzlich eine Feuerwand im Raum auf: "Der Ereignishorizont selbst ist kein besonderer Ort. Es ist der Punkt, an dem es kein Zurück gibt, aber der Raum sollte nicht anders aussehen als irgendwo anders. Das sagt Einsteins Theorie. Aber das Feuerwand-Argument sagt nun, dass das nicht stimmt. Dass dort, wo der Raum nach Einstein so aussehen sollte wie überall, die Quantenmechanik dazuführt, dass der Raum selbst auseinandergerissen wird."
Bei dem Versuch, die Geschehnisse am Rand des schwarzen Lochs Schritt für Schritt nachzuvollziehen und dabei auch die Quantenmechanik zu beachten, erscheint plötzlich ein Phänomen, das bedeuten könnte: Hier endet der Raum.
Verlinde: "Wir nennen es eine Feuerwand. Statt sanft durch den Ereignishorizont in ein schwarzes Loch hineinzufallen, würdest du schon am Horizont selbst gegen etwas Neues und Gewaltvolles stoßen, das dort vor sich geht. Das ist so weit weg von dem, was wir für eine handfeste Vorhersage von Einsteins Gravitationstheorie gehalten haben, dass es bedeutet, wir müssen eine sehr wichtige neue Lektion lernen."
Für den Astronauten mag es unerheblich sein, wie es mit ihm zu Ende geht – ob er verbrennt, und das schon am Ereignishorizont, oder ob er sanft durch den Horizont fällt und schließlich am unendlichen dichten Kern des Schwarzen Lochs zerschellt. Für die Theoretiker heißt es: Allgemeine Relativitätstheorie und Quantenmechanik stehen in direktem Konflikt miteinander.
Eine Feuerwand ist mit Einsteins Theorie nicht zu machen. Und wenn es nicht brennt, hat die Quantentheorie ein Problem.
Wir erinnern uns: Die beiden Theorien standen einander schon einmal unversöhnlich am Rand des schwarzen Lochs gegenüber. Dieses Duell, das die Physiker mehrere Jahrzehnte umgetrieben hat, ist die eigentliche Brandursache für das Feuerwandparadoxon.
1975 hatten wir uns mit der unendlichen Schwärze der schwarzen Löcher abgefunden. Doch dann stellte Stephen Hawking fest, dass sie eine feine Strahlung aussenden müssen. Auf den ersten Blick klingt es beruhigend, ein bisschen weniger düster. Allerdings, das mussten wir einsehen: Wenn schwarze Löcher strahlen, dann verdampfen sie irgendwann – und mit ihnen alle Informationen, die in sie hineingefallen sind. Das ist eine viel schlimmere Vorstellung als die, dass die Informationen nur so sicher verstaut sind, dass wir keine Möglichkeit haben, jemals wieder an sie heranzukommen.
Sie widerspricht fundamentalen Gesetzen der Quantenmechanik. Keine Information darf verloren gehen.
Polchinski: "Vor etwa zwanzig Jahren hat Juan Maldacena dann ein überzeugendes Argument dafür gebracht, dass nicht die Quantentheorie falsch liegt, sondern unser Verständnis der Raumzeit nicht richtig ist. Dass die Raumzeit nicht so fundamental ist wie wir dachten. Dass die Welt holographisch ist und die grundlegenden Bausteine der Raumzeit anders aussehen als wir sie uns vorstellen."
Eine holographische Welt. So irritierend diese Vorstellung klingt, so dankbar nahmen die meisten Physiker diese mathematische Erklärung von Juan Maldacena an. Der argentinische Stringtheoretiker hatte eine Sprache gefunden, um das Problem aus einer anderen Perspektive zu betrachten – ohne Informationsverlust. Eine Sichtweise, die beinah alle überzeugte.
Juan Maldacena, heute Professor in Princeton, hatte ausgearbeitet, wofür Theoretiker einige Zeit zuvor das Fundament gelegt hatten: Das holographische Prinzip.
Was, wenn die Informationen deshalb nicht verloren gehen, weil sie auf der Oberfläche, dem Ereignishorizont, in codierter Form festgeschrieben sind und nie im schwarzen Loch verschwinden? Etwa so, wie die Informationen eines dreidimensionalen Gegenstands in einem Hologramm wiedergegeben werden können?
Die Quantentheorie wäre gerettet. Wenn Informationen auf dem Ereignishorizont selbst codiert sind und nicht verloren gehen, dürften sie auch in der 3D Welt nicht verschwinden, wenn das Loch verdampft. Jedes Stück einer dreidimensionalen Welt könnte sich genauso gut mit Gleichungen aus der 2D-Welt beschreiben lassen.
Klingt kompliziert. Und ist es auch. Aber Juan Maldacena hatte das Wörterbuch geschrieben, mit dem zwischen den beiden Perspektiven hin- und her übersetzt werden kann.
