Konturen eines "Gerechten"

Von Otto Langels · 30.04.2008
Seine große Tat, die Rettung von 1300 Juden, wurde erst spät bekannt. Die Verfilmung seiner Lebensgeschichte durch Steven Spielberg machte Oskar Schindler jedoch dann weltberühmt. Am vergangenen Montag vor 100 Jahren wurde "Vater Courage", wie ihn die Geretteten nannten, geboren.
"Martin!"
"Der Herr wünschen? Wer ist der Mann?"
"Das? Das ist Oskar Schindler."

Ein kurzer Ausschnitt aus einer der ersten Szenen des preisgekrönten Spielfilms "Schindlers Liste". Er erzählt die Geschichte des Oskar Schindler, der mit seinem Mut, seiner Dreistigkeit und durch Bestechung der SS 1300 Juden das Leben rettete. Erst zwei Jahrzehnte nach seinem Tod wurde seine Biografie durch die Verfilmung des Hollywoodregisseurs Steven Spielberg weltweit bekannt.

Oskar Schindler wurde vor 100 Jahren, am 28. April 1908, in Zwittau im heutigen Tschechien geboren.

Oskar Schindler: "Ich hatte in meiner frühesten Jugend, in der Tschechei oder im vorigen Österreich gab’s ja keine rassenpolitische Differenz, 14 jüdische Mitschüler. Die Kinder meines Nachbarn Dr. Rabbiner Felix Kanter - ich sehe ihn heute noch mit gepflegtem Bart, hat herrliche Bücher geschrieben -, und seine zwei Buben haben mit mir Fußball gespielt. Wir haben uns gegenseitig die Aufgaben abgeschrieben. Und plötzlich kam der Herr Hitler, und man durfte den Juden nicht mehr die Hand geben."

Nach der Schulzeit machte Oskar Schindler eine Ausbildung zum Ingenieur in der Landmaschinenfabrik des Vaters. 1928 heiratete er Emilie Pelzl, die Tochter eines wohlhabenden Landwirts. Nachdem das elterliche Werk schließen musste, arbeitete er als Agent für die deutsche Abwehr, bis er enttarnt und wegen Hochverrats zum Tode verurteilt wurde. Die Besetzung der sogenannten "Rest-Tschechei" durch die Nationalsozialisten im März 1939 rettete ihm das Leben. Kurz zuvor war er in die NSDAP eingetreten.

Mit dem Überfall Polens zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ging Oskar Schindler nach Krakau, um geschäftlich vom Krieg zu profitieren. Das NS-Regime hatte die Stadt als Sitz der deutschen Besatzungsbehörden für das sogenannte Generalgouvernement bestimmt. Dort übernahm Oskar Schindler, wie sich seine Ehefrau Emilie später erinnerte, eine kleine, heruntergekommene Firma.

Emilie Schindler: "Das war ein jüdisches Unternehmen. Die Fabrik war nicht die Fabrik, was sie gewesen ist zum Schluß. Die Fabrik war eine ganz kleine Fabrik, und die haben nicht genug Geld gehabt oder haben nicht gut verstanden zu arbeiten. Das war zum Verkauf."

Die Umstände dieses Verkaufs sind bis heute ungeklärt. Als Oskar Schindler im Jahr 1967 nach Israel kam, um von der Gedenkstätte Jad Vashem in Jerusalem als "Gerechter unter den Völkern" ausgezeichnet zu werden, weil er verfolgten Juden geholfen hatte, wurde Kritik laut. Eine Zeitung schrieb:

"Am 15. Oktober 1939 abends betrat Oskar Schindler, geschmückt mit dem Blutorden der Nazis, das Engros-Geschäft für Hauswaren von Schlomo Wiener in Krakau und übernahm als sogenannter Treuhänder im Zuge der Arisierung diese Firma. In brutalster Weise beschimpfte er den über 60-jährigen Schlomo Wiener und verlangte von ihm, ein Hitlerbild zu küssen. Schlomo Wiener wurde sofort aus seiner Firma entfernt."

Wegen der Vorwürfe beriet die für Ehrungen zuständige Kommission der Gedenkstätte Jad Vashem noch einmal über den Fall. Einer der von Schindler geretteten Juden, Moshe Beski, trat als Zeuge auf:

"Der erste Beschluss von diesem Ausschuß war, dass Schindler wird nur einen Baum und ein Zeugnis bekommt. Er hat keine Medaille bekommen."

