Konfessionelle Tagesstätten

"Kitas sind keine Nachwuchs-Organisationen von Kirche"

Kinder tanzen während einer Musikstunde durch eine Kindertagesstätte.
Kinder tanzen bei einer Musikstunde durch die Kindertagesstätte Nazareth in Hannover. Im Sommer 2013 startete ein musikalisches Bildungsprojekt in 50 Kindertagesstätten der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. © dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte
Ralf Haderlein im Gespräch mit Kirsten Dietrich · 17.01.2016
Konfessionelle Kindertagesstätten sind ein Erfolgsmodell - gerade auch in der ostdeutschen Diaspora. Je klarer deren religiöses Profil sei, desto attraktiver wirkten sie, erklärt Ralf Haderlein, Professor für Sozialmanagement in Koblenz. Es gehe aber nicht darum, jemandem den Glauben aufzudrücken.
Kirsten Dietrich: Wie religiöses Wissen vermittelt werden kann, das ist unser Thema heute hier in "Religionen". Für das Christentum sind dabei neben dem Religionsunterricht in der Schule vor allem die kirchlichen Kindertagesstätten wichtig. Genaue Zahlen sind schwierig zu bekommen, aber rund ein Drittel der Kitaplätze in Deutschland werden wohl von kirchlichen Trägern angeboten. Das Bonifatiuswerk der katholischen Kirche hat jetzt genauer hingesehen – und zwar auf die katholischen Kindertagesstätten in den neuen Bundesländern, also genau da, wo der Katholizismus die Religion einer Minderheit ist, mit Anteilen um oder unter zehn Prozent der Bevölkerung. Erstaunliches Ergebnis: Die katholischen Kitas haben fast alle Wartelisten für Bewerber – und das, obwohl sie deutlich sagen, dass in ihnen religiöse Sozialisation die angemeldeten Kinder erwartet. Was diese Zahlen genauer bedeuten, darüber habe ich mit Ralf Haderlein gesprochen. Er ist Professor für Sozialmanagement an der Hochschule Koblenz und bildet unter anderem Leitungskräfte für Kindertagesstätten jeder Prägung aus.
Ich habe Ralf Haderlein am Rande einer Tagung des Bonifatiuswerkes getroffen. Diese Einrichtung unterstützt katholische Gemeinden, wo sie in einer gesellschaftlichen Minderheitensituation leben, in der sogenannten Diaspora. Für die katholischen Kitas in Ostdeutschland bedeutet das: Das Bonifatiuswerk fördert jeden Platz mit 49 Euro jährlich – bei rund 12.000 Plätzen in katholischen Kitas macht das rund 600.000 Euro jährlich, 10 Millionen Euro seit der Wiedervereinigung. Lohnt es sich aus kirchlicher Perspektive, so viel Geld in Kitas zu investieren? Das wollte ich von Ralf Haderlein wissen.
Ralf Haderlein: Wir haben dazu eine Evaluation gemacht mit CoLibri Management Service zusammen, und können im Ergebnis sagen, dass die Ziele, die das Bonifatiuswerk hat, sehr gut erreicht worden sind. Dazu gehört zum einen, dass man dieses Geld verwendet, um das besondere Profil, das besondere katholische Profil zu bearbeiten, weiterzuentwickeln, vielleicht auch manchmal neu zu entdecken. Und die Ergebnisse haben deutlich gemacht, dass man das erreichen kann und dass man sogar mit den Familien und mit den Kindern dieses gemeinsam auch erarbeitet.
Dietrich: Die Eltern, die jetzt in den neuen Bundesländern eher aus einer katholischen Minderheitensituation heraus Kinder in eine katholische Kita schicken, machen die das, weil sie wirklich eine katholische Kita suchen, oder suchen die einfach nur eine religiöse, eine christliche Kita – wie wichtig ist die konfessionelle Prägung?
