Korn kritisiert "mediale Aufblähung" beim Synagogenbau

Salomon Korn im Gespräch mit Katrin Heise · 09.11.2011
Für Salomon Korn fehlt beim Umgang mit Synagogenneubauten die Normalität. Verglichen mit christlichen Kirchen und auch Moscheen sei die Zahl eher gering, sagte Korn, der selbst Architekt ist, anlässlich des Neubaus in Speyer.
Katrin Heise: Mit einem hätte man nach 1945 ganz sicher nicht gerechnet: dass ausgerechnet Deutschland wieder ein Zentrum jüdischen Lebens werden könnte. Und doch: Genau so ist es. Seit 1990 ist eine Viertelmillion Juden aus Russland nach Deutschland gekommen und zum größten Teil auch geblieben. So manche Gemeinde, die als unrettbar galt, wie zum Beispiel eine in Chemnitz oder die in Potsdam, erlebt eine Wiedergeburt. Eine Folge der Einwanderungswelle ist ein regelrechter Bau-Boom: In keiner anderen Baugattung hat die deutsche Architektur in den letzten Jahren ähnlich außergewöhnliche Leistungen erbracht wie in der Synagogenarchitektur, das schrieb im vergangenen Jahr die "Neue Züricher Zeitung". Nikolaus Bernau lässt jetzt einige dieser immer wieder preisgekrönten Bauwerke vor unserem inneren Auge entstehen.

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Nikolaus Bernau hat uns einige der in den letzten Jahren errichteten Synagogen in Deutschland beschrieben. Wie sich das jüdische Leben in Deutschland in der Architektur der Synagogen widerspiegelt, dazu möchte ich nun Salomon Korn befragen, selber Architekt, aber auch Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Guten Tag, Herr Korn!

Salomon Korn: Guten Tag!

Heise: Die außergewöhnliche Leistung oder die außergewöhnlichen Leistungen in der Synagogenarchitektur der letzten Jahre, die besteht ja auch darin, entweder Geschichte zu transportieren, an sie anzuknüpfen oder eben einen Bruch zu signalisieren. Ist eine Synagoge also immer vor allem ein nach außen gerichtetes Symbol?

Korn: Nein, aber zunächst mal, glaube ich, möchte ich einiges zurechtrücken, und zwar: Man darf nicht vergessen, es gab vor dem Krieg in Deutschland rund 300.000 Synagogen (gemeint sind 3000 Synagogen, Anmerkung der Online-Redaktion) und Betstuben, und zwar über das gesamte deutsche Reich verteilt. Wir haben heute vielleicht 100, und davon sind bis 1989 rund 70 errichtet worden und danach noch mal zwei Dutzend.

Und wirklich spektakulär sind letztlich ein halbes Dutzend, vielleicht noch einige mehr, aber viel mehr ist es gar nicht. Das Interessante ist, dass es medial immer so aufgebauscht wird. Letztlich ist die Synagoge in Deutschland nach dem Krieg eigentlich eine marginale Baugattung, hat aber durch die Berichterstattung und durch die mediale Aufblähung einen Stellenwert erreicht, der eigentlich sozusagen bei normalen Verhältnissen das nicht erreicht hätte. Und daran kann man sehen, dass die Normalität, die sogenannte Normalität also immer noch nicht eingekehrt ist, denn verglichen mit christlichen Kirchen und auch Moscheen ist es natürlich von der Zahl her marginal, wenngleich, ich muss sagen, das halbe Dutzend, das gebaut wurde ...

Heise: ... sehr außergewöhnlich ist.

Korn: Das ist außergewöhnlich, weil die Synagoge eben von ihrer Forderung her keinen Baustil kennt und deswegen eigentlich jede Gestalt annehmen kann. Im Wesentlichen werden aber Symbole verwendet wie der Davidstern, die Gesetzestafeln und der siebenarmige Leuchter, und diese sozusagen eher abstrakten Symbole tragen dazu bei, dass dieser große Variantenreichtum bei Synagogen zustande kommen kann.

