Konfliktforscherin warnt vor Destabilisierung in Pakistan

Moderation: Marie Sagenschneider · 28.12.2007
In Pakistan gebe es nicht nur einen, sondern mehrere hochgewaltsame Konflikte, erklärt die Konfliktforscherin Lotta Mayer die politische Situation nach dem tödlichen Anschlag auf die Oppositionsführerin Benazir Bhutto. Insgesamt verzeichne das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung für 2007 allerdings weltweit eine "erfreuliche Deeskalationstendenz".
Marie Sagenschneider: Ist die Welt friedlicher geworden in diesem Jahr? Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung erstellt alljährlich ein sogenanntes Konfliktbarometer und das verzeichnet für 2007 6 Kriege, 25 ernste Krisen und fast 330 Konflikte. Was die Kriege anbelangt, da fällt wohl jedem gleich Irak, Libanon und Afghanistan ein, auch über Darfur, Pakistan und Birma wurde ausführlich berichtet. Die meisten Konflikte allerdings kommen in den Medien gar nicht oder kaum vor. Lotta Mayer gehört dem Vorstand des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung an und ist nun am Telefon von DeutschlandRadio Kultur, Frau Mayer, ich grüße Sie!

Lotta Mayer: Guten Morgen!

Sagenschneider: Welche großen Konflikte gehören denn zu den vergessenen Konflikten? Nennen Sie doch mal einige!

Mayer: Ich würde sagen eigentlich alle Kriege bis auf die in Afghanistan und im Irak, das heißt, der Krieg in Darfur, im Sudan – also da hört man gelegentlich natürlich mal etwas, aber das Ausmaß ist eigentlich vergessen – der in Somalia und dann insbesondere die beiden Kriege in Asien, namentlich auf Sri Lanka und in Pakistan in der Grenzregion zu Afghanistan.

Sagenschneider: Kann man sagen, es gibt Kontinente, die da besonders betroffen sind, die wir ein wenig aus dem Blick verlieren, nie so richtig beachten?

Mayer: Ja, definitiv. Afrika ist der eine und Asien der andere. Bei Afrika scheint es mir so zu sein, dass man sagt – ach ja, Afrika, da ist alles ganz furchtbar – aber nichts Näheres weiter bekannt ist, während man bei Asien doch eher an Feng-Shui, Höflichkeit und das Land des Lächelns denkt und aufgrund dieser Klischees ganz in Vergessenheit gerät, dass auch in Asien etliche hochgewaltsame Konflikte zu verzeichnen sind und auch sehr viele nur sporadisch gewaltsame Konflikte, die doch aber ein hohes Eskalationspotenzial auch haben.

Sagenschneider: Also, um noch mal auf Afrika zurückzukommen, da sagen Sie sozusagen, dieser ganze Kontinent ist verloren und da müssen wir gar nicht so den Blick hinwerfen, in dem Sinne?

Mayer: Ja.

Sagenschneider: Ist es denn so?

Mayer: Nein, das ist definitiv nicht so. Afrika ist ein sehr, sehr diverser Kontinent. Es gibt nicht einfach nur Afrika, es gibt Regionen, die seit Jahrzehnten relativ friedlich sind, Südafrika beispielsweise. Es gibt Regionen, die sich in den vergangenen Jahren stark stabilisiert haben, Westafrika beispielsweise, Burundi, Ruanda, auch der Kongo relativ, während es eben Regionen gibt, und das ist heutzutage eben Somalia, Äthiopien, der Sudan, Tschad und die Zentralafrikanische Republik, die im Grunde genommen eine einzige miteinander komplex verwobene Krisen- und Konfliktregion bilden, in der das Ausmaß an Gewalt letztlich unvorstellbar ist, was sich da abspielt und auch bei uns kaum in den Medien mal weiter auftaucht.

Sagenschneider: Es gibt ja auch, Frau Mayer, noch reichlich Konflikte, die ganz und gar nicht vergessen sind, die sicher auch das Potenzial haben, sich auszuweiten, die möglicherweise einen Flächenbrand auslösen können wie eben in Pakistan, wo ja gerade gestern die Oppositionsführerin Benazir Bhutto bei einem Anschlag getötet worden ist. Ist Pakistan für Sie einer der heikelsten Konfliktherde für die Welt?