Juan Maldacena: "Eine der beiden Sprachen ist genauer – diejenige für die Grenzfläche, also für den Ereignishorizont. Sie ist deswegen genauer, weil wir wissen, wie wir sie vollständig zu definieren haben. Die Sprache für das Innere ist nur eine Näherung."
Die Informationen sind also erst einmal gerettet, aber was der Astronaut im Inneren sieht, bleibt unklar, sagt Juan Maldacena.
Juan Maldacena: "Die Tatsache, dass die Krümmung unendlich wird, sagt uns, dass die klassische Beschreibung an dieser Stelle zusammenbricht. Die üblichen Gleichungen verlieren ihre Gültigkeit. Die Frage ist: Durch was werden sie in dieser Region ersetzt? Das ist etwas, was wir noch nicht verstehen. Wie können wir das Innere beschreiben. Wie müssen quantenmechanische Gleichungen aussehen, die keine solche Unendlichkeit haben, und die plausible Antworten auf plausible Fragen geben?"
Tucholsky: Zur soziologischen Psychologie der Löcher: "Trenne die Scheidewand zwischen zwei Löchern: gehört dann der rechte Rand zum linken Loch? oder der linke zum rechten? oder jeder zu sich? oder beide zu beiden? Meine Sorgen möcht ich haben."
Vermutlich wäre Maldacenas Lösung nach über zwanzigjähriger Suche ein Ereignis innerhalb der Physik community geblieben, wenn sich das Wörterbuch nur auf schwarze Löcher bezogen hätte. Dass sie bevorzugt für irritierende Perspektiven Pate stehen, ist nichts neues. Bei ihnen sind wir Kummer gewohnt.
Aber Maldacenas Wörterbuch lässt sich auf jedes Stück des Universums anwenden, ob schwarzes Loch oder nicht. Jedes Stück bedeutet: Auch auf das Universum selbst. Die Informationen unserer ganzen Welt könnten an den Grenzen des Universums festgeschrieben sein.
Unsere Welt eine Illusion und das holographische Prinzip der Zauberer dahinter?
Juan Maldacena: "Es ist nicht so sehr eine Illusion als vielmehr eine effektive Theorie. Es ist eine Näherung und diese Näherung funktioniert bis zu einem gewissen Grad sehr gut, für exakte Beschreibungen ist sie aber nicht perfekt. In der Physik haben wir oft Beschreibungen, die zwar nicht exakt sind, aber für die meisten Zwecke doch ziemlich gut, etwa wenn es um große Skalen geht."
Der zugrundeliegende Code des Universums dürfte aber in ganz anderen Größenordnungen eingeschrieben sein.
Eine noch radikalere Antwort?
Juan Maldacena: "Stellen wir uns die Oberfläche eines Sees vor. Das ist offenbar eine ziemlich gut definierte Fläche, schließlich können sogar Insekten darauf herumlaufen. Wenn wir andererseits aber auf mikroskopischer Ebene auf diesen See blicken, dann ist die Oberfläche eben nicht genau bestimmt, z.B. treten Wassermoleküle ständig ein und aus. In der grundlegenden Beschreibung der Moleküle ist es also keine exakt definierte Oberfläche, auf größeren Skalen und für größere Objekte aber schon. Bei der Raumzeit ist es wahrscheinlich ganz ähnlich. Sie entsteht nur aus einer Näherung und weil wir groß genug sind, erscheint sie uns genau und präzise, wie den Insekten die Oberfläche des Sees."
Der Raum könnte in Wirklichkeit aus kleinsten Informationspaketen bestehen. Genau diese Quantengestalt des Raums versuchen die Forscher am Fermilab in ihrem Holometer nachzuweisen.
Heute denkt kaum einer, dass Maldacenas Wörterbuch falsch liegen könnte. Informationen gehen nicht verloren. Aber wie wir an die Informationen herankommen, weiß trotzdem noch niemand. Der Erklärungsversuch endete in der unsäglichen Feuerwand.
Joseph Polchinski und seinen Kollegen waren die Argumente wieder und wieder durchgegangen und zu dem Schluss gelangt, dass wir nur an die Informationen herankommen können, wenn wir bestimmte Verbindungen zwischen Teilchen am Rand des schwarzen Lochs aufbrechen.Ein unfassbar gewaltvoller Akt und so energiereich, dass der Ereignishorizont sich in ein Inferno verwandeln müsste. Unsere beiden Lieblingstheorien geraten ins Wanken.
Zugegeben, die Vorstellung einer Feuerwand ist einigermaßen unerträglich. Unter den vielen denkbaren und undenkbaren Alternativen ist sie aber vielleicht ein eher kleines Übel.