Heise: Wenn wir jetzt von diesen außergewöhnlichen Synagogen mal sprechen: Das sind ja, wie ich gefragt habe, also vor allem nach außen gerichtete Symbole. Welche Rolle spielt denn da eigentlich noch die – in der Bauplanung oder auch in der Diskussion vorher –, die Nutzung als religiöser Ort?

Korn: Also die Nutzung als religiöser Ort steht immer im Vordergrund. Dass es nach außen spektakulär erscheint, das, glaube ich, ist mehr wie gesagt eine Wahrnehmung, die eigentlich nur in seltenen Fällen tatsächlich eigentlich dem eigentlichen Stellenwert, dem Rang und der Architektur und der Bauqualität auch wirklich entspricht. Es ist mehr wirklich die Wahrnehmung, die die Öffentlichkeit von solchen Bauten hat.

Das Prinzip einer Synagoge wird eigentlich vom Innenraum her bestimmt, nämlich von dem zentral stehenden Almemor, das ist also ein ... Entschuldigung, die Bima, das heißt also ein Podest im Zentrum der Synagoge und dem Heiligen Schrein im Osten. Das heißt, es gibt hier einen Konflikt zwischen einem Zentralraum und einem Langhaus, und das ist das, was eigentlich die Synagoge so spannend macht, weil dieser Konflikt, dieser räumliche Konflikt kaum ideal zu lösen ist. Und diese Spannung, die im Innenraum entsteht, ist eigentlich das, was die Synagogenarchitektur wirklich kennzeichnet gegenüber anderen Sakralbauten.

Heise: Wenn wir jetzt noch mal vom äußeren Eindruck schauen: Die beispielsweise kubischen Bauten in München, aber auch die Synagoge in Dresden, das sind ja sehr kompakte Bauten, das sind sehr kompakte Mauern, sehr verschlossen eigentlich zeigen sie sich der Außenwelt, und trotzdem sind sie ein totaler Publikumsmagnet, eine Touristenattraktion. Das ist ja auch interessant, wo der erste Eindruck ja fast von außen her gesehen abweisend ist.

Korn: Ja, also in München haben Sie, um das Beispiel zu nennen, haben Sie die Kombination zwischen Tempel und Stiftszelt, also zwischen Dauerhaftigkeit und Provisorium. Das ist, was die Architektur dieser Synagoge – das ist wirklich eine der besten Synagogen überhaupt, die es gibt – ausmacht. Und sie ist räumlich gesehen auf dem St.-Jakobs-Platz so angeordnet, dass es auch einen spannungsreichen Restraum auf diesem Platz gibt. Das heißt, hier haben die Architekten tatsächlich ein kleines Wunder vollbracht, weil dieser Platz zunächst gar nicht richtig städtebaulich in den Griff zu bekommen war. Aber auch architektonisch ist dieser Gegensatz zwischen Provisorium und Dauerhaftigkeit gerade in dieser Synagoge mit am besten verwirklicht, und das macht die Qualität dieser Synagoge aus: das Abweisende und das Einladende.

Heise: Anlässlich der heutigen Eröffnung der Synagoge in Speyer hören wir im Deutschlandradio Kultur Salomon Korn zur Synagogenarchitektur in Deutschland. Herr Korn, wie steht es eigentlich mit der tieferen Begegnung zwischen Juden und Nichtjuden – also ich sagte ja Touristenmagnet? Wird eine tatsächliche Begegnung durch solche spektakulären Bauten befördert?

