Konfirmandenunterricht

Mit Kindern über den Tod sprechen

Konfirmation
Konfirmation in der Dorfkirche Lohmen in Sachsen © dpa / picture alliance / Rainer Oettel
Sönke von Stemm im Gespräch mit Anne Francoise Weber · 01.05.2016
Konfirmandenunterricht schon ab der dritten Klasse, dafür wirbt der ehemalige Dozent für Konfirmandenarbeit, Sönke von Stemm. Denn viele Familien seien heute nicht mehr allein in der Lage, religiöse Erziehung zu betreiben. Der Unterricht könne helfen, existenzielle Fragen anzusprechen.
Anne Francoise Weber: Wenn Ihnen in diesen Wochen am Sonntag festlich angezogene Familien begegnen, auf dem Weg zur evangelischen Kirche oder zum Restaurant, mittendrin ein meist besonders herausgeputzter und aufgeregter Jugendlicher, dann wissen Sie: Es ist wieder Konfirmationszeit. Nach monatelanger, mancherorts auch jahrelanger Vorbereitung wird, so die Grundidee, den jungen Menschen gegenüber das Taufversprechen bekräftigt und sie zum ersten Mal zum Abendmahl zugelassen.
Immerhin 30 Prozent der Altersgruppe der 14-Jährigen lassen sich heute in Deutschland konfirmieren, angesichts des abnehmenden Anteils protestantischer Christen eine ziemlich hohe Quote. Aber warum tun sie es? Weil sie mehr vom christlichen Glauben wissen wollen? Weil sie gern einmal ein großes Familienfest feiern, bei dem sie im Mittelpunkt stehen? Weil sie sich der Kirche verbunden fühlen, oder doch, weil zumindest in manchen Familien da traditionell die großen Geldgeschenke locken? Darüber habe ich vor der Sendung mit Pastor Sönke von Stemm gesprochen.
Auch er hat im April in seiner Gemeinde im niedersächsischen Münchehagen schon Konfirmation gefeiert. Und der promovierte Theologe hat, bevor er als Gemeindepfarrer nach Münchehagen kam, acht Jahre als Dozent für Konfirmandenarbeit am Religionspädagogischen Institut der Evangelischen-lutherischen Landeskirche Hannovers gearbeitet.
Für viele in früheren Jahrzehnten Konfirmierte bleibt vor allem die Erinnerung an lange, recht unverständliche Texte, die sie auswendig lernen und im Konfirmationsgottesdienst herunterrasseln mussten. Deswegen habe ich Sönke von Stemm zunächst gefragt, wie viel und was denn seine Konfirmanden und Konfirmandinnen in diesem Jahr auswendig lernen mussten.

Texte auswendig lernen war gestern – "Gott sei Dank"

Sönke von Stemm: Also, Konfirmandinnen und Konfirmanden müssen heutzutage nicht mehr viel auswendig lernen, es gibt sogar Gemeinden, die verzichten ganz auf das Auswendiglernen. Gott sei Dank, muss ich sagen! Es geht eher darum, von Herzen etwas sich anzueignen, und dazu gehört natürlich auch, dass man Texte kennt, die einem in bestimmten Situationen helfen können und auf die man sich berufen kann, wenn man sie braucht. Aber stures Auswendiglernen gibt es eigentlich in der Konfirmandenarbeit kaum noch, nur noch ganz wenig.
Weber: Aber sich auf Texte berufen, das ist ja ein ganz schön intellektueller Ansatz. Es gibt überhaupt den Vorwurf, Konfirmandenunterricht sei vor allem für Gymnasiasten gedacht, habe zum Teil sogar Oberstufenniveau. Das ist jetzt auch nicht ganz für die 14-Jährigen passend. Nun kann man sich auch vorstellen, dass Pfarrer und Pfarrerinnen manchmal ganz froh sind, mit motivierten Jugendlichen theologische Debatten zu führen, aber bleiben da nicht manche auf der Strecke?
von Stemm: Auf jeden Fall. Also, wir bemühen uns sehr von den landeskirchlichen Instituten her, also in der Aus- und in der Fortbildung, gerade diese Fragen in den Blick zu nehmen. Sie beschreiben schon etwas, was sehr verführerisch ist, man hat wirklich relativ interessierte Jugendliche vor sich sitzen und dann gehen manchmal die Pferde mit den Kolleginnen und Kollegen durch und schon ist man auf Oberstufenniveau und hängt manche ab. Das liegt daran, dass Einzelne tatsächlich mitmachen und mithalten und sehr interessiert bei der Sache sind. Aber für die Masse ist das, würde ich sagen, tatsächlich völlig daneben.
Es ist wirklich so gedacht … sonst ist Konfirmandenarbeit nicht so, dass es darum geht, zu diskutieren und mit dem Pfarrer sozusagen auf einem Niveau zu sein, sondern es geht um die Frage: Was brauche ich, um in dieser Welt als Christ zu leben? Und das hat natürlich eine reflektorische Seite, wo man drüber nachdenkt, aber vor allem auch eine praktische Seite: Es geht darum, zu üben. Wie geht beten? Wenn ich 13 Jahre alt bin, 12 Jahre, wie geht das für mich? Welche Formen, welche Texte kann ich verwenden, welche kann ich am besten selber schreiben, wie geht auch Abschied nehmen, wie geht Danke sagen?
Und wir wollen also christliche oder überhaupt allgemein religiöse Vollzüge mit den Jugendlichen ausprobieren. Und wir wollen sie befähigen, dass sie das selbst tun können. Das ist natürlich gut evangelisch, dass jeder selbst beten kann, dass jeder selbst ein Wort sagen kann zu bestimmter Stelle, danke schön sagen kann oder eben auch beim Abschied weiß, was jetzt dran ist für ihn, sich mit bestimmten Dingen auch anvertrauen kann.