Polchinski: "Wenn die Feuerwand nicht stimmt, dann ist die Antwort vielleicht sogar noch radikaler. Mir fällt keine Lösung ein, die nicht radikal wäre. Eine Möglichkeit ist natürlich, dass wir ein Schlupfloch in unserer Argumentationslinie übersehen haben. Aber bis jetzt sind alle Alternativen ganz genauso radikal."
Der Raum ist vielleicht nicht, wie er scheint. Aber mit einer Feuerwand, die jeden mutigen Astronauten am Ereignishorizont verbrennen ließe, wollen sich die meisten Forscher nicht abfinden.
"No no there's not.. you'll never find a real fire wall", sagt Craig Hogan, der am Fermilab das holographische Prinzip experimentell nachzuweisen versucht.
Craig Hogan: "Es ist ein Gedankenexperiment und es ist eine Reductio ad adsurdum. Es bedeutet, dass manche Annahmen, die in der Argumentationslinie plausibel erscheinen, zu Feuerwänden führen würden. Und du beweist damit, dass die Annahmen nicht stimmen können."
Er glaube mittlerweile, es könnte sie tatsächlich geben, sagt Joseph Polchinski, der als erster gedanklich auf die Feuerwand gestoßen war.
Joe Polchinski: "Mein Kopf glaubt an Feuerwände und mein Bauch tut es nicht. Es macht einfach keinen Sinn. Aber alle logischen Argumente deuten auf die Feuerwand. Alle Ansätze, eine Gravitationstheorie ohne Feuerwand zu schaffen funktionieren offenbar nicht und so fasse ich mehr und mehr die Möglichkeit ins Auge, dass Feuerwände tatsächlich reale Dinge sind. Das zu beweisen und zu erklären, wie sie sich bilden - darüber denke ich im Moment am meisten nach."
Die Idee, das holographische Prinzip in einem Experiment wie dem Holometer nachweisen zu können, wird übrigens von vielen ebenso kritisch gesehen wie die Vorstellung, Feuerwände könnten tatsächlich existieren.
Gedankenspaziergänge an den Rand des schwarzen Lochs
Craig Hogan: "I've definitely heard words such as preposterous... - albern – solche Begriffe habe er durchaus gehört, sagt Craig Hogan, der Leiter des Holometers. Fairerweise müsse er zugeben, dass die meisten theoretischen Physiker nicht davon ausgingen, dass er einen Effekt sehen werde.
Juan Maldacena: "But well, he is of course free to do this experiment. We'll see what he finds."
Joseph Polchinski: "I don't understand the theoretical justification for this experiment."
Craig Hogan horcht trotzdem mit großer Gelassenheit nach dem holographischen Rauschen: .
"Wenn wir den Effekt nicht sehen, dann können wir daraus weder das eine noch das andere schließen. Wenn wir den Effekt aber sehen, erzählt er uns etwas darüber, wie Holographie funktioniert. Wie die drei Raumdimensionen aus einem zweidimensionalen System heraus entstehen. Wenn wir den Effekt nicht sehen, dann versuchen wir etwas anderes."
Die Kontroversen am schwarzen Loch und in der Physikergemeinde zeigen, dass etwas nicht stimmt.
Zumindest darüber herrscht Einigkeit.
Joe Polchinski: "Hawking hat ursprünglich gesagt, die Quantentheorie müsse geändert werden und Maldacena hat gesagt, nein, es ist die Relativitätstheorie, die geändert werden muss. Vielleicht müssen sie beide ein bisschen verändert werden. Sehr sicher ist, dass unser Verständnis vom Raum sich ändern muss. Dass der Raum, wenn wir sehr kleine Dinge betrachten, nicht so aussehen kann, wie wir ihn uns vorstellen. Es ist nicht klar, was logischer wäre: dass beide Theorien ein bisschen nachgeben oder dass eine gewinnt und eine verliert."
Wie schon ein großer Poet des vorigen Jahrhunderts feststellte: Wer mit einem Bein im Loch stäke und mit dem andern bei uns: der allein wäre wahrhaft weise. Doch soll dies noch keinem gelungen sein.
Die Gedankenspaziergänge an den Rand des schwarzen Lochs machen deutlich, dass der geheime Code des Universums noch nicht entziffert ist. Dass schwarze Löcher in der Entschlüsselung das entscheidende Element sein könnten.
Und dass die Schikanen von Quantenmechanik und Relativitätstheorie an schwarzen Löchern möglicherweise ein gutes Zeichen sind.
Jürgen Renn: "Es ist eigentlich normal, dass wissenschaftliche Theorien an ihre Grenzen geraten. Ich glaube, dass das sogar ein wesentliches Moment des wissenschaftlichen Fortschritts ist, dass wir Theorien bis an ihre Grenzen ausloten und dann aus ihren Trümmern eine neue Theorie zimmern. Das ist ein produktiver Vorgang. Der Zerfall einer Theorie ist nicht einfach ein Untergang, sondern aus dem Zerfall entsteht dann immer was Neues."
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