Korruption mit Todesfolge

Thomas Franke im Gespräch mit Nana Brink · 10.12.2012
2009 starb der russische Anwalt Sergej Magnitski in einem Moskauer Untersuchungsgefängnis. Magnitski hatte Verstrickungen der Moskauer Finanzbehörden und des Innenministeriums bei illegalen Geschäften aufgedeckt. "Das ist eine globale Affäre geworden", sagt der Journalist Thomas Franke.
Nana Brink: Und jetzt widmen wir uns hier zu dieser Stunde einem Fall, der auch für 007 keine schlechte Story wäre – nur leider ist sie wahr. Oder besser, die Wahrheit ist das, was fehlt. Worum geht es? Vor genau zwei Jahren starb in einem Moskauer Gefängnis der russische Anwalt Sergej Magnitski unter sehr mysteriösen Umständen. Er war 37 Jahre alt, kerngesund, aber wahrscheinlich ist ihm seine Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer für eine Investmentfirma zum Verhängnis geworden. Er hatte nämlich aufgedeckt, dass russische Beamte offensichtlich 230 Millionen Euro unterschlagen haben.

Und er ist nicht der einzige Tote in diesem Fall: In den USA gibt es schon eine sogenannte Magnitski-Liste, auf der 60 Menschen stehen, die angeblich mit dem Tod des Anwalts zu tun haben. Bei mir im Studio ist jetzt Thomas Franke, Journalist auch für uns in Moskau. Er hat sich ausgiebig mit dem Fall beschäftigt. Schönen guten Morgen, Herr Franke!

Thomas Franke: Guten Morgen.

Brink: Was genau hat denn Sergej Magnitski aufgedeckt?

Franke: Ja, da muss man ein bisschen zurückgreifen. Das Ganze ging 2007 los. Sergej Magnitski hat für den britischen Investmentfonds Hermitage Capital gearbeitet und bei deren Töchtern gab es plötzlich Durchsuchungen. Dabei wurden Siegel beschlagnahmt, Gründungsdokumente, und diese Firmen, das ist ein juristischer Trick, wurden neu aufgemacht und sie beantragten eine Steuerrückerstattung in Höhe von 230 Millionen US-Dollar. Und das wurde von der Steuerbehörde genehmigt. Und über diese Tochterfirmen floss dann später das Geld zurück, unter anderem an den Mann der Leiterin des Moskauer Finanzamtes, des zuständigen Finanzamts.

Und das hat Magnitski den russischen Ermittlern präsentiert, und daran ist er am Ende verreckt, kann man sagen. Magnitski hatte ein Bauchspeicheldrüsenproblem und ist an unterlassener Hilfeleistung im Gefängnis gestorben. Mittlerweile, und das ist ja interessant, greift das Ganze um sich: Es sollen vier Zeugen beim Joggen, unter anderem beim Joggen, auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen sein. Und es ist noch nicht klar, ob dort Fremdeinwirkung dahintersteckt oder nicht. Der letzte Zeuge ist vor etwa drei Wochen in Großbritannien ums Leben gekommen.

Brink: Wie gefährlich ist es denn jetzt – also es ist ja dann sehr gefährlich, sich mit russischen Behörden einzulassen, wenn sie auch in kriminelle Machenschaften verwickelt sind?

Franke: Ab einer gewissen Stufe ist das richtig. Hermitage Capital war ein wenig weitsichtig, hat alle russischen Mitarbeiter abgezogen, auch Magnitski das angeboten. Magnitski war Patriot, er wollte das durchziehen. Er hat daran geglaubt, dass Russland die Möglichkeit hat, ein Rechtsstaat zu werden, ein stabiler Rechtsstaat zu werden. Er ist dann im November 2008 verhaftet worden. Dahinter – das ist ja interessant – ihm wurde im Grunde genommen vorgeworfen, was er nachgewiesen hat, nämlich, dass er hinter diesen Steuerhinterziehungen steckt. Und das ist eine ganz alte Masche in Russland. Und im Juni 2009, ein gutes halbes Jahr nach seiner Verhaftung, ist Sergej Magnitski dann an einem Bauchspeicheldrüsenversagen im Untersuchungsgefängnis gestorben.

Es gibt mehrere Leute – er ist gefoltert worden, er hat verschiedene Sachen verweigert bekommen, kein Wasser, hygienische Verhältnisse waren schlecht, er ist wohl auch geschlagen worden. Kurz darauf wurde der Arzt angeklagt, der Arzt dieses Untersuchungsgefängnisses in Moskau, und ist in der ersten Instanz freigesprochen worden. Das heißt, es ist auch nie wirklich zu Ermittlungen im Fall des Todes von Sergej Magnitski gekommen.

Brink: Nun hat diese ganze Geschichte ja Ausweitungen. Ich habe das schon angedeutet, es gibt eine sogenannte Magnitski-Liste in den USA. Da stehen mehrere tausend Menschen drauf, die angeblich mit diesem Tod zu tun haben. Das heißt, plötzlich wird das auch eine globale Affäre?

Franke: Das ist eine globale Affäre geworden durch diese Magnitski-Liste. Die ist ja in den USA vom Senat und vom Repräsentantenhaus beschlossen worden. Der Präsident hat noch nicht unterschrieben. Und die Reaktion, die wir in Russland sehen, die unterstreicht den Verdacht, so was bringt was. Also, es geht auf der anderen Seite plötzlich um Einreiseverbote für US-Amerikaner, die an Guantanamo unter anderem beteiligt waren. Da fällt auch der Name Condoleezza Rice. Es geht – und das ist ein Absurdum der derzeitigen internationalen Beziehungen in Russland – um Kindesmisshandlung an Kindern, die mal aus den USA adoptiert wurden, also russische Kinder, die adoptiert wurden, heute in den USA leben, die angeblich misshandelt werden und wo angeblich so etwas wie System hinter steckt. Das ist etwas, was die russischen Behörden in letzter Zeit immer wieder auf die Agenda setzen.

Es geht bei der Magnitski-Liste ganz konkret um Einreiseverbote für die am Magnitski-Fall Beteiligten, unter anderem den Arzt, aber auch Richter, Staatsanwälte et cetera. Und es geht darum, dass deren Gelder eingefroren werden. Und auch das scheint ein Mechanismus zu sein, mit dem man der ganzen Sache Herr wird. Ich habe vor Kurzem mit einem sehr reichen und nicht mehr sehr mächtigen Menschen in Moskau gesprochen, der selbst angesprochen wurde von Leuten, die mit dieser Liste zu tun haben, die im Umfeld dieses Magnitski-Falles arbeiten, und die sagen, das sei eine Katastrophe, wir können unsere Kinder nicht mehr ins Ausland schicken, und wo ist unser Geld? Das bringt eventuell sehr viel.

Brink: Also eine Geschichte, die uns noch in all ihren Verzweigungen lange beschäftigen wird. Herzlichen Dank! Der Autor und Journalist Thomas Franke über den Fall des russischen Geschäftsmannes Sergej Magnitski.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.