Haderlein: Wir haben festgestellt – nicht nur in der Studie, die wir jetzt gemacht haben bei dem Bonifatiuswerk, sondern, man kann das sagen, sogar bundesweit –, dass je stärker die Prägung, das eigene Profil deutlich gemacht wird, desto attraktiver sind sogar diese Einrichtungen. Wir erleben gerade auch bei muslimischen Familien oder Familien, die diesen Glaubenshintergrund haben, dass sie solche Einrichtungen aussuchen, weil sie sagen, da wird Religion auch gelebt, da wird Religion auch umgesetzt, und zwar von Grund auf. Sie finden das sicherlich auch in einer kommunalen Einrichtung, aber das ist nicht das Versprechen einer kommunalen Einrichtung nach außen. Eine katholische Einrichtung oder auch eine evangelische spricht das nach außen. Jetzt kann man sich natürlich berechtigterweise fragen, gibt es noch mal was Besonderes, was auch die katholische Einrichtung auszeichnet.
Ich glaube, da wird noch mal klar, dass das eingebettet ist in eine Pfarrgemeinde hinein – das hat sich auch in den Ergebnissen gezeigt, dass das ein wichtiges Element ist. Die Pfarrgemeinde trägt die Kindertageseinrichtungen, und die Kindertageseinrichtung ist Teil der Pfarrgemeinde und damit auch das Aufgehobensein. Und auch das ist in den Ergebnissen deutlich geworden, dass Eltern, auch Eltern, die nicht dieser Konfession angehören, sagen, das ist uns wertvoll und das ist uns wichtig, dass wir eine Art von Beheimatung auch finden für die Kinder in erster Linie, aber dann auch in zweiter Linie, dass sich auch gezeigt hat, eben auch für die eigene Familie an der Stelle.
Dietrich: Nun sind in den Kitas in Ostdeutschland, die Sie untersucht haben, ungefähr knapp die Hälfte überhaupt nur katholisch, ungefähr 40 Prozent der Eltern wie Kinder überhaupt keiner Religion oder Konfession zugehörig. Suchen die wirklich den engeren Kontakt zur Pfarrgemeinde, oder geht es da bei der Anmeldung in einer katholischen Kita eher darum, was man nicht sucht, dass man nämlich eine Kita sucht, in der es möglichst wenig Kinder aus bildungsfernen oder migrantischen Familien gibt, und dass man das eben in einer katholischen Kita eher vermutet?
Haderlein: Ja, das könnte man vermuten, vielleicht auch dadurch, dass manche behaupten, es gebe einen Selektionseffekt. Ich fang mit dem letzten an: Den kann es gar nicht geben, weil es ihn rechtlich nicht geben darf, also katholische Kindertageseinrichtungen oder auch andere konfessionelle Kindertageseinrichtungen dürfen überhaupt keine Kinder aussuchen in dem Sinne, nur die katholischen dürfen rein, das geht rechtlich schon gar nicht und wird normalerweise und in der Regel auch überhaupt nicht in der Form umgesetzt. Das heißt, wir haben ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und die Frage, die Sie berechtigterweise gestellt haben, wie sieht die soziale Schichtung in solchen Einrichtungen aus, das ist je nachdem, wo die Einrichtung steht, in welchem sozialen Milieu und in welcher sozialen Umgebung diese Einrichtung ist. Wir haben Einrichtungen, die in Gegenden sind – wir sagen ja heute, mit besonderem Förderbedarf, wo Sie fast 100 Prozent derartige Kinder und Familien in den Einrichtungen haben. Wir haben aber genauso Einrichtungen, wo Sie sagen können, die sind jetzt in einem Gebiet, wo jetzt keine sozial schwachen Familien dabei sind.
Also wie gesagt noch mal: Je nachdem, in welchem Gebiet sie sind, Selektionseffekt würde ich an der Stelle ausschließen. Ihre Frage ging ja auch noch an die Konfession hin: Wir erleben, dass die Eltern sich sehr bewusst mittlerweile – dort, wo sie es können, das muss man einschränkend sagen – auch Einrichtungen aussuchen. Wir haben in Berlin allerdings das Problem, dass wir zu wenig Plätze haben. Dort ist sicherlich auch ein Argument, wo ein Platz frei ist, den nehme ich erst mal, und versuche dann im zweiten Anlauf zu schauen, ob ich eine andere Einrichtung finde. Aber dort, wo Sie die Wahlfreiheit haben, da merken wir sehr deutlich, dass die katholische Kirche mit ihren zusätzlichen Finanzmitteln, die sie zum Beispiel über das Bonifatiuswerk hineinsteckt, eine andere Art von Qualität auch in den Einrichtungen umsetzen kann, und das ist nicht nur das eigenen Profil, sondern auch die Pädagogik.
