Kommentar zum Katholikentag in Leipzig

Chance verpasst

Tausende Gäste nehmen am Abschlussgottesdienst des 100. Katholikentages am 29.05.2016 auf dem Augustusplatz in Leipzig (Sachsen) teil.
100. Deutscher Katholikentag - Abschlussgottesdienst © picture alliance / dpa / Jan Woitas
Von Anne Françoise Weber · 29.05.2016
In Leipzig hätten die Katholiken ein Zeichen der Gemeinsamkeit mit den Muslimen setzen können. Wenn die Kirche nicht zeige, dass ein Miteinander im Glauben möglich sei, drohe sie immer mehr zu einem belächelten Spezialverein zu werden, sagt Anne Françoise Weber.
Dieser Katholikentag in Leipzig war ein kleiner Ausflug in die Zukunft nicht nur der katholischen Kirche in Deutschland: Aus dem ganzen Bundesgebiet reisten zehntausende engagierte Christen an, um fünf Tage lang Selbstbestätigung und Gemeinschaft zu erfahren in einer Gesellschaft, in der sie immer mehr als Fremdkörper wahrgenommen werden.
Etwas mehr als vier Prozent Katholiken gibt es in Leipzig, rund ein Fünftel der Stadtbewohner ist getauft. Katholischerseits verweist man gern auf das Wachsen der Gemeinde und sagt, hier gehe es darum, was schon alles möglich sei, während in vielen schrumpfenden Gemeinden in katholischen Stammgebieten darüber geredet werde, was man noch erhalten könne – doch das Wachsen bleibt sehr relativ, die Mehrheit der Gesellschaft begegnet diesen Menschen, die hier an ihren grünen Schals erkennbar waren, zunehmend mit Verwunderung, wenn nicht mit Ablehnung. In Leipzig scheiterte ein Bürgerbegehren gegen den städtischen Zuschuss in Höhe von einer Million Euro noch, doch im katholischen Münster ist schon klar, dass die Stadt den nächsten Katholikentag dort nur mit Sachleistungen bezuschussen will.

Kirche und Religion immer weniger selbstverständlich

Und auch viele Veranstaltungen bei diesem Katholikentag – mit Titeln wie: "Ich glaub‘ nichts, mir fehlt nichts" oder "Brauchen Werte Religion?" – haben gezeigt, dass Kirche, Religion, Glauben immer weniger selbstverständlich sind in Deutschland. Mit großen Podien zu Themen wie Flüchtlingshilfe und dem Umgang mit Rechtspopulismus, Sterbehilfe oder dem Handelsabkommen TTIP wollte man nun in Leipzig zeigen, dass die katholische Kirche trotzdem eine wichtige gesellschaftliche Stimme in diesen Debatten ist. Hochrangige Politiker haben das Anliegen durch ihre Präsenz unterstützt – aber ehrlich gesagt: Reden kann jeder, Podiumsdiskussionen veranstalten und ein breites Publikum anziehen können auch andere Organisationen.
Kirche ist ja nun kein Debattierclub, sondern lebt auch von ihren Ritualen, in denen die Glaubensgemeinschaft sich ihrer selbst und ihrer Beziehung zu Gott vergewissert. Das mag für Außenstehende befremdlich wirken, Aufmerksamkeit weckt es allemal, wenn es an öffentlichen Orten stattfindet. Natürlich gab es beim Katholikentag in Leipzig wie immer ein christlich-islamisches Forum, Begegnungen im Kleinen und die unvermeidlichen Podien zur Europäisierung des Islam.

Fürs Symbolische ist die Kirche qualifiziert

Nur wie gesagt: Reden kann jeder. Fürs Symbolische ist die Kirche dagegen besonders qualifiziert – und auch für den Umgang mit Menschen, denen Glauben viel bedeutet, wie es gerade bei vielen neu ankommenden Muslimen der Fall ist. Beim Abschlussgottesdienst hätte ein muslimischer Geistlicher neben Kardinal Marx, eine Grußbotschaft oder eine auch nur nacheinander gesprochene Segensformel ein Signal setzen können.
Die Chance ist vertan – vielleicht aus Angst vor den Widerständen im eigenen Kirchenvolk, vielleicht aus Unfähigkeit, unter den Muslimen in Deutschland die kooperationsbereiten zu finden. Wenn die Kirche aber nicht auf ihrem ureigenen Terrain agiert und zeigt, dass ein Miteinander auch im Glauben möglich ist, droht sie immer mehr zum müde belächelten Spezialverein für Menschen mit ungewöhnlichen Weltanschauungen, seltsamen Riten und einem Faible für komische Roben zu werden. Das war im vorwiegend konfessionslosen Leipzig schon spürbar.
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