Kolossale Probleme

Von Thomas Migge · 07.08.2012
Kaum ein europäisches Land muss sich um so viele historische Bauten kümmern wie Italien. Insbesondere das Kolosseum in Rom soll seit Jahren renoviert werden. Doch unter dem Spardiktat der Monti-Regierung fehlt dafür das Geld.
Eine Reisegruppe aus den USA. Es ist so heiß, dass sich selbst die männlichen Gruppenmitglieder mit Fächern Luft zuwedeln. Die Warteschlange am Eingang ist mehr als einen Kilometer lang. Bei 36 Grad im Schatten…

Das Kolosseum ist neben dem Petersdom Roms touristische Hauptattraktion. Jetzt, im August, wird die antike Arena täglich von rund 17 000 Menschen besucht.
Rosella Rea ist besorgt. Sie ist die Direktorin des Kolosseums, dass, klagt sie, unter kolossalen Problemen leidet:

Rosella Rea: "Die realen Probleme des Kolosseums sind Umweltprobleme. Ein Bauwerk von dieser Größe und dieser architektonischen Wichtigkeit muss besser geschützt werden. Das Mauerwerk wird von der extrem hohen Luftverschmutzung zerfressen, die schweren, dicht an der Arena vorbeifahrenden Reisebusse lassen alles erbeben und die inzwischen großen Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter setzen dem Mauerwerk ebenfalls zu. Das sind erhebliche Umweltprobleme."

Über die von den Medien verbreitete Nachricht, wonach eine Seite des Kolosseums genau wie der schiefe Turm von Pisa ins Erdreich absinke, kann Direktorin Rea nur lachen. Von einem Schiefen-Turm-Effekt, erklärt sie, könne keine Rede sein. Sicherlich, der Südteil des Bauwerks liegt heute 46 Zentimeter tiefer im Erdreich als die Nordseite. Aber dabei handelt es sich um einen in Jahrhunderten entstandenen Entwicklungsvorgang, der hochkomplexe Eingriffe wie bei dem romanischen Turm im toskanischen Pisa nicht notwendig mache. Rosella Rea:

"Die italienische Umweltschutzorganisation Legambiente stellte fest, dass der starke Auto- und Busverkehr für das Kolosseum viel gefährlicher ist als die auf Jahrhunderte verteilte langsame Bewegung des schweren Gebäudes auf dem Erdreich. Um eventuellen Einstürzen vorzubeugen, wird das Kolosseum rund um die Uhr kontrolliert."

Von dem Amphitheatrum Flavium, so der lateinische Name, diesem größten geschlossenen Bau der römischen Antike, errichtet zwischen 72 und 80 nach Christus, existiert heute nur noch ein Drittel. Zwei Drittel der Baumasse stürzten mit den Jahrhunderten ein oder wurden als Baumaterial für andere Gebäude genutzt. Das gesamte Bauwerk wurde auf einem zirka elf bis 13 Meter tief in den Erdboden reichenden Grundmauerring errichtet. Dieser Ring besteht aus altrömischem Zement. In Zusammenarbeit mit der Universität Rom und dem Nationalen Forschungsinstitut CNR, eine Art Max-Plank-Institut all’italiana, wird das Kolosseum seit einigen Wochen buchstäblich auf den Kopf gestellt. Dazu die im Kolosseum arbeitende Archäologin Barbara Nazzaro:

"Man weiß seit Jahrhunderten, dass das Kolosseum Erhaltungs- und statische Probleme hat. Im 19. Jahrhundert wurden deshalb erste Stahlringe angebracht, die kritische Gebäudeteile zusammenhalten sollen. Wissenschaftler der Universität und des CNR wollen mit Lasergeräten und hochsensiblen Sensoren auch kleinste Bewegungen des Bauwerks erfassen und auf die Zukunft hochrechnen."

Ziel ist es, Daten zu ermitteln, die die Kommunalpolitiker endlich davon überzeugen sollen, den gesamten Autoverkehr bei der antiken Arena einzustellen und umzuleiten: wegen der Luftverschmutzung, die den Stein schwarz färbt und zersetzt, und wegen der Bodenschwingungen, die für das alte Gemäuer immer gefährlicher werden.

Projekte wie diese sind in Italien nur noch mit privaten Sponsoren möglich: der Staat gibt immer weniger Geld für sein Kulturerbe aus. Selbst für so wichtiges Kulturerbe wie das Kolosseum. Im kommenden Jahr wird das Kulturministerium weitere 50 Millionen Euro für Restaurierungsarbeiten im ganzen Land streichen.

Im Fall des Kolosseums macht der Lederwarenunternehmer Diego della Valle 25 Millionen Euro locker. Gegen den Umstand, dass er dafür 15 Jahre lang sein Firmenlogo am Kolosseum anbringen darf, wurde seitens verschiedener Archäologen und einer Verbraucherorganisation heftig protestiert. Della Valle drohte damit, seine Spende wieder rückgängig zu machen. Nur dank der Vermittlung des Kulturministers konnte der Unternehmer umgestimmt werden.

Doch Direktorin Rosella Rea wird nicht die gesamten 25 Millionen Euro Spendengelder zur Verfügung haben. Unglaublich, aber wahr: Rund ein Fünftel der Summe, also knapp fünf Millionen Euro, kassiert der Staat ein. Als Steuer auf Sponsorengelder für Kulturinitiativen! Eine Steuer, die Archäologin Rea so skandalös und unverschämt findet, dass sie ihre scharfe und bittere Kritik daran nur bei ausgeschaltetem Mikrofon von sich gibt, um nicht wegen Beleidigung entscheidender politischer Persönlichkeiten angezeigt zu werden.

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