"Die Konfirmation hatte immer auch einen sozialen Aspekt"

Weber: Sie sagen schon, das Ganze ist gut evangelisch. Können Sie uns kurz erklären, wie man überhaupt dazu kam, diese Konfirmation einzuführen? Das hat mit einer innerprotestantischen Auseinandersetzung zu tun, oder?
von Stemm: Der Ursprung der Konfirmation geht bis auf die Reformationszeit ganz am Anfang zurück und die Feststellung, dass das selbstständige Bekenntnis zum christlichen Glauben für viele gar nicht möglich war, weil sie so ungebildet waren. Und dann das Bestreben schon der Reformatoren zu sagen, wir müssen die Kinder und Jugendlichen einerseits von der Straße holen – das hatte also immer auch einen sozialen Aspekt.
Aber andererseits auch diesen Bildungsaspekt, wir müssen sie befähigen, selbst sagen zu können: Ja, ich glaube und ich stimme zu und ich möchte zu dieser Gemeinde, zu dieser Kirche gehören. Dieser Ursprung der Konfirmation ist immer noch enthalten und ist auch immer noch eines der wichtigsten Anliegen, also die Selbstbefähigung: Junge Leute sollen sagen können, was sie da tun.
Weber: Und es bedeutet aber auch etwas für die Gemeinde. Also, am Anfang war es das nicht, aber es wurde irgendwann eine Sache, die in einem öffentlichen Gemeindegottesdienst vollzogen wurde, um eben auch diese jungen Menschen noch mal mehr in die Gemeinde aufzunehmen, oder?
von Stemm: Genau. Und vor allen Dingen hat im Laufe der Geschichte ja die Frage nach dem Bekenntnis eine unterschiedliche Rolle gespielt. Gerade in erweckten Gegenden ist es immer noch so und im Pietismus war es in der Vergangenheit eben auch so, dass es um die Frage ging: Hast du dich wirklich entschieden? Dieses wird in vielen Gemeinden jetzt in der Landeskirche nicht mehr so hervorgehoben, sondern mehr so dieser Segensaspekt für die Lebensreise in den Mittelpunkt gestellt.

14-Jährige heute müssen weniger Entscheidungen treffen

Weber: Warum, weil sich heute keiner mehr so bewusst entscheidet?
von Stemm: Ach, das hat unterschiedliche Gründe. Ich glaube nicht, dass es dieses bewusste Entscheiden ist, sondern eher dieses … 14-Jährige vielleicht vor 200 Jahren am Anfang ihres Berufslebens unterscheiden sich doch von 14-Jährigen heute sehr. Zwar sind sie religionsmündig nach dem Gesetz und sie dürfen tatsächlich entscheiden, zum Beispiel ob sie am Religionsunterricht teilnehmen wollen oder nicht, aber große Weichenstellungen und Lebensentscheidungen zu treffen, davor schrecken ja manche 25-Jährige noch zurück.
Weber: Dann wollen wir mal die jungen Leute nicht überfordern!
von Stemm: Genau.
Weber: Sie und viele andere sprechen sich für einen früheren Beginn des Konfirmandenunterrichts aus, mit einem zweistufigen Modell, dessen erste Phase dann auch schon mal in der dritten oder vierten Klasse ansetzt. Das ist ja genau das übliche Alter für die katholische Kommunion, haben Sie sich da bei den Katholiken etwas abgeschaut, haben Sie festgestellt, die kriegen die Kinder leichter in die Kirche?

