Komödien und Spannungen

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack · 14.05.2008
"Brügge sehen und sterben" ist eine Krimi-Komödie mit britischem Humor. Die Mobbing-Komödie "Ein Mann für alle Unfälle" hat Fragwürdigkeitscharme und ist ein freudloses Vergnügen. In "Mein Bruder ist ein Einzelkind" geht es um die politischen und gesellschaftlichen Spannungen im Italien der 60er und 70er Jahre.
"Brügge sehen und sterben"
GB 2008 Regie und Drehbuch: Martin McDonath. Darsteller: Colin Farell, Brendan Gleeson, Ralph Fiennes, Clémence Poésy. 107 Minuten, ab 16 Jahren

Der Film ist von Martin McDonagh, einem in London geboren irischen Star-Schriftsteller und Dramatiker vom Jahrgang ’70, den die "New York Times" einmal als den "möglicherweise originellsten irischen Schrifsteller seit Jahren" hofierte. 2006 bekam er einen "Oscar" für seinen Kurzfilm "Six Shooter" (mit Brendan Gleeson). Dies hier ist sein Spielfilm-Erstling, entstanden in Co-Produktion GB/Belgien/Irland. immerhin war er im Januar Eröffnungsfilm beim renommierten Sundance-Festival in den USA.

Eine Autostunde von Brüssel entfernt liegt eine der reizvollsten europäischen Städte, nämlich die einst so bedeutende Handelsmetropole Brügge in Flandern. Wirtschaftlich hat Brügge heute vor allem touristische Bedeutung, denn seine Schönheit mit vielen Kanälen, Kunstsammlungen und dem bestens wie komplett erhaltenen mittelalterlichen Stadtkern ist enorm. Dieser übrigens wurde im Jahr 2000 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt; 2002 war Brügge (mit 117.000 Einwohnern) Europäische Kulturhauptstadt. "Neapel sehen und sterben" heißt bekanntlich ein italienisches Sprichwort. "Venedig sehen und sterben" ist ein berühmter Kriminalroman von Edward Sklepowich betitelt. Eine hübsche (Titel-)Variante bietet nun diese schwarzhumorige Killer-Komödie, deren deutscher Verleihtitel allemal witziger ist als der Originaltitel "In Bruges" ("In Brügge").

Zwei britische Typen erreichen um die Weihnachtszeit diese feine Gegend: Ray und Ken. Sie sind britische Berufskiller, haben kürzlich einen Auftrag erfolgreich ausgeführt, dabei aber auch "Mist" gebaut. Neben einem Londoner Geistlichen wurde auch ein kleiner Junge - "versehentlich" - mitgetötet. Nun parkt Boß Harry sie erst einmal an diesem kulturellen Pracht-Ort. Während dem jungen, forschen Ray dies überhaupt nicht passt, er gibt sich ungeduldig, aufbrausend, kulturell völlig desinteressiert, hat der ältere Ken kulturell "Blut geleckt". Ken ist gelassen, neugierig, interessiert und will die Gegend entdecken, sie genießen bzw. gerne auf sich wirken lassen. Zwei völlig gegensätzliche Kerle-Pole, die nun auf Harrys Anruf warten, um zu erfahren, wie und wo es denn nun weitergeht. Zwei schlechte Kerle treffen auf "gute Kultur".

Daraus fabriziert der Autoren-Regisseur eine packende wie britisch-komische Kumpel-Komödie als temporeichen Thriller. In dem Mix aus pointiertem Verbal-Humor, lockerer Augenzwinker-Action und pfiffigen Gaunerwitzen unterhalten vor allem süffisante Betrachtungen über Reue, Sühne und den Überhaupt-Sinn des Lebens von gekonnt-amüsant bis prächtig. Zudem punktet die schwungvolle Inszenierung nicht nur mit feinen Vor-Ort-Ansichten, sondern auch mit einer Reihe herrlich skurriler Nebenfiguren wie einem zwergenhaften Darsteller einer amerikanischen Filmproduktion (mit hohem Frauenverbrauch) oder einem halbblinden Kleinganoven (mit Eifersuchtswahn). Spiel, Spaß, Spannung, Pointen sowie Wendungen zuhauf und Kultur- wie Krimi-Atmosphäre-pur. Colin Farrell ("Nicht auflegen!", "Miami Vice"), bald 32, mimt den andauernd explorierenden Unruhegeist; während der zuletzt, als Professor Moody, aus den Harry- Potter-Filmen "Feuerkelch" und "Orden des Phönix" bekannte korpulente Ire Brendan Gleeson, 53, den besonnenen Gegenpol-Partner fein-bildet. Zwei wie Pech und Schwefel natürlich, zu denen sich schließlich - in einem furiosen Schluss-Duell-Totentanz - Star-Mime Ralph Fiennes ("Schindlers Liste"; "Der englische Patient") als sadistischer Boss Harry und wütender Gentleman-Schurke gesellt. Ein ebenso ungewöhnlicher wie brillanter Ironie-Thriller.


"Ein Mann für alle Unfälle"
USA 2008. Regie: Steven Brill. Darsteller: Owen Wilson, Leslie Mann, Alex Frost, Josh Peck, Vivien Cardone. 102 Minuten.

Der Film ist von Steven Brill, einem aus Utica/New York stammenden 45-jährigen Drehbuch-Autor, Schauspieler und - seit 1995 ("Pfundskerle") - auch Regisseur. Nach Nonsens-"Späßen" wie "Mit Vollgas durch die Nacht", "Little Nicky - Satan Junior", "Mr. Deeds" und "Trouble ohne Paddel" (1998-2004) inszenierte er hier wieder so eine Teenie-Klamotte als Mobbing-Komödie mit Fragwürdigkeitscharme.

