Konvertiten

Juden zweiter Klasse?

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Das Judentum ist mehr als eine Religion. Menschen, die konvertieren, werden von Jüdisch-Geborenen nicht immer ernst genommen. © Imago
Von Michael Hollenbach · 23.12.2016
Der Weg der Konvertiten, also von Menschen, die zum jüdischen Glauben übergetreten sind, ist nicht immer einfach. Denn Konvertiten werden unter Juden gerne mal schräg angeschaut, obwohl sie eigentlich in der jüdischen Gemeinde als gleichberechtigt gelten.
Carola Schmidt ist vor drei Jahren konvertiert. Die getaufte Katholikin zweifelte an ihrem bisherigen Glauben:
"Das war so, dass ich mir eingestehen musste, dass einige zentrale Punkte im Christentum nicht meine sind. Zum Beispiel: wer oder was ist Jesus? Ist er Mensch, ist er Gott? Welche Stellung hat er in der christlichen Lehre? Dann ist für mich die Frage aufgetaucht: und nun?"
Dass die Apothekerin aus Hannover gerade im Judentum eine neue religiöse Heimat fand, kann Rabbiner Walter Rothschild gut nachvollziehen:
"Es ist ein Monotheismus. Wir glauben nur an den einen Gott, aber zur gleichen Zeit braucht man nicht, um zu ihm zu kommen einen Propheten oder einen Sohn oder Enkelsohn, sondern man redet direkt. Wir duzen Gott in unseren Gebeten. Wir haben keine Dogmen, keinen Papst, der sagt, was wir denken sollen, keine Hierarchien."
Aber Regeln und Rituale, die Halt geben, sagt Felix Eliyah Havemann, der Sohn von Wolf Biermann und Sibylle Havemann. Er ist vor sechs Jahren konvertiert.
"Das ist nicht so, dass man gegängelt wird, sondern dass man sich daran festhalten kann. Ich wüsste gar nicht, wie ich ohne Schabbat und die ganzen Regeln klar kommen sollte. Schabbat ist der Tag mit den meisten Regeln und der Tag der größten Befreiung."
Die Historikerin Barbara Steiner hat sich mit der Geschichte der Konversion von Deutschen zum Judentum befasst. Vor 1933 sei der Übertritt zum Judentum eigentlich gar kein Thema gewesen:
"Da haben sich mehr Juden taufen lassen, als dass christliche Deutsche jüdisch werden wollten. Und dass das Judentum so interessant wird, das hat dann tatsächlich mit der Shoah zu tun, und dieser Trend setzt dann auch direkt nach 1945 ein, wo nicht-jüdische Deutsche zum einen aus Schock übertreten, aber vor allem in den Anfangsjahren auch, dass sie gucken wollten, dass sie auf die andere Seite wechseln, auf die richtige Seite der Geschichte wechseln wollten, dass man hoffte auf Entschädigungszahlungen, man hoffte, besser versorgt zu werden nach dem Krieg."

Deutsche konvertierten zum Judentum aus Schuldgefühl

In den 1950er und 60er Jahren traten andere Motive in den Vordergrund.
"Später kam dann dazu, dass Kinder der Kriegsgeneration sich abgewandt haben. Das war der ultimative Ausstieg aus einem schuldbelasteten nationalen und konfessionellen Kontext."
Auch Walter Rothschild kennt diese Menschen, die wegen der Familiengeschichte zum Judentum wechseln wollen:
"Dann gibt es Leute, die sagen: Opa war in der SS, deswegen möchte ich Jude werden. Das ist kein guter Grund."
Auch wenn viele Rabbiner das gern so sehen - für Barbara Steiner haben Konversionen oft wenig mit religiösen Gründen zu tun:
"Ich denke, dass es eine biographische Krise braucht, und oft wird dann die Lösung im Religiösen gesucht. "Die Frage ist: muss man das über die jüdische Gemeinschaft abagieren, oder kann man das anders lösen. Also eine Psychotherapie wäre es vielleicht auch gewesen."

