Kolumne

Ist Schäuble als Zeitzeuge verlässlicher als Goethe?

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU)
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) © Wolfgang Kumm, dpa picture-alliance
Von Philipp Gessler · 26.08.2015
Das Gefecht im französischen Valmy wäre wohl längst vergessen, wenn nicht Johann Wolfgang von Goethe es gesehen und schriftlich verewigt hätte - sich selbst falsch zitierend. Heute treten die Zeitzeugen im Fernsehen auf. Zum Beispiel der sarkastisch kommentierende Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.
"Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen."
Johann Wolfgang von Goethe als Zeitzeuge. Der größte deutsche Dichter aller Zeiten hatte ein Scharmützel in einem deutsch-französischen Feldzug 1792 selbst gesehen – aber was er gesehen zu haben glaubte, hatte nichts mit dem zu tun, was sich ereignet hatte: Mit dem Gefecht in Valmy in der Champagne begann keine neue Epoche der Weltgeschichte. Und die kriegerische Handlung wäre wohl längst vergessen, wenn Goethe nicht seinen berühmten Satz dazu aufgeschrieben hätte – knapp 30 Jahre nach dem Ereignis übrigens, sich selbst auch noch falsch zitierend.
Heute sehen wir die Zeitzeugen im Fernsehen. Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister. Es ist kein Schlachtfeld, das noch raucht, aber der Konferenztisch ist noch nicht abgekühlt, da Schäuble als Zeitzeuge der Welt kundtut, wie es gewesen ist, als um die Griechenlandhilfe gerungen wurde. Als sein griechischer Amtskollegen Yanis Varoufakis im Kreise der EU-Finanzminister auftrat:
"Meine Kollegen waren alle sehr beeindruckt, nicht? Gebührenfrei eine längere Vorlesung zu bekomme - das war etwas, was wir lange vermisst hatten."
Ist die Geschichte nur ein Zweig der Literatur?
Schäuble, der sarkastisch kommentierende Zeitzeuge in einer ARD-Dokumentation. Die andere Geschichte ist immerhin schon eine der der jüngeren Vergangenheit. Schäuble auf die Frage, ob es denn stimme, was sein früherer Mentor, Ex-Kanzler Helmut Kohl, immer gesagt habe: Er könne die Namen der Spender für Schwarzgeld-Spenden an die CDU nicht nennen, weil er sein Ehrenwort gegeben habe, diese Namen nicht zu veröffentlichen:
Dialog Filmautor – Schäuble:

"Wer waren die Spender an Helmut Kohl?" - "Es gibt keine." - "Es gibt keine?" - "Ja."
Das Geld, dessen Herkunft Kohl immer noch verheimlichen will, stamme, so Schäuble, wohl noch aus den schwarzen Kassen der CDU, die der Großindustrielle Friedrich Karl Flick zur "Pflege der Bonner Landschaft" in den 70er-Jahren gefüllt habe. Schäuble bezeugt, dass die Spendenaffäre anders verlaufen ist als gemeinhin erzählt. Schäuble ist kein Dichter wie Goethe, aber ein noch handelnder Politiker. Ist Schäuble als Zeitzeuge verlässlicher als Goethe? Historiker – übernehmen Sie! Oder ist die Geschichte doch nur ein Zweig der Literatur?
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