Korn: Das ist nur die Hülle. Also wenn ich Frankfurt nehme zum Beispiel, wo das Gemeindezentrum ja jetzt 25 Jahre alt wird, so ist ... Das sind Orte, an denen Juden und Nichtjuden sich begegnen können. Also im Idealfall ist eine Synagoge oder in diesem Fall ein Gemeindezentrum mit Synagoge – das ist ja in Deutschland in der Regel der Fall – ist eigentlich ein Treffpunkt für die Stadtgesellschaft. Das ist der Idealfall, und in Frankfurt ist das so. Das heißt, die Synagoge und das Gemeindezentrum gibt eine Hülle ab für die Begegnung von Juden und Nichtjuden und damit auch sozusagen einen Ort, an dem sozusagen die gegenseitige Verständigung, der Austausch, der Dialog stattfinden kann. Das ist das, was die Qualität eines solchen Ortes ausmacht, und wenn er architektonisch attraktiv ist, ist er umso anziehender.

Heise: Wenn wir uns jetzt mal um die Dresdner, um die Mainzer, um die Kasseler oder eben um die Synagoge auch in Speyer noch mal Gedanken machen: Wie geht eigentlich die Diskussion in den Gemeinden, gerade was solche moderne Architektur angeht, ist man sich da einig – weil Sie auch gerade dagegen gesetzt haben die vielen, vielen, vielen Synagogen, die wir eigentlich weniger wahrnehmen, weil sie so unspektakulär sind?

Korn: Nein, das ist sehr gegensätzlich. Ich kann mich erinnern, ich war in vier oder fünf Jurys bei Wettbewerben, unter anderem ja auch in München, und in München war das zum Beispiel, wenn wir das spektakulärste Beispiel nehmen, ... Keineswegs Einigkeit gab es in der Jury, was die Gestalt dieser Synagoge anbelangte: Es gab Jurymitglieder, Mitglieder der Gemeinde München, die dagegen waren, einen solchen Bau zu errichten, und die eher auf einen historisierenden Bau des 19. Jahrhunderts ausweichen wollten, weil hier dem Laien nicht ganz klar war, dass es sich hier um eine ganz außergewöhnliche Architektur, um eine zukunftsweisende Architektur handelte. Aber inzwischen ist es ja ein Publikumsmagnet geworden und inzwischen sind auch die Gemeindemitglieder überzeugt. Aber der Weg dahin ist oft schwierig.

Heise: Was gibt denn dann den Ausschlag in so einer Diskussion, sich für einen so spektakulären Bau zu entscheiden?

Korn: In der Regel sind es die Argumente der Jury, der Preisrichter, deren Glaubwürdigkeit, und wenn einer davon auch noch Jude ist und Vizepräsident des Zentralrats, dann hat das natürlich schon sein Gewicht.

Heise: Sprechen Sie von sich selber?

Korn: Nun ja, ich bin also ... In diesen Wettbewerben war ich also Mitglied der Jury, und ich habe auch gerade in München geholfen, den Widerstand zu überwinden – gegen eine Synagoge, die aussah wie ein Bau aus dem 19. Jahrhundert.

Heise: Wer durch Berlin geht, wird nach wie vor mit den starken Sicherheitsmaßnahmen konfrontiert, was jüdische Einrichtungen angeht. Inwieweit beeinträchtigen oder prägen diese eigentlich nach wie vor das Erscheinungsbild neuer Synagogen?

Korn: Das Merkwürdige ist, dass die jüdischen Gemeinden, also die Mitglieder der jüdischen Gemeinden sich daran gewöhnt haben. Es ist dermaßen Alltag geworden, dass die Mitglieder das kaum noch registrieren. Das ist ja etwas, was sozusagen eigentlich bedenklich ist, dass diese Sicherheitsmaßnahmen jetzt alltäglich geworden sind und den Gemeindemitgliedern zumindest nicht auffallen, Außenstehenden schon, aber wenn Sie jeden Tag Ihr Kind zum Kindergarten bringen oder zur Schule in einer solchen Gemeinde, dann kennen Sie schon sozusagen alle Sicherheitsbeamten und grüßen sie freundlich. Die sind sozusagen Teil des Gemeindezentrums und des alltäglichen Lebens geworden.

Heise: Salomon Korn, Architekt, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland zur Eröffnung der Synagoge in Speyer. Ich danke Ihnen, Herr Korn, für das Gespräch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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