Eine Ehrung zweiter Klasse gewissermaßen. Erst unter dem Eindruck des Welterfolgs des Hollywoodfilms "Schindlers List" korrigierte die Gedenkstätte Jad Vashem ihre frühere Entscheidung und verlieh Oskar und Emilie Schindler 1994 die höchste Auszeichnung.

Ende 1939 verwandelte Oskar Schindler den kleinen Betrieb am Rande von Krakau in eine expandierende Fabrik. Nach nur drei Monaten stellten immerhin schon 250 Arbeiter Küchengeräte für die Wehrmacht her. Neben Polen beschäftigte Schindler auch einige Juden, wie er den Zuhörern einer öffentlichen Veranstaltung in Frankfurt am Main im Jahr 1967 berichtete. Die Aufzeichnung ist eines der wenigen Tondokumente, auf denen er zu hören ist:

"Ich hatte 1939, nach Beendigung des Polenkrieges, einige Dutzend Juden, die durchaus als Arbeitskräfte so behandelt wurden wie Polen, durchs polnische Arbeitsamt vermittelt wurden. Aber nachdem die Verfolgung der Juden auch schon '39, '40 die ersten Schritte nahm - sie mussten den Zionstern tragen, man hat ihnen gelegentlich den Bart abgeschnitten und andere Schikanen mehr - hat man sich des Arbeitsplatzes des guten Deutschen erinnert. Und das war eine kleine Sicherheit für den Juden, einen Arbeitsausweis einer deutschen Firma zu haben."

Ende 1942 arbeiteten 800 Männer und Frauen in der Fabrik, nahezu die Hälfte waren Juden aus dem Ghetto. Die Firma erhielt lukrative Aufträge, das Unternehmen florierte. Schindler verdankte dies in erster Linie seinen jüdischen Mitarbeitern, die mehr von den Geschäften verstanden als er. Nach außen trat er als wohlhabender Direktor auf.

Der hochgewachsene, attraktive Mann war eine schillernde Erscheinung, ein Hedonist und Spieler. Er liebte das ausschweifende Leben und die Frauen, nahm an Gelagen mit hohen SS-Offizieren teil, fuhr luxuriöse Autos und umgab sich mit schönen polnischen Frauen.

Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin:

"Ich würde Oskar Schindler als einen ganz durchschnittlichen Mann schildern, ein wenig durchtrieben, ein wenig von Unternehmensgeist und Vernunft gesteuert, ein bisschen ein Abenteurer. Er war gewiss kein Duckmäuser, kein ängstlicher Mensch oder auch nur ein obrigkeitsgläubiger Mensch. Im Zweifelsfall haben ihn Gesetze, Vorschriften, Verordnungen weniger interessiert als die Gebote von Anstand, Sitte und Moralität, und das zeichnet ihn aus."

Schindlers Widerstand war nicht ideologisch motiviert, er handelte nicht aus politischen Gründen. Ihn empörte die Radikalität und Brutalität der Judenverfolgung. Der prinzipienlose Opportunist wandelte sich vom Kriegsgewinnler zum Beschützer seiner jüdischen Arbeiter.

Oskar Schindler: "Also, ich bin schon vorbelastet nach Polen gekommen, weil ich habe allmählich gesehen die Steigerung des Sadismus. Ich habe gesehen jede Woche neue Verordnungen. Alles war für Hunde, Zigeuner und Juden verboten. Nirgends durften sie mehr sitzen. Wenn man da ein bisserl Herz hat und ein bisserl Sinn für Menschentum und Empfinden hat und wenn man da nicht Widerstand ergreift, nur etwas gegen den Strom anzuschwimmen, da ist man kein Mensch."

Einer der sogenannten Schindler-Juden war Leopold Pfefferberg. Er emigrierte nach 1945 in die USA und sagte über seinen Retter:

"Er war und er ist ein Mensch, ein guter Mensch. Er hat 'spent his' eigenes Geld, um uns Brot zu geben, Medizin gekauft. Wir haben kein Geld gehabt, ich habe gar nichts gehabt."

Eine enttäuschte und verbitterte, von ihrem Ehemann verlassene Emilie Schindler unterstellte ihrem Mann später allerdings nicht nur lautere Motive.

