Kolumbien

Kunst für den Frieden

Fotos an Häuserfassaden in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá erinnern an die Opfer des bewaffneten Konflikts
Fotos an Häuserfassaden in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá erinnern an die Opfer des bewaffneten Konflikts © Foto: Olaf Nussbaum
Von Olaf Nussbaum · 12.04.2015
Jahrelang tötete das kolumbianische Militär unschuldige junge Menschen und gab diese dann als Rebellen aus. Der "Weltgipfel der Kunst und Kultur für den Frieden in Kolumbien" in Bogotá befasst sich mit dem Schicksal dieser "falschen Positiven".
Ein Ehepaar vermisst seinen Sohn, vermutlich ist er schon tot, in "Donde se descomponen las colas de los burros", einem Theaterstück von Carolina Vivas Ferreira. Am Freitagabend war es in der bestechenden Inszenierung von Ignacio Rodríguez Bejarano im Umbral Teatro im Zentrum von Bogotá zu sehen, als einer von rund 300 Beiträgen zum "Weltgipfel der Kunst und Kultur für den Frieden in Kolumbien".
Das Theaterstück setzt sich mit den sogenannten "falschen Positiven" auseinander. Das sind unschuldige junge Männer, die von kolumbianischen Soldaten ermordet und danach als getötete Rebellen ausgegeben wurden. Diese "falschen Positiven" sind wohl der perverseste Auswuchs des nun fast sechs Jahrzehnte andauernden bewaffneten Konflikts zwischen der kolumbianischen Armee und den Paramilitärs auf der einen und den Rebellen, vor allem den Farc, auf der anderen Seite. Und so ziehen sich die "falschen Positiven" wie ein roter Faden durch diesen Friedensgipfel.
"Wie ergeht es meinem Jungen? Hat er Hunger? Schläft er in einem sauberen Bett?"
Neun Monate hat sich Luz Marina Bernal um ihren verschwundenen Sohn gesorgt. Während der Diskussionsveranstaltung "Mütter des Friedens" im Teatro Gaitán erzählt sie seine Geschichte und damit die des bekanntesten Falles eines "falschen Positiven". 2008 identifizierte sie seine Leiche. Zwei Kugeln hatten eine Gesichtshälfte des 26-Jährigen zerstört:
"Am 24. September traf ich dann in Nord-Santander Herrn Rúben, der damals Staatsanwalt war. Er hat mich gefragt: 'Wegen wem sind Sie hier?' Und ich:
'Wegen Fair Leonardo Porras.' Da hat er zynisch gesagt: 'Ah ha! Sie sind also die Mutter des Anführers dieser Drogen schmuggelnden terroristischen Vereinigung?'"
Morddrohungen gegen die Mütter
Das war eine Lüge. Denn ihr Sohn war von Geburt an körperlich und geistig behindert. Seine Mörder, kolumbianische Militärs, sitzen mittlerweile im Gefängnis. Luz Marina Bernal kämpft mit anderen Müttern aus ihrer Stadt Soacha für die Klärung weiterer Fälle von "falschen Positiven". Bernal hat dafür schon viele Morddrohungen erhalten, wie überhaupt fast alle, die an dieser Podiumsdiskussion teilnehmen, inklusive der Moderatorin, der Journalistin María Jimena Duzán.
Neben ihr sitzt die Argentinierin Estela de Carlotto, die für Luz Marina Bernal wiederum ein Vorbild ist. 2002 überlebte de Carlotto einen Mordanschlag in Buenos Aires. Als Präsidentin der Vereinigung "Großmütter der Plaza de Mayo" kämpft sie nämlich seit vielen Jahren dafür, dass die während der argentinischen Militärdiktatur entführten und in neue Familien gebrachten Kinder ausfindig gemacht werden.
"Ich mache weiter, ohne nur eine Minute lang still zu bleiben. Ich gehe am Stock. Aber ich sage immer: 'Der Stock verhindert, dass wir Großmütter jemals in die Knie gehen müssen!'"
116 Kinder, heute erwachsene Frauen und Männer, haben die Großmütter von der Plaza de Mayo schon gefunden. 2014 stieß dann Estela de Carlotto auf ihr eigenes Enkelkind, den Pianisten Ignacio Montoya Carlotto, der ebenfalls auf dem Podium sitzt. Als der von seiner wahren Familie und der Ermordung seiner Mutter erfuhr, flüchtete er sich in die Musik, um das zu verarbeiten. Und so musiziert er auch auf diesem Gipfel, gemeinsam mit seinem argentinischen Kollegen, dem Sänger León Giecco.
Die Kolumbianerin Yolima Palacios Ferrín hat ihr persönliches Leid radikal und verzweifelt in Verse gepackt. Im Teatro Gaitán rezitiert sie ihre Gedichte im Slam-Poetry-Stil. Literarisch gesehen keine guten Gedichte. Aber die Autorin bekommt Standing Ovations für diese tief berührenden autotherapeutischen Verse über die Sehnsucht nach Frieden und über die Ermordung ihrer beiden Söhne.
Wer nicht mitmachte, wurde selbst bedroht
Am Donnerstagmorgen, während eines großen Friedensmarsches durch Bogotá, stand Raúl Carvajal auf dem Dach seines Lieferwagens und forderte, wild gestikulierend, Gerechtigkeit für seinen toten Sohn, einen kolumbianischen Soldaten. Der habe sich 2006 geweigert, zwei unschuldige junge Männer umzubringen, um sie als getötete Guerilla-Kämpfer zu präsentieren. Kurz darauf sei sein Sohn von der Armee gefoltert und getötet worden.
"Mir hilft niemand: Alle haben Angst vor der Regierung von Álvaro Uribe und Juan Manuel Santos. Sie lassen nämlich die Leute umbringen, die ihnen nicht passen. Deshalb habe ich keine feste Wohnadresse, ich fahre stattdessen mit meinem Wagen durch die Straßen. Ich werde nicht Ruhe geben, bis der Tod meines Sohnes untersucht wird oder bis sie mich getötet haben."
Ein Mann auf einem Protestwagen schwenkt bei einem Friedensmarsch in Bogotá die kolumbianische Flagge
Vom Dach seines Protestwagens fordert Raúl Carvajal beim Friedensmarsch Gerechtigkeit für seinen getöteten Sohn© Foto: Olaf Nussbaum
Der erwähnte Santos, zur Zeit der Ermordung des Sohnes von Raúl Carvajal noch Verteidigungsminister, ist mittlerweile Präsident Kolumbiens, treibt die Friedensverhandlungen mit den Rebellen voran und eröffnete eben diesen Friedensmarsch in Bogotá. Die Grenze zwischen Gut und Böse verschwimmt manchmal in diesem kolumbianischen Konflikt. Genauso wie im Theaterstück über einen "falschen Positiven" im Umbral Teatro, in dem sich der Vater des verschwundenen Sohnes schließlich selbst schuldig macht.
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