Mayer: Definitiv, denn in Pakistan gibt es nicht nur einen hochgewaltsamen Konflikt, sondern mehrere und zwar einerseits zwischen autonomistischen Islamisten in der Grenzregion zu Afghanistan, das ist ein Krieg, in der Grenzregion zum Iran genauso. Dann erinnern wir uns noch an die Auseinandersetzungen zwischen Islamisten im Landesinneren und der Regierung rund um die Rote Moschee, dann haben wir hochgewaltsame Zusammenstöße zwischen Sunniten und Schiiten im ganzen Land und dazu dann noch der Oppositionskonflikt zwischen denjenigen, die Demokratie fordern, und dem Militärregime unter Musharraf und nun eben auch das Problem, dass Unbekannte Anschläge verüben auf Oppositionspolitiker und es gibt doch zumindest breite Strömungen in der Oppositionsbewegung, die zumindest eine Mitschuld des Regimes erkennen, weshalb es natürlich sehr wahrscheinlich ist, dass wir da in den nächsten Tagen und Wochen eine gewaltige Destabilisierung eventuell erleben werden und das eben alles in einem Land, das Atomwaffen besitzt.

Sagenschneider: Welche Folgen wird denn aus Ihrer Sicht der Tod von Benazir Bhutto möglicherweise haben?

Mayer: Das kann niemand vorhersagen. Es ist nicht abzusehen, wie das Regime reagieren wird und es eben auch nicht abzusehen, ob sich die Wut letztlich eher gegen das Regime richten wird oder gegen die Islamisten.

Sagenschneider: Handelt es sich denn im Fall Pakistans um einen Konflikt, bei dem es auf internationaler Ebene aus Ihrer Sicht ausreichend Bemühungen gibt, dass er nicht weiter eskaliert?

Mayer: Das ist schwer zu sagen, da es eben nicht nur ein Konflikt ist. Und Pakistan ist natürlich der wichtigste Verbündete der USA in der Region oder ein wichtiger Verbündeter und gerade die USA müssen natürlich schauen, dass sie da sehr vorsichtig agieren in ihrem Bemühen, zwar einerseits die Regierung zu stabilisieren, aber doch vielleicht eher das Land zu stabilisieren. Das ist natürlich sehr, sehr schwierig. Das sind alles innere Konflikte, und bei internationalen Konflikten ist internationaler Druck in der Regel einfacher, weil man ja doch immer sagt, ja, es sind innere Angelegenheiten, die innerstaatlichen Konflikte.

Sagenschneider: Sie haben vorhin gesagt, global gesehen, für die Welt gesehen ist Pakistan einer der schwierigsten Konfliktherde. Wie steht es mit dem Iran? Ist das gleichbedeutend oder nachrangig?

Mayer: Der Konflikt zwischen den USA und Iran ist natürlich ein zwischenstaatlicher Konflikt, wo wir auf beiden Seiten sehr potente Militärmächte haben und er findet in einer Region statt, falls es eben zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kommen sollte, die ohnehin sehr instabil ist. Man muss einfach mal auf die andere Seite der Grenze in den Irak schauen, wo ein Krieg tobt und noch mehrere hochgewaltsame Konflikte, um sich vorstellen zu können, dass das die Region weiter destabilisieren wird und dass uns wahrscheinlich da die Folgen dieses Konfliktes auch dann noch über viele Jahre erhalten bleiben würden. Ich hoffe sehr, dass die Bush-Administration gegenwärtig vernünftig genug ist, nun, nachdem es ja doch heißt, dass der Iran gar keine Atomwaffen besitzt und sie weiterhin in zwei Kriege involviert sind, im Irak und in Afghanistan, die Finger wegzulassen von einem Waffengang und diesen Konflikt rein mit diplomatischen Mitteln vollends zu lösen, so wie ja gerade auch der Atomkonflikt mit Nordkorea sich langsam an eine diplomatische Lösung annähert.

Sagenschneider: Wenn man nun eine Bilanz dieses Jahres 2007 zieht, Frau Mayer, ist dann die Welt insgesamt friedlicher geworden oder ist sie es nicht?

Mayer: Sie ist friedlicher geworden, aber sie ist noch lange nicht friedlich. Die Zahl der hochgewaltsamen Konflikte ist gegenüber dem Vorjahr gesunken, von 36 auf 31, auch die Zahl der Krisen geht leicht zurück, das sind sehr erfreuliche Entwicklungen. Und wenn man das längerfristig betrachtet, muss man sagen, dass gegenüber der Zeit um das Ende des Kalten Krieges, wo wir fast 50 hochgewaltsame Konflikte gezählt haben 1992, man doch eine erfreuliche Deeskalationstendenz beobachten kann. Allerdings ist natürlich das Ausmaß der Gewalt, das nach wie vor besteht, immer noch erschreckend hoch. Also es ist noch lange kein Grund jetzt den Weltfrieden zu verkünden und sich zu freuen, dass alles so wunderbar geworden sei.

Sagenschneider: Lotta Mayer vom Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur, Frau Mayer, ich danke Ihnen!

Mayer: Bitte schön!