Sprache, Beschneidung, rituelles Bad - Pflichtstationen

Anders als im Christentum muss derjenige, der Jude werden will, viele Hürden nehmen.
Wettberg: "Man muss erst einmal die hebräische Sprache lernen."
Havemann: "Es geht darum, sich in die Gemeinde zu integrieren.Das heißt, den jüdischen Alltag zu leben."
Steiner: "Man muss an den Gottesdiensten teilnehmen. Wettberg: Man muss einen Konversionskurs besuchen. Steiner: Manche Rabbiner verlangen - Gott sei Dank - psychische Gutachten, ob der Vorsprechende auch wirklich psychisch stabil ist."
Wettberg: "Und Männer müssen sich beschneiden lassen. Also das sind schon recht hohe Hürden, die da gesteckt sind."
"Ich war sehr überrascht, was für eine emotionale Auswirkung das auf mich hatte", sagt Felix Eliyah Havemann über seine Beschneidung.
"Das ist ein tiefer Einschnitt. Bis zur Beschneidung ist noch alles Spielerei. In dem Moment, wo man seinen Körper verändert, dann ist das irreversibel, das wächst ja nicht wieder nach. Dann weiß man, jetzt ist aus Spiel ernst geworden, jetzt gibt es kein Zurück."
Der letzte Akt im Konversionsprozess ist das rituelle Bad.
Havemann: "Das ist auch ein sehr emotionaler Moment, weil ich weiß: In dem Moment, wo ich aus dem Wasser auftauche, bin ich ein neuer Mensch, bin ich auch akzeptiert von allen Juden um mich herum."
Steiner: "Das sagen ganz viele Konvertiten. Das ist aber nur ein hehrer Wunsch. Denn mir kann keiner erzählen, dass, wenn jemand zum Beispiel in einem fundamental-christlichen Milieu aufwächst, dass er das nicht so verinnerlicht hat, dass es natürlich ihn prägt."
Nach Schätzungen treten pro Jahr rund 100 Menschen in Deutschland zum liberalen Judentum über, rund 25 in orthodoxe Gemeinden. Doch viel mehr würden gerne "Neujuden" werden.
Steiner: "Die können nicht alle aufgenommen werden. Sonst würden mehrheitlich Konvertiten den Jüdisch-Geborenen gegenüberstehen."