Story: Bohnenstange Wade, der pausbäckige Ryan und Knirps Emmit haben es auf der Highschool schwer. Weil ignorante Lehrer und Eltern desinteressiert sind, werden sie gnadenlos terrorisiert. Werden herumgeschubst, in die Kloschüssel gesteckt, öffentlich erniedrigt und mit dem Auto gejagt. Da die Mitschüler nur eine wegschauende, anonyme Meute ist und bleibt, wissen sie sich nicht anders zu helfen, als einen Leibwächter zu engagieren: Drillbit Taylor. Der behauptet Kriegsveteran und Kampfkunstexperte zu sein, ist tatsächlich aber ein "desertierter Obdachloser"/ein "entspannter Landstreicher", dem es zunächst um die Wertsachen der jeweiligen Familien geht. Nachdem er sich aber als Vertretungslehrer in der Schule eingeschlichen hat und sich in eine Lehrerin verliebt, beginnt er sich "ernsthaft" für seinen Job und für "seine Jungs" zu interessieren.

Fade Teenie-Komödie, weil kaum Lach-Salven zu konstatieren sind. Während das "Ulk-Personal" kaum ausgereizt wird, sondern nur mit altbackenen Gags herumkrampft, besitzt der tonangebende Tyrann psychopathische Züge und gehört nicht in eine Highschool, sondern mehr in die Anstalt. Oder in einen Psycho-Thriller anstatt in diese banale, unwitzige Schul-Show. An der man überhaupt nur halbwegs dranbleibt, weil immerhin Charme-Comedian Owen Wilson (39/neulich "Darjeeling Limited", davor u. a. "Die Hochzeits-Crasher" und ""Starsky & Hutch") für einigermaßen neugierigen Unterhaltungswert sorgt. Allerdings bleibt auch sein Gewalt-Einsatz als probates Ausdrucksmittel bei diesem Highschool-Gedöns letztlich ziemlich fragwürdig. Ein freudloses Vergnügen.


"Mein Bruder ist ein Einzelkind "
Italien / Frankreich 2007. Regie: Daniele Luchetti. Darsteller: Elio Germano, Riccardo Scamarcio, Diane Fleri, Alba Rohrwacher, Angela Finocchiaro, Massimo Popolizio. FSK: ab 12. Länge: 100 Minuten

Der Film ist von Daniele Luchetti und bekam zu Hause gleich fünf "Donatellos", die italienischen "Oscars". Der Film erreichte in Italien beachtliche eine Million Kinobesucher. Im Blick- wie Mittelpunkt: zwei ungleiche Brüder. "Das Ekel" und der Latin Lover. Accio, der Jüngere und Eigentlich-Schüchterne, ist stets auf Krawall aus. Wird "die Giftkröte" genannt. Weil er als Schüler eines Priesterseminars unzufrieden ist, tritt er aus Trotz der neofaschistischen Partei bei. Bruderherz Manrico hingegen, ein mitreißender Frauenschwarm, meint "Jesus war ein Revolutionär" und agiert bei den Kommunisten. Die Entwicklungen, Kabbeleien und Erfahrungen der beiden Arbeitersöhne, die sich auch noch in dasselbe Mädchen verlieben, bündelt der angesehene 47-jährige Regisseur zu einem überwiegend humorvollen Porträt der Jugendbewegungen in den italienischen 60er- und 70er Jahren.

Drumherum: ein ebenso charmantes wie verschrobenes Kaleidoskop skurriler Charaktere mit viel Unterhaltungspotenzial. Manko dagegen: Die Beschreibung der politischen Strömungen jener Jahre wirkt mehr verwaschen denn ernst genommen. (Die Kommunisten zum Beispiel werden auf ihr "komisches" Revoluzzer-Palaver und auf belangloses Imponiergehabe reduziert). Sodass sich die Überzeungsarien zwischen Rechten und jungen Linken oft wie eine Prise "Don Camillo & Peppone" anhören. Dennoch: Der tiefe, innere Milieu-Blick auf eine Familie als Mikrokosmos eines gespaltenen Landes, das besitzt auch spannenden aktuellen Italien-Geschmack. Nach beeindruckenden Filmen wie "100 Schritte" oder "Die besten Jahre" erweist sich auch dieser Film als bemerkenswerter Nachbar-Blick auf "jene bewegten Gesellschafts-Jahre", die auch uns jetzt wieder beschäftigen (Mai 68 / 08).

Im Übrigen: In der Rolle des "Ekels" Accio wurde der 27-jährige Elio Germano, der ja schon hierfür mit dem "Donatello" als "Bester Schauspieler" ausgezeichnet wurde, im Frühjahr zu Recht auf der Berlinale auch als "Shooting Star" sowie als einer der "9 besten europäischen Nachwuchsschauspieler" geehrt. Mit seiner wunderbar hyperaktiven, nervösen Energie als provokantes Schutzschild gegenüber seinen wahren Gefühlen, überzeugt er vehement, kommt er prächtig ’rüber. Ein hochinteressanter, vortrefflicher Akteur. In einem im Übrigen ganz exzellenten, großartigen Darsteller-Ensemble. "Mein Bruder ist ein Einzelkind" ist nicht nur ein atmosphärischer "Italien-Film", sondern auch ein außergewöhnlich guter Schauspieler-Film. Denk-, Fühl- und Schauwert gehen gut einher.