Freiheit und Freiwilligkeit der Mitarbeiter
Dietrich: Die Kindertagesstätten betonen ja auch sehr stolz, auch sehr deutlich, dass sie eben dieses katholische Profil vertreten, auch nach außen vertreten. Wenn man da mal ein bisschen genauer in die Zahlen der Studie reinguckt, dann sind da doch immerhin die Hälfte der Mitarbeitenden, die dann sagen, na ja, religiöse Erfahrung wirklich in Worte zu fassen, das fällt uns eigentlich eher schwer. Und die Kitas selber sagen auch, wirklich auch katholische Mitarbeitende zu finden, das fällt zunehmend schwer. Klaffen da nicht Anspruch und Wirklichkeit auseinander? Klafft da nicht gerade die Hoffnung der Kirche auf einen Ort religiöser Vermittlung auseinander damit, dass es gar nicht mehr genug Leute gibt, die das vermitteln können?
Haderlein: Also ich glaube, wir müssen auch deutlich machen, wir müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch auf diesen Weg mitnehmen, und zwar in Freiheit mitnehmen – also auf der einen Seite deutlich machen, wer man ist und welches Profil man prägen will. Im Grunde genommen macht das eigentlich jeder Arbeitgeber, wenn es um Unternehmensphilosophie geht. Und in einer katholischen Kindertageseinrichtung ist es dann besonders aufzuzeigen, was ist denn eigentlich dieser Weg und wie ist dieser Weg gangbar, und das muss man aufzeigen, und das in Freiheit und Freiwilligkeit. Das betont auch Papst Franziskus ganz deutlich: Man kann Glauben nicht aufdrücken, sondern man kann ihn begeisternd leben, und damit begeistert man andere Menschen dann.
Hierzu gehört es natürlich auch, dass wir die Menschen mitnehmen, die vielleicht von diesem Gott noch nie irgendwas gehört haben, und die Voraussetzung, als Mitarbeiter in einer Kindertageseinrichtung zu arbeiten, ist – wenn Sie die neue Grundordnung der katholischen Kirche oder der Bistümer hier in Deutschland anschauen – die Bereitschaft, sich auf diesen Weg einzulassen. Und wenn ich diese Bereitschaft habe, dann kann ich auch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeiten, dann kann ich sagen: Jetzt schauen wir uns mal das an, was ist denn eigentlich, wer ist denn Gott, was bedeutet das, was bedeutet es, wenn ich eine Beziehung zu Gott aufbaue. Und dann in die unterschiedlichsten Facetten hineinzugehen, was heißt das, wenn ich Glauben nach außen darstellen will, wenn ich über Glauben sprechen will. Was heißt das, wenn ich Glauben in der Gemeinschaft leben will, auch in der Liturgie leben will, aber auch den Aspekt, den Mensch und damit das Kind in den Mittelpunkt zu stellen, so wie Gott selbst dieses Kind in den Mittelpunkt gestellt hat.
Und wenn ich dieses für mich akzeptieren kann, annehmen kann und auch umsetzen kann, dann schaffe ich es auch, in eine Fachsprache hineinzugehen – so wie jede pädagogische Fachkraft ihre Fachsprache der Bildung, Erziehung und Betreuung hat, wenn sie von Resilienz redet, wenn sie davon redet, dass Kinder gestärkt in ihrer Persönlichkeitsentwicklung aus Kindertageseinrichtungen rausgehen. Dann brauche ich auch und damit schaffe ich es auch, eine Fachsprache zu finden, wenn es dann heißt: Was bedeutet denn das eigentlich, Jesus Christus ist Sohn Gottes, was bedeutet es, wenn wir sagen, es gibt ein Reich Gottes, und wenn Sie das ganz schwere Wort nehmen wollen, was heißt eigentlich Trinität.