Konvertiten sind oft aktiver als Jüdisch-Geborene

Die Konvertiten gehören meist zu den Aktivsten in der Gemeinde, die sich in religiösen Dingen oft sehr gut auskennen, berichtet Barbara Steiner:
"Die werden Rabbiner, Religionslehrer, die werden Kantoren, die engagieren sich in den Gemeinden. Die Jüdisch-Geborenen interessiert das weniger."
Der Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs, Walter Homolka, ist ein Konvertit; ebenso zwei der vier Rabbiner in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Doch zugleich reden Rabbiner wie Jonah Sievers nicht gern über die Konversion:
"Das ist der Klassiker, der ist wirklich ein wichtiges Mitglied der Allgemeinen Rabbiner Konferenz und der möchte absolut nicht, dass seine Konversion thematisiert wird. Ich finde, das ist ein Wahnsinn, denn er ist als deutscher Konvertit Nachfolger von Ben Chorin in der Synagoge Pestalozzistr. Das sind wahnsinnig große Schuhe, in die er gestiegen ist."
Die Historikerin Barbara Steiner, selbst Konvertitin, geht noch einen Schritt weiter. Für sie prägen Konvertiten wie Walter Homolka bereits das akademische Leben im deutschen Judentum:
"Es ist eine Angleichung an deutsche Verhältnisse, es ist aber auch eine Angleichung an christliche Verhältnisse. Das zeigt sich jetzt auch schon an der Etablierung der jüdischen Theologie in Potsdam. Es gibt ja die Diskussion: 'Gibt es überhaupt eine Theologie im Judentum?' Natürlich eher nicht; die meisten lehnen das ab. Und jetzt gibt es hier eine jüdische Theologie auf Initiative eines Konvertiten, wo Rabbiner ausgebildet werden - äquivalent zu einer christlichen Theologie. Das bedeutet, dass hier eine Glaubensnähe suggeriert wird, die es so nicht gibt im theologischen Konzept."
Doch trotz des Aufstiegs etlicher Konvertiten grummelt es in den Gemeinden. Häufig sind Konvertiten als Besserwisser verschrien.
Rothschild: "Im Amerikanischen heißt es Kibitzer im Jüdischen, in England ein back seat driver, jemand, der sitzt hinter, und sagt dem Fahrer, wie er fahren soll. Das gibt es überall, nicht nur in jüdischen Gemeinden. Aber weil jüdische Gemeinden in Deutschland so schwach sind, die meisten haben relativ wenig jüdisches Wissen, und dann kommt jemand rein, der jung und enthusiastisch ist und gut vorbeten kann. Das Vakuum wird dann gefüllt und das führt dann zu Problemen. Es ist ein menschliches Problem, kein theologisches Problem."
Die Konvertiten Eliyah Havemann und Carola Schmidt kennen das:
"Das stimmt leider. Der Mensch, wenn er einen Weg gefunden hat, der einen vorwärts gebracht hat, dass man von sich auf andere schließt und dann einen missionarischen Eifer entwickelt, und das ist anstrengend."
Schmidt: "Man sollte sich nicht aufspielen als der Superjude, das ist unangemessen."

Konvertiten fühlen sich oft nicht anerkannt

Die Neuen sind zwar oft religiös gebildeter als die Jüdisch-Geborenen. Viele haben dennoch das Gefühl, nicht richtig dazu zu gehören. Und das hat seinen Grund, weiß Ingrid Wettberg, die Vorsitzende der liberalen jüdischen Gemeinde in Hannover:
"Es ist nicht so, dass es nur eine Religionsgemeinschaft ist. Judentum ist mehr, Judentum ist die jüdische Ethik, die ganze jüdische Geschichte, und wenn ich mal von meiner Familie sprechen darf, ich kann meine Familie bis 1750 nachweisen, die im Frankfurter Raum gelebt haben, und eben diese wechselvolle Geschichte auch mitgemacht habe, meine Eltern sind knapp dem KZ entronnen, das ist eine Geschichte, die man nicht einfach so mit einer Konversion so übernehmen kann."
Für viele Jüdisch-Geborenen sind Konvertiten so etwas wie Juden zweiter Klasse.
Rothschild: "Es könnte nur ein Idiot sein, der das sagt. Aber das ist das Gefühl."
In Deutschland hält der Andrang von Menschen, die im Judentum ihr Heil suchen, weiter an. Rabbiner Walter Rothschild kann das bestätigen:
Rothschild: "Einige sind verrückt, einige kämpfen mit inneren Konflikten, aber ich bin offen, um mit allen zu reden und zu prüfen, ob es passt."
Manche jüdische Gemeinden haben bereits die Notbremse gezogen und einen Aufnahmestop verhängt. So werden in der liberalen Gemeinde in Hannover nur noch so genannte patrilineare Jüdinnen und Juden aufgenommen, also jene Personen, die keine jüdische Mutter, aber einen jüdischen Vater haben. Walter Rothschild hält nichts von einem rigorosen Aufnahmestop:
"Hauptquelle für neue Mitglieder sind Leute, die aus bewusstem Interesse zu uns kommen. Wenn jemand kommt, der Interesse hat, der intelligent ist, der bereit ist zu lernen, der bereit ist, ein bisschen bescheiden zu sein, das ist ein Geschenk Gottes."
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