Kommentar zur Hall-of-Fame-Nominierung Täve Schurs

Mit zweierlei Maß gemessen

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Der ehemalige Straßenrad-Weltmeister und Friedensfahrtsieger Gustav-Adolf "Täve" Schur © picture alliance / dpa / Jens Wolf
Von Günter Herkel · 23.04.2017
Bereits vor fünf Jahren sollte die DDR-Radfahrlegende Täve Schur in die Hall of Fame, die virtuelle Ruhmeshalle des deutschen Sports, aufgenommen werden. Doch nach Protesten von Dopingopfern und DDR-Kritikern wurde die Entscheidung zurückgenommen. Jetzt ist er erneut vorgeschlagen worden.
Täve Schur ist mit Abstand der populärste Sportler aus der ehemaligen DDR. Der 86-jährige gilt als Max Schmeling des Ostens. Seine Beliebtheit in den Neuen Ländern ist bis heute ungebrochen. Aber Schur ist auch das, was manche einen "Ewiggestrigen" nennen. Bis heute verteidigt er in Interviews den realen Sozialismus, verharmlost die Doping-Vergangenheit der DDR, preist sogar den DDR-Sport als vorbildlich.
Macht ihn das als Mitglied der Ahnengalerie des gesamtdeutschen Sports untragbar? Kommt drauf an! Zählten allein die sportlichen Leistungen, so bestünde sicher kein Zweifel daran, dass ihm ein herausragender Platz in der deutschen Sportgeschichte gebührt. Denn Täve gewann zu seiner Zeit fast alles, was zu gewinnen war: zweimal die Rad-Weltmeisterschaft der Amateure, zweimal die Internationale Friedensfahrt, sechs Meistertitel im Straßeneinzelrennen und und und.

Ehrung aus sportlichen Gründen

Noch kurz vor der Wende 1989, 25 Jahre nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn, belegte er bei der Wahl zum besten DDR-Sportler aller Zeiten mit großem Vorspruch Platz Eins. Die Gegner seiner aktuellen Nominierung argumentieren nun, ein derart überzeugter Anhänger des realen Sozialismus tauge nicht als Vorbild für die heutige Sportjugend.
Sicher: Man kann zu dieser Auffassung kommen. Aber es drängt sich doch der Eindruck auf, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Wie steht es eigentlich um die moralische Vorbildfunktion eines Josef Neckermann, Dressur-Olympiasieger, Ex-NSDAP-Mitglied und in den 30er-Jahren Nutznießer der Arisierung jüdischen Vermögens? Oder eines Willi Daume, Ex-NSDAP-Mitglied, der im Zweiten Weltkrieg in seiner Eisengießerei Zwangsarbeiter beschäftigte, was seiner Karriere bis an die Spitze des Nationalen Olympischen Komitees keinen Abbruch tat? Selbst Max Schmeling, bis heute der Leuchtturm des deutschen Sports, war sich nicht zu schade, 1936 für die Nazi-Spiele im Ausland die Propagandatrommel zu rühren. Und Franz Beckenbauer?

Brüche und Widersprüche können nicht behoben werden

Aber lassen wir das. Auch der "Kaiser" ist – wie die Vorgenannten – selbstverständlich Teil der Hundertschaft von Persönlichkeiten des Sports, die die Hall of Fame konstituieren. Aus sportlichen Gründen. Nicht als besonders edles Exemplar des Menschengeschlechts.
Dem Trägerkreis der virtuellen Ruhmeshalle ist das Dilemma sehr wohl bewusst. "Die Brüche und Widersprüche der deutschen Geschichte treffen selbstverständlich auch den Sport", heißt es in einer Erklärung der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Und: "Wir stellen uns mit der Hall of Fame des deutschen Sports den Brüchen dieser Sportgeschichte, ohne sie damit beheben zu können." Falls die Verantwortlichen diese Maxime ernst nehmen, führt an der Aufnahme von Täve Schur kein Weg vorbei.