Den eigenen Glauben weiterentwickeln
Dietrich: Wie religiös darf eine kirchliche Kindertagesstätte sein, also wie viel missionarischen Anspruch akzeptieren nicht konfessionell, nicht religiös gebundene Eltern?
Haderlein: Ich glaube, je stärker man das Profil hat, desto mehr wird man auch wahrgenommen und desto ernsthafter wird man auch wahrgenommen. Da ist es mir aber wichtig zu sagen, es geht nicht in erster Linie darum zu sagen, wir wollen, dass der andere meinen Glauben übernimmt, sondern dass die Kindertageseinrichtung ein Ort des Glaubens ist, ein Ort, wo ich Glauben entdecken kann, ein Ort, wo ich meinen eigenen Glauben weiterentwickeln kann. Und wenn dann ein Kind, wenn dann Eltern sagen, das, was ihr da macht, ist so begeisternd für mich, dass ich dann mehr davon wissen will, dann ist es die richtig verstandene Form von missionarischem Tun, weil dann ist das dieses Begeistertsein von dem anderen an der Stelle. Also es geht nicht darum, dass Kindertageseinrichtungen Nachwuchsorganisationen von Kirche sein sollen.
Dietrich: Die Entwicklung von Leitbildern für Kindertagesstätten gehört ja zu Ihrer Arbeit als Professor für Sozialmanagement, wie schätzen Sie da die Entwicklung ein? Wird die Kita wichtiger als Ort, vielleicht sogar als der letzte Ort von Vermittlung weltanschaulicher oder religiöser Überzeugung?
Haderlein: Wir haben ja interessanterweise, wenn Sie die Bildungspläne der Bundesländer anschauen, in allen Bildungsplänen in mehr oder weniger ausdrücklicher Form drinstehen, dass religiöse Bildungsarbeit zum Grundauftrag jeder Kindertageseinrichtung dazugehört, also nicht nur der katholischen Kindertageseinrichtungen, sondern auch von kommunalen Einrichtungen. Es gibt zum Beispiel das Land Baden-Württemberg, da steht es sogar in der Verfassung des Landes Baden-Württemberg drin. Das ist häufig vielen nicht bekannt, weil es einen Grund auch hat im menschlichen Sein. Wir Menschen leben in Bezügen und wir Menschen leben in Gesellschaftsbezügen, und eine Gesellschaft, je stärker sie weiß, wer sie ist im Sinne von, auch welche Werte wir prägen, welche Werte uns so wichtig sind, desto eher wird es auch gelingen, dass diese Gesellschaft gemeinsam etwas voranbringen kann. Und Kindertageseinrichtungen sind – mittlerweile würde ich sagen, seit über zehn Jahren, wo dieses auch geprägt wird – die ersten Bildungseinrichtungen, die wir auch seitens der Gesellschaft zur Verfügung stellen, sprich institutionell zur Verfügung stellen. Und wenn es die ersten sind, dann gehört grundständig auch darein das Thema Werte und das Thema Religion.
Dietrich: Wenn diese religiöse Bildung so wichtig ist, müssten dann nicht konsequenterweise auch muslimische Kitas mehr gefördert werden?
Haderlein: Ja, wir haben ja auch muslimische Kindertageseinrichtungen, oder anders gesagt, Kindertageseinrichtungen in Trägerschaft von muslimischen Vereinen, die gibt es in der Bundesrepublik Deutschland, und die werden genauso mehr oder weniger gefördert wie das andere auch werden. Erst muss der Bedarf festgestellt werden, dann brauchen wir einen Träger, der in der Jugendhilfe anerkannt ist, und wenn die entsprechenden Formen vorhanden sind, dann kann auch eine Kindertageseinrichtung in muslimischer Trägerschaft auch vorhanden sein.
Dietrich: Religionsvermittlung im Kindergarten – darüber habe ich mit Ralf Haderlein gesprochen. Er ist Professor für Sozialmanagement an der Hochschule Koblenz.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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