Kooperation ist mehr als Arbeitsteilung

Moderation: René Aguigah · 14.09.2012
In seinem neuen Buch "Zusammenarbeit" untersucht der amerikanische Soziologe Richard Sennett, wie Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander kooperieren können. Die Fähigkeit, mit Fremden zu kommunizieren, geht nach Sennetts Beobachtung trotz Facebook & Co. enorm zurück, ist aber Voraussetzung für erfolgreiche Zusammenarbeit.
Susanne Führer: "Zusammenarbeit" heißt das neue Buch des amerikanischen Soziologen Richard Sennett. Nach "Handwerk" ist dies der zweite Teil seiner Trilogie der Kulturtechniken. Mein Kollege René Aguigah hat mit Richard Sennett über "Zusammenarbeit" gesprochen.

René Aguigah: Menschen können zusammenarbeiten, das liegt auf der Hand. Tiere können auch kooperieren. Können Maschinen aber auch zusammenarbeiten?

Richard Sennett: Sie können es, aber sie machen es anders als bei den Menschen. Sie können sich gegenseitig mit Information versorgen, Information austauschen, sich ein gewisses Feedback geben. Aber es ist eine Sache, die sie natürlich bis jetzt noch nicht können: Sie können nicht urteilen. Sie können überhaupt nicht bewerten, ob dieser Austausch, der da gerade stattfindet, eine gewisse Qualität hat oder nicht. Und bei Menschen, wenn die zusammenarbeiten, dann können sie schon beurteilen, ob dieser Austausch, ob diese Zusammenarbeit ein gewisses Niveau erreicht hat, ob das einen gewissen Wert hat, eine gewisse Qualität. Also, es geht letztendlich bei der Zusammenarbeit doch immer um Qualität.

Aguigah: Heißt das, dass wahre Zusammenarbeit dann doch nur bei Menschen funktioniert?

Sennett: Nein, die Menschen sind nicht die Einzigen, die zusammenarbeiten oder kooperieren können, das können alle höher entwickelten Säugetiere. Aber so, wie wir Menschen das tun, hat das etwas Besonderes, etwas Einmaliges, weil, es sind die Formen der Zusammenarbeit, die dabei eine ganz gewisse Rolle spielen.

Aguigah: Ich habe deshalb gefragt, weil, die Definition in Ihrem Buch von Kooperation oder Zusammenarbeit, die klingt sehr lakonisch. Man könnte vielleicht sogar sagen, nicht mal sehr präzise. Sie definieren Kooperation einfach als Austausch, von dem alle Beteiligten profitieren.

Sennett: Nun, meine Basisdefinition von Zusammenarbeit ist sehr einfach: Menschen kooperieren, weil sie Dinge tun, die sie alleine nicht tun können. Das ist eine sehr einfache Definition. In meinem Buch wird es dann schon etwas komplexer, wenn ich Zusammenarbeit versuche darzustellen, weil ich versuche zu sagen, wie unterschiedliche Menschen miteinander kooperieren oder zusammenarbeiten, die aus verschiedensten ethnischen oder religiösen Gruppen stammen oder aber Fremde sind, Unbekannte sind in einer Stadt, oder auch die Kooperation zwischen Menschen, die sich nicht mögen. Das ist ja etwas, was einem täglich auch im Beruf passiert, was im Militär beispielsweise auch geschehen kann.

Für diese Form der Zusammenarbeit braucht es gewisse Fähigkeiten. Der Instinkt alleine reicht dafür nicht aus. Wir müssen wieder lernen zuzuhören, wenn wir etwas verstehen wollen. Wir müssen einfach wieder in der Lage sein, mit Fremden zu kommunizieren, und auch die Möglichkeit haben, eine Zusammenarbeit wiederzuerlernen. Weil, es ist so, das nenne ich eine Art der erwachsenen Form von Zusammenarbeit.

Und meine These ist eigentlich, dass, paradoxerweise wird unsere moderne Gesellschaft immer komplexer, aber die Möglichkeit, auf eine erwachsene Art und Weise miteinander zu kooperieren, zusammenzuarbeiten, die wird eigentlich immer schwächer.

Aguigah: Genau dieses Paradox würde ich gerne aufgreifen und sogar noch verschärfen. Denn es ist ja nicht nur so, dass die Gesellschaften immer komplexer werden, das werden sie schon seit 200 Jahren. Mehr noch, seit einigen Jahrzehnten sind wir umgeben von digitaler Kommunikationstechnologie, und diese digitale Kommunikationstechnologie führt ja eigentlich zu mehr Möglichkeiten an Kooperation. Also, wir kommunizieren mit unseren Facebook-Freunden, es gibt Software, die Zusammenarbeit über große Distanzen hinweg ermöglicht. Wie kommen Sie nun zu Ihrer Beobachtung oder zu Ihrer kritischen These, dass wir dabei sind, die für eine komplexe Gesellschaft unerlässliche Kooperationsfähigkeit einzubüßen?

Sennett: Also, das ist eine sehr interessante Frage. Wir haben uns immer eingebildet, dass die sozialen Medien den Austausch eigentlich verstärken würden. Aber was eigentlich passiert ist, ist, dass, wenn man in diesen sozialen Medien miteinander kommuniziert, dass ein Mensch sich zum Beispiel zeigt, dass er darstellt, was er getan hat. Er ist wie in einem Display und Hunderte von Leuten können dann verfolgen, wie sein Alltag ausgesehen hat.