"Es geht nicht darum, die Kinder zu missionieren"

von Stemm: Es geht ja nicht darum, die Kinder zu locken oder zu missionieren, sondern es geht mehr um die Erfahrung, dass viele Familien da nicht mehr so allein in der Lage sind, religiöse Erziehung zu betreiben. Weil bestimmte Traditionen verlorengegangen sind, weil man häufig im Alltag überhaupt gar nicht mehr über solche Dinge wie Religion oder wie siehst du das spricht. Und dieses Ansetzen bei den Kindern bedeutet auch immer Ansetzen bei den Eltern und bei den Familien. Das ist also ein Familienprojekt. Und es soll Familien befähigen, Religion in ihrem Alltag zu leben, stärker. Und das befürworte ich sehr. Ich glaube, das ist dringend nötig, dass wir früher anfangen, weil eben die Familien selbst Unterstützung brauchen an dieser Stelle.
Weber: Aber ist nicht auch da wieder die Gefahr, dass man mit so ein paar Akademikereltern dann da landet und andere Familien sich ausgeschlossen fühlen, wie sie einfach in diesem ganzen Zirkel sich nicht wohlfühlen?
von Stemm: Also, ich habe genau gegenteilige Erfahrung gemacht, dass das tatsächlich etwas für alle ist. Eltern sind gerne bereit, und zwar durch alle Schichten hindurch, sich für ihre Kinder zu engagieren und mit ihren Kindern etwas gemeinsam zu erleben und zu machen. Und so das klassische KU-4 oder KU-3, wie das heißt, oder Hoyaer Modell ist ja auf dem Land zu Hause und man trifft sich oft bei den Familien zu Hause in kleinen Gruppen, also zwei Elternteile und sechs Kinder sitzen im Kreis und bearbeiten die Dinge, machen Aufgaben, erleben etwas, basteln und gestalten.
Und ich habe oft in meiner eigenen Gemeinde, in der ich vorher war, bevor ich in Loccum war, das auch so gemacht, dass alle Eltern beteiligt waren und sich die verschiedenen Wochen dann auch aufgeteilt haben, weil alle gerne einen Teil übernehmen wollten. Und es ist für Eltern unheimlich spannend, zum Beispiel über das Thema Abschiednehmen, Tod und Sterben zu sprechen. Und die sind dankbar, dass endlich mal einer sie quasi an die Hand nimmt und sagt, Mensch, wie rede ich denn nun mit meinem Kind über Tod, weil sie alleine selber sich gar nicht trauen, aber merken, wie dringend nötig das ist, dass man auch solche Gespräche führt.

