Konstantin Wecker

Über den Gott im Innern

Der Münchner Liedermacher Konstantin Wecker.
Der Münchner Liedermacher Konstantin Wecker. © picture alliance / dpa / Patrick Seeger
Von Thomas Becker · 09.11.2014
In seinem Buch "Mönch und Krieger" arbeitet sich Konstantin Wecker an den Brüchen seines Lebens und den Gegensätzen, die in ihm wohnen, ab. Er beschreibt sich als reuigen Sünder, der die Gunst seiner Götter sucht.
Soundcheck: "Sei ein Sünder, sei ein Heiliger, gib dir alles, werde ganz, halt dich niemals an Gesetze, Dogmen und Glaubenssätze …"
Die Probe für sein Konzert am Abend ist vorbei. Jetzt ist Konstantin Wecker wieder im Hotel und hat Zeit zum Durchatmen.
Wir gehen in sein Zimmer, oben im fünften Stock mit Blick auf das BVB-Stadion. Wie so oft trägt Konstantin Wecker seine regenbogenfarbene Holzkette, dazu eine Stoffhose und ein weites Hemd.
Da sitzt er also im Sessel, der Mann, der sich in seinem neuen Buch als "Mönch und Krieger" bezeichnet. Zwei Begriffe, die selten in Kombination miteinander verwendet werden und erklärungsbedürftig sind.
"'Mönch und Krieger' ist ein Zitat aus einem meiner Lieder. Es sind zwei Symbole, die für eine Idee stehen, die ich mit dem Buch vermitteln will: dass es möglich ist, Spiritualität und politisches Engagement zu verbinden. Natürlich klingt es zunächst mal eigenartig, wenn ein Mensch, der einmal geschrieben hat: 'Wer nicht genießt, ist ungenießbar' und 'Genug ist nicht genug', dass der vom Mönchischen spricht. Aber die Sehnsucht nach so einem Leben, ein Leben in Kontemplation, war immer schon in mir. Manchmal gelang es mir auch, so zu leben – allerdings nie allzu lang." (lacht)
Wecker weiß um die Brüche in seinem Leben, um die Gegensätze und Dichotomien, die in ihm wohnen. Daran arbeitet er sich im Buch ab, beschreibt sich mal als reuigen Sünder, der die Gunst der Götter sucht. Mal als Anarchist, Rebell oder Lüstling. Auch die Zeit im Gefängnis vor gut 15 Jahren spart Konstantin Wecker nicht aus.
"Ich sing ja keine Hymne für Gefängnisse. Nach dem Motto: Lasst euch einsperren, dann werdet ihr erleuchtet. Aber für mich persönlich war es eine große Chance. Aus einer Situation, die durch meine Drogensucht bedingt war. Zwei Jahre lang eigentlich nur in einer Art Dauerparty verbracht habe und überhaupt nicht mehr bei mir war. Und da half mir natürlich diese Zwangsentscheidung, in eine Zelle zu gehen. Es ist ja nichts anderes als eine mönchische Zelle, die mir da bereitet wurde und in die ich eingeschlossen wurde. Das hat mir damals schon sehr geholfen, ja."
Die Suche nach der Weltformel
Er verzichtete auf einen Fernseher, las wenig und versuchte, in sich zu horchen. Konstantin Wecker begann zu meditieren, wollte eintauchen in die "Wolke des Nichtwissens", wie ein Mystiker im 14. Jahrhundert den Zustand völliger Kontemplation einmal nannte. Selten gelang es ihm hineinzukommen. Aber es gab diese Momente. Zuletzt vor einigen Monaten, als Konstantin Wecker am Jochbein operiert worden war, nachts wach lag und meditierte.
"Ich war in einem anderen Zustand, wenn man so will. Ich wusste, ich war nicht erleuchtet, aber ich wusste, was Erleuchtung ist. Und das war unglaublich angenehm. Ich wusste, dass das Nichtwissen etwas sehr Schönes ist. Dass man also einfach nicht alles wissen kann. Dass man deswegen auch aufgeben darf, diese letzten Fragen immer wieder zu stellen."
