Kontrast zwischen Zeichnung und Story

28.05.2013
Der Franzose Bastien Vivès hat sich einen Namen gemacht als Star einer neuen Comic-Generation. Seine Kollegen Florent Ruppert und Jérôme Mulot, mit denen er einen neuen Band herausgebracht hat, passen eigentlich nicht zu seinen leisen Tönen und Schattierungen. Das Ergebnis aber überzeugt: Es ist ein eleganter Action-Comic geworden.
"Die Große Odaliske" führt zwei Strömungen des Comics zusammen, die künstlerische Graphic Novel und den Actioncomic. Für dieses Experiment haben sich drei herausragende jüngere Künstler aus Frankreich verbündet: Bastien Vivès, Florent Ruppert und Jérôme Mulot. Alle drei sind um 1980 herum geboren, der Bekannteste unter ihnen ist Bastien Vivès. Er gilt in Frankreich als Star einer neuen Comic-Generation, spätestens seit sein Buch "Polina" dort 2011 als Comic-Band des Jahres ausgezeichnet worden ist.

Bastien Vivès ist ein Poet des graphischen Erzählens, ein Meister der Farben, der feinen Schattierungen und leisen Stimmungen. Das Duo Ruppert und Mulot steht dagegen für subversive, provozierende, schräge Geschichten. Vivès, Ruppert und Mulot passen überhaupt nicht zusammen, das könnte eine gute Voraussetzung für eine starke Geschichte sein.

Die drei Künstler erzählen von drei Frauen: Carole, Alex und Sam. Alle drei sind hochgradig sexy und kriminell, Carole und Alex haben sich auf das Entwenden von Kunstwerken spezialisiert. In der ersten Episode des Buches stehlen sie ein Gemälde von Édouard Manet, sein "Frühstück im Grünen", aus dem Pariser Musée d’Orsay. Sie ziehen einen perfekt kalkulierten Raubzug durch, die launische Alex bringt den schönen Plan allerdings empfindlich durcheinander. Nur weil die blonde Carole so eine fantastische Karatekämpferin ist, kann sie die beiden noch einmal heraushauen.

Die seit Jahren erprobte Gemeinschaft der beiden bröckelt, aber ein neuer Super-Auftrag bringt sie wieder zusammen: ein Einbruch im Louvre. Sie sollen dort die nächste nackte Frau stehlen, nach Manets freizügiger Frühstücksszene nun "Die große Odaliske" von Ingres. Dafür wird Sam als Verstärkung angeheuert, Meisterin im Schachboxen und genauso meisterhaft als Motorradfahrerin. Auch für den Raub im Louvre haben sie einen vorzüglichen Plan, aber dieses Mal bringt ein nerviger Tourist alles durcheinander. Aus einem sauberen Einbruch wird deshalb eine Schlacht mit einer französischen Anti-Terror-Brigade. Da wird auf Motorrädern durch den Louvre gerast, auf Gemälde von Tizian geballert, mit Panzerfäusten auf Hubschrauber geschossen und auch sonst kaum etwas ausgelassen.

Vivès, Ruppert und Mulot haben sich für ihre "große Odaliske" bei einer Vorlage von Tsukasa Hojo bedient. Hojo hatte in den 80er Jahren drei japanische Grazien als Kunstdiebinnen durch seine Mangaserie "Das Supertrio" geschickt. Diese mehr als 4000 Seiten starke Serie ist naturgemäß wesentlich komplexer als die abgespeckte Version der drei Franzosen. Vivès, Ruppert und Mulot konzentrieren sich auf die Actionszenen ihrer Geschichte, mit einigem blutigen Slapstick, der deutlich an Filme von Quentin Tarantino erinnert. Das steht in einem interessanten Kontrast zu den Schauplätzen, den detailliert ausgemalten Räumen in den beiden berühmtesten Pariser Museen.

Überhaupt ist der Kontrast zwischen Zeichnung und Story das Interessanteste an diesem Buch. Bastien Vivès bleibt auch in dieser Superheldinnen-Geschichte bei seinem leichten Strich, seinem poetischen Realismus und seinen ätherischen Farben. In einem solch eleganten Stil hat noch niemand einen Action-Comic gezeichnet. Dieses Genre ist damit um eine Spielart reicher geworden, aber eine komplexe Graphic Novel ist aus der Zusammenarbeit von Bastien Vivès, Florent Ruppert und Jérôme Mulot nicht entstanden.

Besprochen von Frank Meyer

Bastien Vivès, Florent Ruppert, Jérôme Mulot: Die Große Odaliske
Aus dem Französischen von Mireille Onon
Reprodukt Verlag, Berlin 2013
128 Seiten, 20,00 Euro
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