1.000 Konfi-Modelle bei 1.300 Gemeinden

Weber: Das heißt, es gibt einen Bedarf von den Eltern. Trotzdem ist Konfirmation ja ein Ritus, der in einer Gemeinde möglicherweise über die Generationen hinweg immer gleich gefeiert wurde. Gibt es da dann möglicherweise auch Widerstände, wenn ein neuer Pfarrer kommt und sagt, so, wir wollen jetzt aber hier auch mal das KU-4-Modell oder so was einführen und schmeißen den wöchentlichen Mittwochnachmittags-Konfirmandenunterricht über den Haufen?
von Stemm: Die Konfirmandenarbeit in unserer Landeskirche ist so bunt, wie es Gemeinden gibt. Wir haben 1.300 Gemeinden ungefähr und, ich schätze, 1.000 Konfi-Modelle. Das hat sich bei den Eltern inzwischen herumgesprochen, die wissen, dieses Klassische, mittwochnachmittags trifft man sich für eine Stunde und dann ist es wieder vorbei, das gibt es fast gar nicht mehr.
Dafür gibt es eben sehr Buntes: dass man sich am Wochenende trifft, dass man Projekte miteinander macht, dass man lange wegfährt, und das ist sehr unterschiedlich. Und von daher wissen die Eltern, dass die Konfirmandenarbeit in den Gemeinden unterschiedlich ist, und es gibt tatsächlich Regionen, da ist Konfirmandenarbeit mit Kindern sehr verbreitet, und dann gibt es aber auch Gegenden, da gibt es das gar nicht.
Und da muss man tatsächlich dann Elterninformationsabende machen und Aufklärung betreiben und deutlich machen, dass es nicht darum geht, Eltern jetzt an die Arbeit zu bekommen, sondern dass das positiven Nutzen sowohl für die Kinder als auch für die Eltern hat.
Weber: Sie sagen, 1.000 verschiedene Modelle des Konfirmationsunterrichtes …
von Stemm: Ein bisschen übertrieben …
Weber: Gut, aber trotzdem. Gibt es trotzdem Schwierigkeiten, mit denen die Menschen, die den Konfirmationsunterricht gestalten, immer wieder konfrontiert sind? Sie haben ja in Loccum da auch Beratung gemacht. Gibt es so Dinge, die immer wiederkehren in dieser Arbeit mit Menschen, die in einer nicht ganz einfachen Lebensphase, nämlich der Pubertät stecken?

Pfarrer müssen sich auf rasante Veränderungen einstellen

von Stemm: Es ist wirklich eine große Aufgabe. Aber das liegt nicht an der Begleitung von Jugendlichen in der Pubertät, sondern am Wandel des Pfarrberufs, würde ich sagen. Die Konfirmandenarbeit wird zu einem Teil von vielen anderen Dingen auch … und oft fehlt wirklich die Muße und die Ruhe, sich auf Dinge einzustellen, die eben auch neu sind. Kinder, die vor fünf Jahren mit Facebook ein- und ausgegangen sind, heutzutage lachen sie über Facebook, das ist total out.
Aber ein Pfarrer denkt nicht in Fünf-Jahres-Schritten, sondern ist froh, wenn er gerade sich auf Jugendliche eingestellt hat. Diese Veränderungen wahrzunehmen und dafür Zeit zu haben, das ist ein großes Problem im Moment. Und da kämpfen wir wirklich sozusagen darum, die Hauptamtlichen in der Konfirmandenarbeit bei der Stange zu halten.
Weber: In vielen Gemeinden werden ja auch silberne und goldene Konfirmationen oder andere Jubiläen gefeiert. Zumindest für die Generationen, die das heute feiern, scheint die Konfirmation also ein wichtiges Fest gewesen zu sein. Glauben Sie denn, dass jetzt die von Ihnen Konfirmierten sich in 50 Jahren noch an ihre Konfirmation erinnern werden und auch Lust haben werden, das wieder zu feiern? Oder sind solche Zeiten vorbei?
von Stemm: Also, ich hoffe sehr …

Aktionen statt Auswendiglernen?

Weber: Das müssen Sie jetzt sagen!
von Stemm: Genau, das muss ich natürlich sagen! Ich bin mir sicher, dass die, die vor 50 Jahren konfirmiert wurden, die können auch tatsächlich Texte auswendig. Und sie wissen oft auch noch irgendwelche Schoten über ihren alten Pastor oder ihre Pastorin, wenn sie Glück hatten, zu erzählen.
Ich wünsche mir, dass die Kinder heute und Jugendlichen, dass die auf jeden Fall sich erinnern an die Aktionen, die wir mit ihnen gemacht haben. Dass wir mit ihnen durch die dunkle Kirche gegangen sind und jeder hat seine Kerze auf den Altar gestellt und gesagt: Meine Kerze brennt für …
Diese Momente sind auf jeden Fall in den Feedback-Bögen immer die, die oben anstehen und als Erstes genannt werden. Und bei denen … "Meine Konfirmandenzeit hat mir bedeutet" und so, bei diesen Erinnerungen und Rückblicken, die wir mit ihnen machen, kommen die auf jeden Fall immer als Erstes. Und ich vermute, dass die auch in 50 Jahren noch da sein werden.
Weber: Hoffen wir es! Vielen Dank, Sönke von Stemm, seit kurzem Pfarrer in Münchehagen und davor Dozent für Konfirmandenarbeit am Religionspädagogischen Institut in Loccum.
von Stemm: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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