Emilie Schindler: "Er hat mit der Judenrettung auch für sich gerettet. Er hat gewusst, auf einen Schlag zwei Fliegen zu fangen. Die haben sich gegenseitig gerettet. Er hat sich auch gerettet, sonst hätte er müssen an die Front gehen, wäre er an die Front gekommen."

Ein entscheidender Schritt in Oskar Schindlers Bemühungen, seinen Juden zu helfen, war die Einstufung des Betriebs als "kriegswichtig". Dies garantierte größere Aufträge von der Wehrmacht und einen relativen Schutz der Arbeiter vor Deportationen.

Oskar Schindler: "Munitionsteile haben wir produziert, die von Drittwerken weiter verarbeitet wurden. Gewinderinge. Für die Juden war wesentlich, kriegswichtig eingesetzt zu sein, um eine Lebensversicherung mit dem Stempel der Rüstungsinspektion zu haben, um ein einigermaßen wertvoller Bestandteil dieser Klasse Menschen zu werden."

Oskar Schindler scheute sich nicht, Unterlagen zu fälschen und Kinder und Frauen als Mechaniker oder Metallarbeiter auszugeben. Auch ging er das Risiko ein, SS-Offiziere und Wehrmachtsangehörige zu bestechen. Mehrmals wurde er von der Gestapo wegen Judenbegünstigung festgenommen und verhört.

Oskar Schindler: "Mit einer gewissen Vorsicht ist es natürlich möglich gewesen, sich im Einzelnen mit dem Einzelnen zu einigen. Man musste ihn ansprechen, man musste das Risiko eingehen, das sich in 100 Situationen ergibt, bei einer Flasche Wein, bei einer Flasche Schnaps, den Menschen überhaupt kennenlernen, wie weit er belastbar ist mit Dingen, die gegen den Strom bedeuten, mit Dingen, die also nicht dem Gesetz, dem augenblicklichen entsprachen."

Leopold Pfefferberg: "Herr Schindler hat gespielt Russian Roulette, russisches Roulette, von 39 bis 45, jeden Tag, jede Minute, in 24 Stunden. Das kann man erklären die ganze Geschichte, das, was er hat gemacht, um die Menschenleben zu retten."

Russisch Roulette im übertragenen Sinn spielte Oskar Schindler insbesondere mit Amon Göth, dem Kommandanten des Lagers Plaszow. Göth, ein Trinkkumpan Schindlers, war als brutaler und unberechenbarer SS-Mann gefürchtet. Mietek Pemper, einer der Schindlerjuden, musste anderthalb Jahre für den Lagerkommandanten arbeiten:

"Zehn Tage, bevor er mich zu seinem Stenografen bestimmt hatte, habe ich ihn doch erlebt im Ghetto, wie er wild um sich schießend Menschen getötet hat. Ich wusste, dass mich das Schicksal gestellt hat an die Stelle, wo ich mit einem Massenmörder zu tun habe. Vor Göth hat man Angst gehabt, er hat elektrisierend auf die ganze Umgebung gewirkt. Und man sagte, dass man sich in ein Mauseloch verkriechen möchte, wenn man nur hörte oder merkte, dass Göth in der Nähe ist."

Als Ende 1944 die Rote Armee näher rückte, erging der Befehl, das KZ Plaszow mit allen Nebenlagern zu räumen. 20.000 Männer, Frauen und Kinder wurden in die Vernichtungslager deportiert. Oskar Schindler konnte die Nazibehörden jedoch überzeugen, dass er mit seinen Juden die Produktion kriegswichtiger Güter in einer Fabrik im benachbarten Sudentenland fortsetzen könne.

Mehr als 1000 Juden, deren Namen auf die berühmte Schindler-Liste gesetzt wurden, - eine mehrtägige Prozedur, die im Film aus Gründen der Dramaturgie stark verkürzt dargestellt wird - mehr als 1000 Juden konnten die Reise nach Brünnlitz antreten. Doch statt ins Sudentenland wurden die Männer versehentlich in das KZ Groß-Rosen und die Frauen nach Auschwitz transportiert. Oskar Schindler gelang es jedoch, sie herauszuholen - ein einmaliger Vorgang, dass eine so große Gruppe von Juden das Lager lebend wieder verlassen konnte.

