Die USA unter Trump

Verunsichert, aber debattenfreudig

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Ein Wandgemälde im Stil der "La Pasionaria": Alexandria Ocasio-Cortez, die junge als radikal angesehene demokratische Abgeordnete und Hoffnungsträgerin, auf einer Mauerwand in New York.
Alexandria Ocasio-Cortez, die junge demokratische Abgeordnete, auf einem Wandgemälde im Stil der Ikone der spanischen Linken, "La Pasionaria", in New York. © Getty Images North America/Drew Angerer
Von Esther Dischereit · 24.04.2019
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In den USA wird offener diskutiert als je zuvor: über die Grenzen der Meinungsfreiheit, den Sozialismus oder den Zugang zur Bildung. Nur was Trump-Nachrichten angeht, scheint eine Müdigkeit eingezogen zu sein, beobachtet die Autorin Esther Dischereit.
Am Chicago River traf ich auf Mickey. "Kiss me I am Irish". "Küss mich. Ich bin Irisch", steht auf ihrem T-Shirt. Der St. Patricks-Day ist inzwischen eine Art Public Event geworden, sagt ihr Mann John, der Programmierer ist. Die indisch-stämmige Familie aus ihrer Straße war mit den Kindern auch dabei. Anschließend ziehen Gruppen von Menschen durch die Straßen, trinken Bier, und zeigen sich in möglichst grünem Outfit, eine Anspielung auf das Kleeblatt, das irische National-Symbol.
Mickey ist Bankangestellte und sagt, sie fühle sich fundamental verunsichert. Sie habe einfach keine Idee davon, was morgen passieren könne. Und das sei ein Lebensgefühl, das ihr zu schaffen mache. "Das war vorher nicht so," sagt sie. Schräg gegenüber ist der Name des Präsidenten in riesigen Lettern an seinem Tower angebracht. Die juristischen Mittel, das entfernen zu lassen, haben versagt. Ein Schandfleck, sagte Johns Tochter, als sie vom College zurückkam. Sie war den Tränen nahe.
Es ist ja eine Merkwürdigkeit, dass meine Nachbarin weiter zur Arbeit geht und einkaufen und sonst was, aber jeden Tag auch daran denkt, dass und wie sie regiert wird. Was sich denn nun geändert hätte? Nichts und eigentlich alles, meint sie.
Ulrich Baer, Professor an der New York University, hatte einen Artikel geschrieben, in dem er sagte, dass die Freiheit des Wortes seine Grenze finden müsse, wo es um offen rassistischen oder antisemitischen Hass geht. Das ist für hiesige Verhältnisse eine unerhörte Intervention. Auch die Freiheit der Wissenschaft könne begrenzt werden, wenn ein Hetzredner wie Richard Spencer auf einem Universitäts-Campus nicht mehr empfangen wird. Die "New York Times" musste die Kommentarspalte nach über 1000 Einträgen schließen.

Spenden zur Unterstützung der Zivilgesellschaft

Viele kritisch eingestellte Menschen spenden Geld für die American Civil Liberties Union (ACLU), damit sich die Zivilgesellschaft Anwälte leisten und Prozesse führen kann. Mehr als 83 Millionen Dollar sind in die Kasse dieser Organisation geflossen und die Mitgliedschaft hat sich vervielfacht, aber diese Organisation hatte auch die Verteidigung von Hass-Gruppen übernommen – mit der Begründung: auch die hätten das Recht, in Charlottesville uneingeschränkt ihre Meinung vertreten zu können, aus prinzipiellen Gründen.
Die Vorstellung, dass die Meinungsfreiheit verteidigt werden muss, geht in den USA sehr weit. Es sei ruhmreich, für den Gegner eingetreten zu sein, hieß damals die Begründung. Auf der anderen Seite vertritt die Organisation einen Fall, in dem es darum geht, die Benachteiligung von Frauen zu verurteilen, wenn sie in ihren Ehen gebunden bleiben müssen, weil sie sonst ihren Anspruch auf Krankenversicherung verlieren.
Neulich sah ich Alexandria Ocasio-Cortez, die junge als radikal angesehene demokratische Abgeordnete und Hoffnungsträgerin, auf einer Mauerwand: ein Wandgemälde im Stil der "La Pasionaria", der Revolutionärin aus dem spanischen Bürgerkrieg.
"I love immigrant America". "Ich liebe das Amerika der Einwanderer". Oder "Make America America again". In immer wieder neuen Kreationen schaffen Texter Buttons wie den, der sagt: "Wenn niemand weiß, was mit Trump los ist, weiß ich auch nicht, wie ich es erklären könnte."

Die Wahrnehmung der Native Americans verändert sich

Offener als jemals zuvor wird diskutiert, ob Sozialismus ein Ziel sein könnte oder eine Schande. Bernie Sanders ist die Person, die dafür steht, das Wort Sozialismus wieder mit einem, wie er sagt, "anständigen" Klang zu versehen. Diese Debatten führen zu Fragen der Besteuerung der Reichen, der Krankenversicherung und der überfälligen Strafrechtsreform.
Oder zur Frage des Zugangs zu Bildung. Für Schüler mit afroamerikanischem oder Hispanic-Hintergrund wird er immer schwerer. Zum Beispiel ist das in der Stuyvesant High School in New York für nächstes Jahr so ausgegangen: 895 Schülerinnen und Schüler sind aufgenommen, 587 haben asiatischen Hintergrund, 194 sind weiß, 33 sind Latinos und 7 haben einen afroamerikanischen Hintergrund.
Selbst in der Bronx ist das im Prinzip genauso, obwohl hier die Schwarzen und Afroamerikaner mit über 36 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe sind. In Brooklyn das gleiche Bild: von den 1825 Schülern, die in einer Elite-High School aufgenommen wurden, sind 95 Afroamerikaner. Die begüterten Eltern finanzieren schon lange vor der Eingangsprüfung den Privatunterricht, damit ihre Kinder den Test schaffen. Im Ergebnis bleiben die Schwarzen und Latino-Kinder vor der Tür stehen.
Die Wahrnehmung der Native Americans aber verändert sich allmählich. Das Chicagoer Steppenwolf Theater lässt vor Spielbeginn eine Mitteilung verlesen. Das Gebäude, die Institution überhaupt, sei auf einem Gebiet errichtet worden, das den Völkern der "Three Fires" gehörte. Deren Vertreibung liege 200 Jahre zurück. Dennoch müsse man sich der Tatsache bewusst sein, dass dieses Homeland weiterhin für Zusammenkünfte für mehr als ein Dutzend anderer Stämme diene und über 100.000 Stammesangehörige im Staat Illinois geblieben seien. Man will Respekt bezeugen und bedanke sich für das Gastrecht. Und teilt mit, dass man zu einer Personengruppe gehöre, die sich das Land widerrechtlich angeeignet habe.
Und Trump? Manchmal habe ich den Eindruck, dass es eine Müdigkeit gibt, was Präsidenten-Nachrichten betrifft.
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