Koran und Islamismus

Warum Dschihadisten keine religiösen Analphabeten sind

Ein Besucher des Islamischen Zentrums Wien am 25.10.2014 anlässlich des "Tages der offenen Moschee" in Wien. In Österreich soll am 25.02.2015 ein neues Islamgesetz verabschiedet werden. Foto: APA/Herbert Neubauer (Zu dpa vom 25.02.2015) |
Eine Person liest im Koran. © apa
Susanne Schröter im Gespräch mit Nana Brink · 17.01.2017
Lässt sich islamistischer Fundamentalismus mit dem Koran begründen? Die Ethnologin Susanne Schröter schließt nicht aus, dass sich Dschihadisten auf islamische Quellen berufen. Im Gespräch erklärt sie, dass es aber auch progressive Kräfte im Islam gebe.
Nana Brink: "Großerzählungen des Extremen" heißt eine sehr ambitionierte Veranstaltungsreihe des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen. Ende letzten Jahres ging es da um die Strategien der Rechten, die Narrative der Populisten in Europa. Und heute Abend steht der islamische Fundamentalismus im Vordergrund. Mit dabei ist auch die Ethnologin Susanne Schröter, sie ist Leiterin des Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam. Schönen guten Morgen, Frau Schröter!
Susanne Schröter: Guten Morgen!
Brink: Der Titel der Veranstaltung heißt, den lese ich wirklich mal vor: "'Manche glauben das, aber der Koran sagt'. Die Erzählung des aktuellen Islamismus als unhistorische Buchgläubigkeit". Im Allgemeinen, könnte man sagen, gilt der Islam ja im Vergleich zu anderen Religionen als besonders buchgläubig. Stimmt das?
Schröter: Es stimmt in weiten Teilen, aber nicht vollständig natürlich. Der Islam ist ja genauso eine Weltreligion wie andere auch und die heiligen Texte müssen interpretiert werden in der einen oder anderen Weise. Und dann versucht man entweder, sie in einem historischen Kontext zu deuten, oder man sagt, wir schauen jetzt mal, was steht denn da, und das nehmen wir alles für bare Münze. Und das wäre eben diese Buchstabengläubigkeit, die man auch in anderen Religionen natürlich findet, auch im Christentum beispielsweise, der Skripturalismus, der sogenannte. Und wenn man das tut, dann bekommt man natürlich Probleme, weil diese Texte allesamt, und auch der Koran, natürlich aus einer Zeit kommen, in der ganz andere Werte und Normen galten, als es heute der Fall ist. Und wenn man sich dann eben ganz genau an so einen Text hält und sagt, da sind aber bestimmte Dinge gerechtfertigt, und das betrifft dann beispielsweise den Umgang mit Nichtmuslimen oder das betrifft auch das Verhältnis der Geschlechter, wenn man sich da eben ganz buchstabengläubig an den Korantext hält oder auch an das Vorbild des Propheten Mohammed, wie es in den Überlieferungen niedergeschrieben ist, dann hat man natürlich ein Problem mit der aktuellen Gesellschaft.
Die Ethnologin Susanne Schröter
Die Ethnologin Susanne Schröter© picture alliance / dpa / Schröter / Privat
Brink: Aber radikale Muslime haben ja sozusagen, machen ja genau das, nämlich sie unterlegen ihre Position mit direktem Verweis auf die heiligen Texte. Und das funktioniert ja.

Islamische Theologen sind sich uneins

Schröter: Und das funktioniert, das ist auch das Problem. Es gibt ja viele, die immer sagen, Dschihadisten, also gewalttätige Salafisten, die haben nichts mit dem Islam zu tun, die haben nichts mit der Religion zu tun, das sind religiöse Analphabeten. Das stimmt nicht. Die beziehen sich durchaus auf islamische Quellen und es gibt auch islamische Gelehrte, die ihnen da recht geben, dass man das so machen kann. Dass man also Gewalt beispielsweise durchaus religiös begründen kann. Und darum wird es gehen heute Abend, darüber werden wir diskutieren, über diesen Ansatz. Progressive islamische Theologen sehen das völlig anders und die sagen, man kann das nicht eins zu eins in die heutige Zeit übertragen, der Koran atmet sozusagen den Geist auch der Zeit, in der er entstanden ist oder überliefert wurde, herniedergesandt wurde, das wäre jetzt der theologische Begriff. Und Gott hat zu den Menschen damals gesprochen, aber er würde das heute eben anders sehen. Und deshalb sind bestimmte Verse heute gar nicht mehr aktuell, weil sie zeitgebunden sind. Andere hingegen, die eine generelle Ethik des Korans ausdrücken, die könne man aber heute noch verwenden. Ja, und das ist diese Unterscheidung zwischen Buchstabengläubigkeit und historischer Kontextualisierung, das unterscheidet eben die Radikalen von den Progressiven.
Brink: Aber ist das nicht, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, eigentlich auch dann das richtige Hindernis für eine Modernisierung des Islams – oder anders formuliert, ja, die immer wiederkehrende Frage nach einer Aufklärung?
Schröter: Ja, selbstverständlich. Also, die Frage nach einer Aufklärung, die ist so ein bisschen obsolet, weil der Islam ja schon mehrere Aufklärungen hinter sich hatte und das, was wir jetzt sehen, eigentlich eine Bewegung zurück ist. Von daher ist so die Idee, wir sind sehr viel weiter, aber die Muslime müssen das alles noch machen, die ist so ein bisschen arrogant. Und da verstehe ich auch die Abwehr. Aber selbstverständlich, das ist genau die Auseinandersetzung, die im Moment geführt werden müsste, und das ist auch genau das Hindernis, das wir sehen, nicht nur bei den ausgemachten Radikalen übrigens, sondern auch bei vielen sehr, sehr konservativen Muslimen, dass sie ganz stark am Text kleben und dadurch unbeweglich werden.
Brink: Vielen Dank! Die Ethnologin Susanne Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam, schön, dass Sie bei uns waren, Frau Schröter! Und heute Abend diskutiert man am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen eben genau um die Buchgläubigkeit im Islam und wie er sich modernisieren kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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