Als sie in Brünnlitz ankamen, kümmerte sich vor allem Emilie Schindler um die Unterbringung und Versorgung der Männer und Frauen. Zu den bemerkenswertesten Taten des Ehepaars Schindler gehörte die Rettung von 120 Juden, die aus einem Nebenlager von Auschwitz kamen.

Die SS hatte das Lager im Januar 1945 vor der anrückenden Roten Armee geräumt und die kranken Gefangenen in offenen Viehwaggons ohne Nahrung auf eine siebentägige Odyssee durch den eisigen Winter geschickt. Einige waren bereits tot, als der Zug in Brünnlitz ankam.

Oskar Schindler: "Da habe ich einen einfachen Eisenbahnstationsvorstand zu einem kleinen Betrug verleitet mit drei Liter Wodka, habe gesagt, da hast du eine Aktentasche voll Schnaps, der Waggon wird heute nicht mehr rangiert. Und ich hatte Zeit, so lange zu telefonieren, bis ich die Freigabe dieses Krankentransportes bekam.

Der Lagerkommandant wollte die 16 Toten gleich im Kesselhaus verbrennen. Da habe ich ihm gesagt, wir haben kein Krematorium. Wir haben - und das ist der einzige Fall im großdeutschen Reich in diesem letzten grausamen Krieg - 16 Juden rituell beerdigt, mit Rabbiner und allem."

Die Überlebenden wurden medizinisch versorgt und gepflegt. Sie mussten nicht arbeiten und konnten sich langsam erholen.

Leopold Pfefferberg: "Herr Schindler hat mein Leben gerettet, er hat gerettet mein 'wifes' Leben auch. Ich habe deutsche Sprache schon vergessen, forgive please. Er hat gerettet 1300 Menschen."

Nach der Befreiung am 8. Mai 1945 schenkten die Schindlerjuden ihrem Beschützer einen Ring mit einem eingravierten Satz aus dem Talmud:

"Wer nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt."

Außerdem überreichten sie ein Dankschreiben:

"Schindler sorgte für unseren Lebensunterhalt. Während der ganzen Zeit unserer Arbeit in seinem Betriebe ist nicht ein einziger Fall eines unnatürlichen Todes eingetreten. Schindler sorgte für die Verbesserung des Lebensstandards, indem er uns zusätzliche Ernährung und Bekleidung verschaffte, wobei er keine Ausgaben scheute. Für ihn war hierbei das menschliche Ideal maßgebend."

Oskar Schindler: "Ich bin geblieben bis fünf Minuten nach zwölf. Länger hatte ich ja dort keine Aufgabe. Den Russen zu erklären, dass ich ein anständiger Mensch war oder ein weniger schlechter Mensch, hätte ich inzwischen wahrscheinlich am Galgen gehängt. Ich hatte ja Rüstungsproduktion, und das hätte die Russen mehr gestört wie, dass ich human oder humaner war als die anderen. Und da habe ich vorgezogen, mich zum Amerikaner abzusetzen. Außerdem sind die amerikanischen Zigaretten besser wie Machorka."

Oskar Schindler kam als mittelloser Mann in Bayern an. Nach einem missglückten Versuch, illegal die Schweizer Grenze zu überqueren, ließ sich das Ehepaar Schindler zunächst in Konstanz und dann in Regensburg nieder. Doch wegen anhaltender wirtschaftlicher Misserfolge wanderte das Paar 1950 nach Argentinien aus.

Oskar Schindler: "Ich hab mich entschlossen, zu meinen Freunden nach Südamerika zu fahren. Einmal, weil man dort hat geschrieben, hier ist es wirklich wie in der Urzeit, springst wie die Affen vom Baum in den Cadillac. Außerdem gibt's genug zu essen, zu rauchen. Und ich bin nicht geneigt, Kippen zu sammeln hinter anderen, die sie wegwerfen. Also hab ich mir gesagt, schlechter wie in Bayern als Flüchtling kann ich in Südamerika auch nicht leben.

Ich habe einen Fehler gemacht beruflich, ich habe verschiedene landwirtschaftliche Produkte erzeugt, und das ist genauso, wie wenn ich in der Sahara ein Sandgeschäft aufmachen würde, weil es ist dort ein Lebensmittelüberproduktionsgebiet. Na ja, der Gringo muss eben Lehrgeld zahlen, aber ich habe wenigstens bei 4000 Hühnern genug Eier selber gegessen."

