"Kollaps" am Hessischen Staatstheater

Licht aus in Wiesbaden

Der Theater-Regisseur Jan Philipp Gloger
Der Theater-Regisseur Jan Philipp Gloger © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Von Michael Laages · 12.04.2015
Auch Regisseur Jan Philipp Gloger kann mit seiner Inszenierung in Wiesbaden Philipp Löhles "Kollaps" nicht retten. Stück und Inszenierung werden hier eins: forcierte Nichtigkeit.
Alles halb so wild – die Endzeitstimmung, die Philipp Löhles neuer Theatertext zu beschwören vorgibt, ist doch nicht mehr als einer jener Blackouts, die ab und zu selbst friedliche Vorstädte treffen; und zuweilen selbst bravere Bürger zur Plünderung im Supermarkt verleiten. Alles schon dagewesen – im "Kollaps"-Stück des Vielschreibers Löhle allerdings fällt nicht nur das Licht aus, sondern - Wie schrecklich! - auch das Internet; und tote Vögel fallen vom Himmel. Bienen gibt's schon länger nicht mehr. Hat der Showdown in der Atmosphäre begonnen? Ach was: Zuvor haben zwei der Hauptpersonen schon mitgeteilt, dass all das nur eine schlimme Erinnerung ist, ein Alptraum von gestern.
Aber wo bitteschön soll denn Bedrohlichkeit herkommen, wenn schon mit den ersten Sätzen klar wird, dass nichts passieren wird? Und das ist nur eine der Macken eines lauen Textes und einer noch laueren Uraufführungsinszenierung.
Wir lernen Sophie und Marco Becker kennen; sie lesen keine Zeitung hören kaum Radio (sind also ein bisschen dumm!). Zwei Kinder haben sie, Eigenheim und schickes Auto. Sie arbeitet bei der Bank, er bei der Arbeitsagentur. Dort ist er gezwungen, qualifizierte Bewerber in erniedrigende Billigjobs zu vermitteln und liefert einem wie dem Herrn Seeger, Topp-Techniker, aber derzeit im Einsatz als Müll- und demnächst als Wachmann, auch noch die verlogenen Theorien dazu.
Wahrheiten kommen ans Licht
Herr Seeger nimmt am Tag, da der Weltuntergang zu beginnen scheint, ein Gewehr in die Hand und zieht los wie Charles Bronson. Einen Traum will er sich erfüllen, bevor alles zu Ende geht: mit dem Sohn in irgendeinem Pool baden. Es wird der von Herrn Breuer sein, Chef einer Firma für Badezimmerarmaturen, der als regierender Firmenerbe derart unglücklich ist, dass er eine Bewerberin für die eigene Nachfolge und danach den Tod suchen will. Die junge Frau im Bewerbungsgespräch hat sich ihrerseits eine schillernde Karriere zusammen gelogen, aber nie etwas Vernünftiges zu Ende gelernt – all die Wahrheiten der fünf Protagonisten kommen am Ende der Welt auch zum Vorschein.
Aber wie! Löhles Text dümpelt mit mäßig zündenden Pointen vor sich hin, auch wenn das Wiesbadener Publikum vor allem zu Beginn quietscht und kichert, als würde es dafür bezahlt. Bald versiegt aber auch diese Quelle vergnügter Hysterie und zwei (mindestens gefühlte drei) Stunden rieseln trüb und matt dahin. Bis zu schieren Peinlichkeiten wie der Frage des immer noch nicht verstorbenen Armaturen-Direktors ins Publikum, was jeder und jede denn noch so zu tun gedächte, wenn morgen Schluss wäre – auf diese dumme Frage wie aus dem Internet-Forum gibt's natürlich nur dumme Antworten. Dieses flache Niveau aber strebt der Text komplett an; und niemand, auch nicht der mit Löhles Texten vertraute Uraufführungsregisseur Jan Philipp Gloger, hat irgendein Mittel gegen das öde Geplänkel, das sich von Minute zu Minute schlimmer breitmacht. Selbst das Wiesbadener Ensemble scheint sich schnell abgefunden zu haben mit der forcierten Nichtigkeit des Textes – und agiert entsprechend: richtet sich ein in der Mittelmäßigkeit.
Für starkes Theater reicht's vorne und hinten nicht
Aber dieser Text wäre auch von funkelnderen Kräften nicht zu retten. Schon die Logik stimmt ja nicht – der Autor beschwört ein völlig unvorbereitetes Ende von allem, tut dann aber so, als wären die seit Martin Luther bekannten Pflanzen-wir-ein-Apfelbäumchen-oder-nicht-Fragestellungen noch irgendwie aktuell. Dass die jungen Eltern von Bank und Amt sich eigentlich gerade trennen (sie liebt den offenbar todkranken und lebensmüden Armaturen-Mann), dass sie obendrein im "Kollaps" bereit zu sein scheinen, die Kinder im Stich lassen: das ist das ganze Drama. Die jungen Väter Löhle und Gloger mag das interessieren, für starkes Theater reicht's vorne und hinten nicht.
Am Autor Löhle wird gemeinhin die „Leichtigkeit" ge-rühmt, mit der er fundamentale Themen anzupacken ver-steht ... sollte das stimmen, macht diese Fähigkeit gerade Pause. Und Löhle wird zum Oberflächling. Sicher schreibt der junge Mann auch viel zu viel – Anfang Mai steht schon die nächste Uraufführung an, am Deutschen Theater in Berlin. Bleibt zu hoffen, dass dann keine Katastrophe droht: wie dem Katastrophenstück von Wiesbaden.
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