Kolumnen

Techno im Kopf

Besprochen von Gerrit Bartels · 22.11.2013
In seiner Kolumnensammlung "Analog" erinnert sich Thomas Meinecke an halbwache Plaudereien in dunklen Technoschuppen, an die Entdeckung sexueller Subkulturen und an musikalische Helden.
Als der Schriftsteller Thomas Meinecke 2007 von der Chefredaktion der Techno-und Elektronikzeitschrift "Groove" gefragt wurde, ob er eine Kolumne schreiben wolle, sagte er sofort zu. Meinecke war zu diesem Zeitpunkt zwar schon über 50 Jahre alt und nicht mehr im Alter der Stammleserschaft und des Zielpublikums der "Groove". Aber als Musiker der Band FSK, der Meinecke auch ist, als Radiomoderator und DJ steht er im Stoff. Man könnte sagen: Thomas Meinecke ist "lost in pop", musikalisch insbesondere verloren an die Sounds von Disco bis Techno. Oder, so wie er sich selbst bezeichnet: Er ist "ein unersättlicher Popist".
Schriftsteller Thomas Meinecke auf der Frankfurter Buchmesse 2013 am Stand von Deutschlandradio im Gespräch mit Joachim Scholl über sein Buch "Analog".
Schriftsteller Thomas Meinecke auf der Frankfurter Buchmesse 2013 am Stand von Deutschlandradio im Gespräch mit Joachim Scholl über sein Buch "Analog"© Deutschlandradio - Cornelia Sachse
Sein Buch "Analog" versammelt nun die "Groove"-Kolumnen, die Meinecke sechs Jahre lang geschrieben hat. Es beweist einmal mehr, wie sehr Meinecke der Pop-Sache verbunden ist: ständig unterwegs und nicht zuletzt immer auf der Suche nach dem Neuen und Neuesten. Das fällt nicht zuletzt stilistisch auf, wenn er zum Beispiel viele Kolumnen mit dem flüchtigen Wörtchen "neulich" beginnt. "Neulich in einem temporären, albernen Pavillon hinter der Münchener Oper", da ist Meinecke bei einem Event des Techno-DJs Ricardo Villalobos; "Neulich in Berlins Brunnenstraße", da ist er in einer "kleinen, dunklen Bar mit einem dreieckigen Bühne" auf einem Konzert; und „neulich zu später Stunde in einem einschlägigen Club“, da legt er selbst auf und wird von einem "ekstatischen Tänzer" für seinen DJ-Set gelobt. Dann beschimpft ihn dieser Mann allerdings auch noch für den "unverständlichen Scheiß", der alle zwei Monate in der „Groove“-Kolumne stehe.
Meinecke ist erstaunt: „Wie war es nur möglich, dass er meine nonverbale Tätigkeit so schätzte? Meine Gedanken aber dazu nicht?“. Er fängt er sich schnell, räsoniert darüber, wie schwer es sei, Musik in Worte zu fassen, und was das für eine Freiheit gerade für Schriftsteller sein könne. Seine Schlussfolgerung ist jedoch unmissverständlich: "Vor der Sprache gibt es nichts. Auch Disco ist diskursiv". Und eine Sprache findet Meinecke in "Analog" fast immer für die Musik, die ihn beschäftigt, was mitunter für Leser, die mit Minimal Techno, Drum &Bass oder Juke nicht bewandert sind, tatsächlich "unverständlich" sein kann.
Trotzdem liefert diese Kolumnenzusammenstellung mehr als nur nerdiges Bescheidwissertum: Einblicke in das Leben eines Schriftstellers und seine Gedanken- und Schreibwerkstatt. "Analog" ist gewissermaßen ein Tour-Tagebuch, es ist eine Art Poetologie und enthält zudem viele autobiografischen Momente. Von Meineckes Aufenthalt in Bahia de Salvador ist des Öfteren die Rede (ein Aufenthalt, der auch eine wichtige Rolle in seinem jüngsten Roman "Lookalikes" spielt), von einem ihn sehr beeinflussenden Jazz-Konzert mit Dizzy Gillespie, Art Blakey und Thelonious Monk, zu dem ihn sein Vater in jungen Jahren mitnahm. Oder von einem Schulfreund namens Bernd Krämer, "mein vorderster Stichwortgeber in Sachen Ästhetik und Musik".
Schriftsteller Thomas Meinecke auf der Frankfurter Buchmesse 2013 am Stand von Deutschlandradio.
Schriftsteller Thomas Meinecke auf der Frankfurter Buchmesse 2013 am Stand von Deutschlandradio.© Deutschlandradio - Cornelia Sachse
Natürlich diskutiert Meinecke in den Kolumnen das, was ihn auch in seinen Romanen beschäftigt: das Konstruierte an Geschlechteridentitäten, sexuelle Dissidenzen, sexuelle Subkulturen. Zudem erzählt er, nach welchem System er die Platten in seiner DJ-Kiste sortiert, wie er sich in Plattenläden verhält, warum er John Peel bewundert (dieses ewig "neugierig gebliebene Gehör") und auch er in seinem reifen Alter noch immer "jungshaft" alles wissen will: "Woran ließ sich gleich wieder der Sound von Toronto von dem Montreals unterscheiden?".
Einmal gesteht Meinecke sich dann aber doch ein, bei aller Diskursivität, wie schwer er sich tue, einen neuen Sound, dem er verfallen ist, Juke genannt, auf den Punkt zu bringen, Worte dafür zu finden. Und er konstatiert: "Das sind die schönsten Momente in der Sozialisation eines unersättlichen Popisten: Man weiß noch gar nicht, was es ist, das einen da erwischt hat, man liebt es aber schon und genießt es sehr, keine Worte dafür zu haben."

Thomas Meinecke: "Analog"

Verbrecher Verlag, Berlin 2013

112 Seiten, 14 Euro

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