So kehrte Oskar Schindler 1957 nach Deutschland zurück und ließ sich in Frankfurt am Main nieder. Seine Ehefrau Emilie blieb in Argentinien, mit einem Berg Schulden.

Emilie Schindler: "Der Herr Schindler ist weg und hat mir 200 Pesos gelassen. Was waren 200 Pesos in 57? Was haben Sie gemacht mit 200 Pesos? Das war alles. Er hat sich noch meine Uhr genommen, weil die ja eine Golduhr war und hat sie verprasst. Der Schindler hat das Geld verprasst mit jungen Mädchen in Luxushotels."

Doch Oskar Schindler erging es in der Bundesrepublik nicht besser als in Argentinien. Er scheiterte als Kaufmann in der Getränke-, Lederwaren- und Zementbranche.

Oskar Schindler: "Ich habe nicht Wurzeln gefasst, um ehrlich zu sein. Es ist wirtschaftlich nicht so glänzend gewesen, aber ich habe kein Dutzend Kinder zu ernähren. Und Sie sehen, ich bin einigermaßen bis heute durchgekommen. Und wenn der Herrgott will, wird's noch ein paar Jahre weitergehen."

Es waren schließlich einige Schindlerjuden, die ihn finanziell unterstützten und seit 1961 regelmäßig für einige Monate nach Israel einluden. Eine Tageszeitung schrieb über seinen ersten Besuch:

"Der deutsche Kaufmann Oskar Schindler ist am Wochenende seiner Ankunft in Israel von Hunderten seiner früheren Schützlinge herzlich empfangen worden. Zahlreichen Männern und Frauen rollten die Tränen über die Wangen, als Schindler unter den Worten 'Ich kenne alle meine Juden wieder' auf sie zutrat und ihnen die Hände schüttelte. Sein Hotelzimmer glich einem Blumenladen."

Aber nicht alle Israelis begrüßten Oskar Schindler so freudig. Judenretter standen unter dem Verdacht, mit den Nazis zwielichtige Geschäfte gemacht und für ihre Hilfe fette Profite eingestrichen zu haben. Rudolf Kastner, ein gebürtiger ungarischer Jude, hatte zahlreiche Landsleute vor den Nazis in Sicherheit gebracht und sich 1942 wiederholt mit Oskar Schindler in Budapest getroffen, um über gemeinsame Hilfsaktionen zu reden. Kastner wurde vorgeworfen, mit dem NS-Regime kollaboriert und seine Seele dem Teufel verkauft zu haben.

Der Oberste Gerichtshof Israels urteilte schließlich Anfang 1958 über das Verhalten Rudolf Kastners:

"Es gibt eine Kollaboration, die Anerkennung verdient und in jedem Fall, wenn sie nicht von bösartigen und gemeinen Absichten begleitet ist, nicht verurteilt oder als moralische Schwäche betrachtet werden sollte."

Das Urteil kam für Kastner zu spät. Er wurde im März 1957 Opfer eines politischen Mordes. Als Oskar Schindler 1961 das erste Mal nach Israel kam, musste auch er sich Vorwürfe anhören, mit den Nazis paktiert zu haben. Moshe Beski, einer der so genannten Schindler-Juden:

"Im Zusammenhang mit seinem ersten Besuch hier haben wir veranstaltet eine Pressekonferenz. Und ich kann mich gut erinnern, dass einer der Journalisten hat gefragt Schindler, sagen Sie, ist es richtig, dass Sie haben mit den deutschen Behörden und den oberen Zehntausend auch getrunken und auch Geschäfte gemacht. Und ist es richtig, dass Sie mit denen in Kontakt waren.

Wissen Sie, was Schindlers Antwort war? Schindler sagte, ich muss noch heute lachen, Herr Schindler sagte, ja, das ist richtig, aber in Judenfragen und um Juden zu helfen, konnte ich damals nicht mit dem Hauptrabbiner von Tel Aviv verhandeln, ich musste mit den Nazis verhandeln."