Man kann den Maschinen keinen Vorwurf machen, der Fehler liegt nicht in den Maschinen. Es sind die menschlichen Programmierer, die sozusagen ein sehr primitives Programm designt haben. Es gibt natürlich Momente, wo diese Programme plötzlich für andere Dinge benutzt werden können wie beim Arabischen Frühling. Aber man muss ganz klar sagen, dass Facebook dafür eigentlich nicht erschaffen worden ist.

Aguigah: Ein ganz anderer Strang in dem Buch beschreibt Proben von Musikern. Können Sie das ein bisschen ausführen, was dadurch deutlich wird, durch das Beispiel auch der Probe von Musikern?

Sennett: Nun, das ist meine Erfahrung. Und mir ist aufgefallen, dass bei Musikproben ich sehr viel über diese komplexeren Formen der Zusammenarbeit gelernt habe. Aber vielleicht habe ich den Fehler gemacht, dass ich zu sehr verallgemeinert habe. Das Interessante bei Musikproben sind eigentlich zwei Dinge: Das Erste, es geht hier nicht nur um verschiedenste Instrumente, sondern auch um verschiedenste Temperamente. Und es würde eine sehr schreckliche Aufführung werden, wenn man versuchen würde, diese verschiedenen Temperamente, die zu den Instrumenten gehören, in einer gewissen Form zu eliminieren.

Da sind wir aber auch schon bei einem allgemeinen Problem, weil: Wie kann man mit Leuten zusammenarbeiten, die das Leben vielleicht ganz unterschiedlich betrachten? Das kann man bei solchen Musikproben ganz gut beobachten.

Das Zweite ist, dass, bei der Zusammenarbeit in der Musik geht es auch nicht immer um eine direkte Form der Kommunikation, um eine verbale Form der Kommunikation, sondern um eine sehr viel lockere Art und Weise, miteinander zu kommunizieren. Das kann so sein, wenn man seine Augenbrauen bewegt oder wenn man eine Grimasse schneidet. Das sind körperliche Formen der Kommunikation und es gibt eben keine Regeln, wie eine erfolgreiche Musikprobe auszusehen hat.

Und dann gibt es eben auch noch eine größere Bedeutung: Man geht ja immer davon aus, dass eine gute Zusammenarbeit darin besteht, dass man eine effektive Arbeitsteilung durchführt und dass jeder Einzelne eine gewisse Verantwortung hat, Dinge, für die nur er verantwortlich ist. Émile Durkheim hat das Solidarité mécanique genannt, also eine Form von mechanische Solidarität.

Eine komplexe Zusammenarbeit fängt aber eigentlich erst dann an, wenn Menschen die Rollen verlassen, die man ihnen zugeteilt hat, und auch sich einbringen, auch aktiver werden. Wenn sie diese Arbeitsteilung sozusagen überwinden und nicht das tun, was vorgeschrieben war. Und das ist etwas, was man bei Musikproben eben, wenn es eine gute Musikprobe ist, wirklich auch erlebt. Dass die Menschen sozusagen – oder die Musiker in dem Fall – ihre Rollen, die man ihnen zugeteilt hat, desertieren. Also, davon abkommen, kritischer werden, auch Kritiker ihrer selbst und ihrer Kollegen werden. Und so entstehen neue Themen, neue Gespräche, aber eben auch neue Töne.

Und in einem allgemeineren Prinzip würde ich sagen, wir müssen dieser mechanischen Aktivität versuchen zu entkommen, auch dieser strikten Arbeitsteilung, um eben eine höhere Form, eine komplexere Form der Zusammenarbeit zu erzielen.

Aguigah: Sie sind Soziologe und Musiker, auch Ihre Frau, Saskia Sassen, ist auch eine große Soziologin. Mich würde interessieren erstens, ob es auch Kooperationen zwischen der Soziologin Saskia Sassen und Ihnen gibt in der Soziologie, zweitens, ob sie beigetragen hat – wenn es sie gibt, diese Kooperation – zu diesem Buch, und drittens, wie kooperieren wir als Leser, wenn wir in Ihr Buch eintauchen?

Sennett: Die erste Frage lässt sich ganz leicht beantworten: Wir lesen nie unsere Bücher, erst dann, wenn sie schon fertig geschrieben sind. Und das ist schon seit 25 Jahren so. Und Saskia ist meine strengste Kritikerin, aber erst dann, wenn es schon zu spät ist.

Was die weitere Frage betrifft, das berührt schon ein tieferes Problem: Ich möchte in einen Dialog mit meinem Leser eintreten. Ich möchte ihn nicht belehren, sondern ich möchte Fragen aufwerfen. Das mache ich jetzt nicht, weil ich so ein netter Mensch bin, sondern weil ich es einfach als stimulierender empfinde, das so zu machen als irgendwelche netten, kohärenten, akademischen Prosatexte zu verfassen.

Und das Resultat eines Buches - da stelle ich mir immer zwei Fragen, weil der Leser ja nicht unbedingt so tickt wie ich: Interessiert es den Leser, ist es wichtig für den Leser? Das ist, wenn Sie so wollen, meine Methode, in einen Dialog einzutreten. Ich habe keine akademische Theorie, ich habe keine politische Position, aber ich versuche eben, beim Schreiben eine Diskussion anzustoßen.

Führer: Der amerikanische Soziologe Richard Sennett im Gespräch mit meinem Kollegen René Aguigah. Und das Gespräch gedolmetscht hat Jörg Taszman. Das Buch von Richard Sennett, "Zusammenarbeit", ist im Hanser Verlag erschienen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.