Der 67-Jährige ist sich sicher: Er wird weiter fragen und nach dem letzten großen Geheimnis suchen, der Weltformel, wie er es auch nennt. Diese Suche beginnt für ihn tief im Innern, dort, wo seiner Meinung nach Gott zu finden sein kann. Das Wort Gott benutzt Konstantin Wecker seit eh und je. Aber:
"Wenn ich heute sagen würde, ich bin Schiit oder ich bin Katholik oder ich bin Methodist oder was weiß ich, es ist schon fast eine Kriegserklärung. Ich will es auch nicht mehr. Ich gestatte niemandem, mir zu sagen, er wisse, was Gott will. Das ist eine der größten Unverschämtheiten, die es überhaupt gibt."
Seine Abkehr vom Glauben in früheren Zeiten sieht er heute als einen Reflex auf die religiöse Erziehung in den Fünfzigerjahren. Erzkonservative Religionslehrer und ihr autoritäres Gottesbild hätten den Rebell in ihm wachgerufen. Gegen einen Gott, wie ihn der feingeistige Dichter Rainer Maria Rilke beschreibt, kämpfte Wecker dagegen nie an. Ganz im Gegenteil.
"Selbst in der Zeit, als ich alles geschlachtet habe, was nur mit Religion und Gott zu tun hat, als junger Mann und ein bekennender Atheist war und ein glühender Atheist war, da hatte ich nie ein Problem mit dem Gott Rilkes. Wenn Rilke über Gott schreibt, das war für mich immer völlig verständlich und klar und ich musste das auch nicht bekämpfen. Und wollte es auch nicht bekämpfen."
Rilke: "Was wirst du tun Gott, wenn ich sterbe?"
Rilke ist ein Zweifler, ein Suchender, ein Nichtwissender, der trotzdem betet zu einem Gott, den es womöglich gar nicht gibt.
"Am ehesten ist meine Gottesvorstellung ausgedrückt, wie sie im Stunden-Buch von Rilke immer wieder auftaucht. Zum Beispiel in dem schönen Gedicht: "Was wirst du tun Gott, wenn ich sterbe?" Rilke fragt, ob es vielleicht Gott nur dann gibt, wenn er von uns angeschaut wird. Gibt es überhaupt den Mond, wenn wir ihn nicht anschauen? Gibt es überhaupt irgendwas, was wir nicht anschauen?"
Wichtig ist Konstantin Wecker, an die Kraft, die dem Göttlichen innewohne, anzudocken. Meditation oder Gebete seien dazu ein Mittel, ebenso die Poesie oder die Musik. Letztlich gehe es aber immer um das eigene, ganz persönliche Erleben, und darum, Gott in allen Dingen und alle Dinge in Gott zu erfahren. So wie Mystiker im Christentum, Judentum und im Islam es seit Jahrhunderten lehren.
"Dieses mystische Verständnis von Gott, dass man, wenn überhaupt, Gott in sich erfahren muss und kann. Dass niemand einem erzählen kann, was Gott sei und was er ist und was er will, das teile ich, dieses Verständnis."
Über den Buddhismus hat Konstantin Wecker zur interreligiösen Mystik gefunden und darüber – bei aller Distanz zu Kirchen – auch das Christentum wieder neu für sich entdeckt. Ein Christentum, das sich an der Forderung von Jesus nach Liebe und Mitleid orientiert.
"Mit der tibetischen Götterwelt und Bilderwelt kann ich nicht so viel anfangen. Ich finde es spannend, aber was im Christentum beschrieben wird, ist mir von den Bildern näher. Ohne, dass ich der Meinung bin, dass sei die einzig wahre Religion. Aber man kann sich als Mystiker gerade die aussuchen, die einem am nächsten ist. Letztlich ist das wurscht." (lacht)
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