Erst mit dem Eichmann-Prozess Anfang der 60er Jahre entwickelten die Israelis allmählich größeres Verständnis für die Naziopfer, für die Überlebenden und auch für ihre Retter. 1967 wurde Oskar Schindler von der Gedenkstätte Jad Vashem als Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet.
In Deutschland war Oskar Schindler in den 60er Jahren ein unbekannter Mann. Die DDR feierte den kommunistischen Widerstand, die Bundesrepublik gedachte der Weißen Rose und der Attentäter vom 20. Juli. Eine suspekte Person wie Schindler eignete sich in Ost wie West nicht für Heldenverehrung.

Der Erziehungswissenschaftler und engagierte Jude Micha Brumlik lebt seit 1952 in Frankfurt am Main, in der Stadt, in der auch Oskar Schindler nach seiner Rückkehr aus Südamerika wohnte. Und doch hörte Brumlik erst Anfang der 90er Jahre zum ersten Mal den Namen Schindler.

Micha Brumlik: "Ich kann mir das so erklären, dass mich eher die Verbrechen interessiert haben, dass ich mich eher dafür interessiert habe, warum, wie und unter welchen Umständen sind die Verfolger zu den Verfolgern geworden, und ich mich auf der anderen Seite für die Frage als junger Mann vor allem für den jüdischen Widerstand interessiert habe."

Immerhin erhielt Oskar Schindler 1965 das Bundesverdienstkreuz, aber das wohl nur, weil dem Auswärtigen Amt Gerüchte zu Ohren gekommen waren, Hollywood plane eine Verfilmung der Schindler-Geschichte, mit Richard Burton in der Hauptrolle.

Schindler tauchte 1967 kurz aus der Anonymität auf - als Teilnehmer einer Podiumsdiskussion beim evangelischen Jugendtag in Frankfurt am Main. Das Thema: "Gibt es 450 Jahre nach der Reformation noch vorbildliche Menschen?" Schindler berichtete von seinen Rettungsaktionen während der NS-Zeit und von aktuellen Anfeindungen:

"Schon allein dass sich einer getraut hat, den Juden die Hand zu reichen und das Leben zu erhalten, das war doch gegen die Doktrin, und gibt es natürlich heute noch manche, die die Nase rümpfen. Aber das will ich gern ertragen."

Den Auftritt Oskar Schindlers beim evangelischen Jugendtag hatte der Frankfurter Pfarrer Dieter Trautwein organisiert.
Dieter Trautwein: "Der Mann ist bei uns vorgestellt worden an dem Abend. Am nächsten Tag gab's Zeitungen, Vierspalter mit Bild und was nicht alles. In allen Frankfurter Zeitungen. Und es ist trotzdem durch den Rost gefallen. Was war der Grund dafür? Die Schindler-Geschichte war nun natürlich eine Anklage. Da hat einer geholfen. Es ging also. Man hat immer wieder gesagt, wir konnten ja nichts tun, und wir mussten ja, und so was alles, und Befehl ist Befehl. Schindler war ein Beispiel dafür, das ging auch anders. Schindlers Geschichte: eine Anklage."

Oskar Schindler starb am 9. Oktober 1974 in Hildesheim, dem Wohnort seiner letzten Freundin. Auf eigenen Wunsch wurde er in Jerusalem beigesetzt.

1980 kam der australische Schriftsteller Thomas Keneally in Los Angeles zufällig in das Lederwarengeschäft von Leopold Pfefferberg. Der Schindlerjude erzählte ihm die Geschichte seines Retters. Beide reisten nach Europa und Israel und befragten Überlebende. 1982 erschien Keneallys Buch "Schindlers Liste" und wurde ein Bestseller. Es verging dann noch einmal ein Jahrzehnt bis zur Verfilmung des Stoffs durch Steven Spielberg. Erst der Hollywoodfilm machte Oskar Schindler weltweit bekannt.

Wolfgang Benz: "Es dauert immer, bis eine Zeit sich ihre Symbole schafft, bis etwas in seiner Bedeutung erkannt wird. Judenrettung war überhaupt kein Thema, das irgend jemand interessiert hat. Die ersten Historiker, die in den 50er, 60er Jahren über Rettung nachgedacht haben und Geschichten beschrieben haben, sind eigentlich mit Achselzucken und ohne den Jubel, der ihren Entdeckungen gebührt hätte, konfrontiert gewesen.

