Korruption

Politiker und ihre Affären

Der frühere französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy während einer Fernsehsendung am 21. September 2014.
Auch der ehemalige französische Präsident sieht sich mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert. © AFP
Von Thorsten Jantschek · 24.11.2014
Korruption und Vetternwirtschaft gab es schon immer, erst seit dem 18. Jahrhundert werden diese allerdings moralisch verurteilt. Jens Ivo Engels bohrt sich tief in die Verstrickungen der Politik hinein und gewährt spannende Einblicke.
Silvio Berlusconi hatte eine Affäre, oder viele. Nicolas Sarkozy hatte eine, Helmut Kohl hatte eine große, Christian Wulff eine kleine. Gemeint sind Korruptionsaffären. Sie sind die Menetekel moderner Politik. Kaum ein Politiker, der ohne Schaden aus einer öffentlich gewordenen Korruptionsaffäre hervorgegangen ist. Denn bei Korruption kennt die Öffentlichkeit keine Toleranz.
Warum das so gekommen ist, das erklärt nun der in Darmstadt lehrende Historiker Jens Ivo Engels. Er beschreibt Korruption allerdings als großen politischen Mythos, "weil sich in der Empörung über Korruption zentrale Annahmen über gute und schlechte Politik, über Moral und Unmoral, über Moderne und Vormoderne verbergen." Annahmen, die vor dem Hintergrund der Geschichte zum Teil überzogen sind. Denn auf den ersten Blick erscheint Korruption uns als ein Relikt aus früheren vormodernen Zeiten, ist ein Zeichen schlechter Politik und ist vor allem unmoralisch. Doch warum ist das so?
Tiefenbohrung in den Bereich des Politischen
Engels Geschichte der Korruption ist alles andere als die anekdotischen Aneinanderreihung von miesen Geschichten, in denen sich Einzelne auf Kosten des Gesamtwesens Vorteile verschaffen, sondern dieses Buch ist eine Tiefenbohrung in den Bereich des Politischen überhaupt, seiner Machtmechanismen, Herrschaftsformen und Legitimationsfragen. Und hier erweist sich Korruption oder ihre frühneuzeitliche Schwester, die Patronage, als Herrschaftstechnik, zu allererst als Handwerk des Politischen. Dass Günstlinge oder Verwandte in absolutistischen Herrschaftsformen Ämter und Einfluss erhielten, fand nicht in düsteren Hinterzimmern statt, sondern war normal, war sogar eine Pflicht der Herrschenden und die Sicherung ihres Einflusses über große Entfernungen, war im Grunde eine vertrauens- und verpflichtungsbildende Maßnahme. Patronage – zeigt Engels - gehörte zur Idee eines funktionierenden Gemeinwesens.
Im Übergang zur Neuzeit und zur Moderne werden Korruption und Patronage nicht überwunden, sondern sie verändern sich, an die Stelle des direkten Face-to-Face-Regierens tritt eine sich entwickelnde Bürokratie, die neue Formen jener mikropolitischen "Verbindlichkeiten ausbildet, die wir heute Korruption nennen. Mit dem Karrierebeamten als Angestellten des Staats entstand nur eine neue Form des Patrons. Und im 19. Jahrhundert tritt dann der Unternehmer, der Wirtschaftsführer auf, der sich über großzügige Spenden" seinen Einfluss im Bereich des Politischen sichert, oder sich – wie der Bierbrauer Arthur Guinness – sich einen Adelstitel erhandelt. Der Lobbyismus entsteht.
Otto von Bismarck als Paradebeispiel
Eines der vielen exzellenten Beispiele, die Engels ausbreitet, um die Verquickung von Politik und Wirtschaft aufzuzeigen, ist das Verhältnis des Bankiers Gerson Bleichröder und Otto von Bismarcks. Das Bankhaus Bleichröder, das ein maßgebliches Haus für Staats- und Industrieanleihen war, verwaltete und vermehrte das Bismarck-Vermögen, Bleichröder erhielt "1872 den Adelstitel und was noch wichtiger war, er sicherte sich einen Aufsichtsratssitz in der wichtigen Nachrichtenagentur Wolffs Telegraphisches Bureau", und ermöglichte mit einer Art Geheimvertrag den Durchgriff des Preußischen Staats auf das, was die Öffentlichkeit erreichen darf und was nicht. Engels spricht hier immer wieder von Mikropolitik, "um nicht sofort in eine moralische Abwehrhaltung gegenüber diesen Machttechniken zu verfallen. Die Kritik nämlich an der Korruption oder der Patronage ist so alt wie die Phänomene selbst, aber sie artikulierte sich bis in die Neuzeit als eine Kritik nicht an diesen Formen politischen Handelns überhaupt, sondern an graduellen Überschreitungen, Auswüchsen der Selbstsucht, übertriebener Geldgier und so weiter.
Korruption per se moralisch zu verurteilen, so wie wir es heute kennen, ist eine Entwicklung des 18. Jahrhunderts, vor allem der Französischen Revolution: Robespierre ließ sich gern mit der Kennzeichnung "Der Unkorrumpierbare" feiern. Genau im Zentrum des Tugendterrors entsteht als jener Begriff der Korruption, wie wir ihn heute kennen. - Und der sich in den offiziellen und informellen internationalen politischen Institutionen wie Transparency International, gegründet 1993, oder der UN-Konvention gegen Korruption von 2003 zeigt.
Kritik an Korruption und Vetternwirtschaft ist wichtig
Auf der einen Seite zeigt Engels, wie wichtig in modernen politischen Gemeinwesen die Kritik an Korruption und Vetternwirtschaft geworden ist, wie sehr sie zum Motor politischer Entwicklungen geworden ist, zugleich warnt er aber vor der in dieser Kritik erkennbaren moralischen Selbstüberforderung", denn: Die Geschichte kann dafür sensibilisieren, dass Korruption und ihre Bekämpfung eine Mythos der Moderne sind, dass die soziale Wirklichkeit den strengen Vorschriften nach Grenzen und Trennlinien schlicht nicht entspricht und nie entsprochen hat." Wir können, heißt das wohl, den Kampf gegen die Korruption nicht gewinnen. Aber nicht, weil wir uns nicht genügend anstrengen oder die Korrupten so übermächtig sind, sondern weil wir einen zu moralisch rigoristischen, einen idealen, der historischen Wirklichkeit nicht entsprechenden Begriff des politischen Handelns haben.

Jens Ivo Engels: Die Geschichte der Korruption
Von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert
S. Fischer, Frankfurt/Main, 2014

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