Also ganz sicherlich - so funktioniert wohl auch öffentliche Erinnerung - braucht es den weltberühmten amerikanischen Spielfilmregisseur, der einen wunderschönen Film macht, damit die Welt aufmerksam wird."

"Schindlers Liste" wurde ein internationaler Erfolg. Er erhielt sieben Oscars, unter anderem als bester Film und für die beste Regie. In den USA, Frankreich, Deutschland und Israel waren Staats- und Ministerpräsidenten bei den Erstaufführungen anwesend.

Der Regisseur Steven Spielberg bestimmte die Konturen der historischen Figur. Mit seiner Darstellung prägte der Schauspieler Liam Neeson nachhaltig das Bild Oskar Schindlers in der Öffentlichkeit.

Der israelische Historiker und Journalist Tom Segev:

"Alles ist vom Film bestimmt. Alles, was im Film bestimmt war, zählt als heilig in Israel. Dieser Film ist so ungeheuer, so ein kanonisches Dokument, was jeder Mensch akzeptiert. Der Film ist, glaube ich, stärker als die historische Research."

Trotz seines Erfolges war und ist der Spielfilm umstritten. Der Leiter der Deutschen Kinemathek Rainer Rother:

"Er ist bei denen, die Schindler noch gekannt haben und von ihm gerettet wurden und auch dann bei der Nachfolgegeneration, also bei den Kindern der Schindlerjuden sehr, sehr positiv aufgenommen worden, nicht nur aus Gründen der Authentizität, die ihm bescheinigt wurde, sondern auch weil es als eine fällige Anerkennung einer Geschichte, auch der eigenen Geschichte wahrgenommen wurde.

Ich glaube, dass diese schillernde Figur, diese unerwartete Wendung auch der schillernden Figur zu einer Figur, die tatsächlich Gutes tut, die hilft, die eingreift, die nicht wegschaut, ganz großartig ist. Also das ist, glaube ich, eine der wirklichen Stärken des Films, seine Hauptfigur in moralischer Hinsicht nicht besser zu machen als sie war."

Tom Segev: "Ich finde den fürchterlichen Kitsch. Ich finde das erstmal schlecht, dass er in schwarz-weiß ist, weil das den Eindruck erweckt, dass das ein Dokumentarfilm ist. Ich finde auch fürchterlich die Szene, wo man durch das Guckloch in die Gaskammer guckt. Es hat niemand gesehen, wie das in der Gaskammer ist. Also ich fand das pornografisch."

Nach dem eigentlichen Ende einer märchenhaften und atemberaubenden Geschichte folgt noch eine dokumentarische, in Farbe gedrehte Szene.

Rainer Rother: "Ich glaube, das ist eine der ganz großen Gesten, die Spielberg in dem Film hat, wenn am Ende die Kinder und die noch überlebenden sogenannten Schindlerjuden zum Grab Schindlers gehen und Steine auf das Grab legen. Es ist eine Referenz vor jemandem, dessen Tun Spielberg ganz offenbar als vorbildlich empfunden hat. Es ist eine Verneigung vor einer Tat, die zu selten in Deutschland verübt wurde, nämlich den Juden zu helfen, statt sie zu ermorden."

1999 wurde auf dem Dachboden des Hauses, in dem Oskar Schindler zuletzt gelebt hatte, ein Koffer gefunden. Er enthielt Briefe, Fotos und genaue Aufstellungen Schindlers über seine Ausgaben. Um seine Juden mit Lebensmitteln zu versorgen sowie SS mit Geld, Schnaps und Geschenken zu bestechen, hatte er - nach heutigem Wert - eine Million Euro bezahlt.

Oskar Schindler: "Es war nicht immer leicht. Die andere Lösung war die bequemere. Ich konnte mit der Million Dollar in der Schweiz sitzen und hätte gesagt, Bedauern, meine Juden sind in Auschwitz umgekommen. Aber was ist schon das Leben, und was ist schon die Million Dollar, wenn man 1300 Menschen hat, die einem vertrauen, die einem fünf Jahre vertraut haben.

Und ich habe fünf Jahre nicht einen Menschen eines unnatürlichen Todes verloren. Das allein ist eine Verpflichtung, und es gibt auch Mut und Courage und gibt auch Frechheit. Und ohne Frechheit kann man im Leben in solchen Situationen nichts erreichen."