Kolat: Partizipation statt Integration

Kenan Kolat im Gespräch mit Holger Hattinger · 23.05.2011
Vor der ersten Sitzung des Bundesbeirats für Integration hat der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, die Forderung nach einem Einwanderungsministerium bekräftigt. Er setzt auf eine grundsätzliche Veränderung der gesellschaftlichen Diskussion und will die Teilhabe der Migranten in den Mittelpunkt stellen.
Holger Hattinger: In der Integrationspolitik hat Deutschland bislang versagt. Parallelgesellschaft, Prekariat, radikaler Islamismus, Einbürgerungstests – Schlagworte für die Hilflosigkeit der bisherigen Bundesregierungen im Umgang mit Migranten. Bundeskanzlerin Merkel hat deswegen einen nationalen Integrationsplan geschmiedet, das war vor knapp fünf Jahren. Eine Spätfolge dieses Plans heißt Bundesbeirat für Integration. Er soll die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, unterstützen.

Heute treffen sich die 32 berufenen Mitglieder zum ersten Mal, und mit dabei ist Kenan Kolat. Das SPD-Mitglied ist Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, also der größten Migrantengruppe. Guten Morgen, Herr Kolat!

Kenan Kolat: Guten Morgen, Herr Hattinger!

Hattinger: Nur zehn der insgesamt 32 Mitglieder, die sich heute treffen, kommen aus Migrantenverbänden. Fühlen Sie sich angemessen vertreten?

Kolat: Es gibt ja weitere Personen aus den Migrantenkomitees, die über eine andere Quote sozusagen reinkommen. Ich denke, wir sind die Hälfte des Beirates, und das ist schon angemessen.

Hattinger: Mit am Tisch wird auch die Moderation Nazan Eckes und die Fußballerin Steffi Jones sitzen – finden Sie das richtig?

Kolat: Ja, das ist die Entscheidung der Ministerin. Sie wollte, glaube ich, aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft Menschen dabei haben. Es ist sicherlich eine Bereicherung, mit Nazan Eckes und anderen zusammenzusitzen, weil sie haben natürlich auch eine Sicht der Dinge. Es geht ja hier um die Beratung der Staatsministerin, und ich gehe davon aus, dass sie auch vielleicht dazu beitragen können aus einer anderen Perspektive.

Hattinger: Sie haben die Funktion gerade noch mal deutlich klargestellt, es geht um die Beratung der Staatssekretärin Maria Böhmer. Diese setzt die Themen vor und sie gibt die Verlautbarungen nach außen. Fühlen Sie sich bevormundet?

Kolat: Nein, so wird es natürlich nicht sein. Wir werden gemeinsam die Tagesordnung bestimmen. Natürlich ist so eine Entscheidung mit Zweidrittelmehrheit möglich, so steht es jetzt in den Bestimmungen. Ich hätte mir ein anderes Quorum gewünscht, aber ich denke, wir müssen dort schauen, ob wir da einen gemeinsamen Konsensus erreichen, dass man dann gemeinsam nach außen geht – das ist immer besser.

Jedoch werden wir natürlich strittige Themen diskutieren, und dann wird das auch so nach außen dargestellt. Ich denke, es ist auch gut, dass man unterschiedliche Meinungen hat und schaut, wie man dann zu gemeinsamen Lösungen kommt oder Vorschlägen kommt. Weil unsere Aufgabe ist ja nicht, eine Entscheidung zu fällen, der Bundesregierung vorzugreifen, sondern wir beraten ja die Bundesregierung beziehungsweise hier die Staatsministerin.

Ich hätte mir natürlich auch gewünscht, dass wir die Bundesregierung beraten und auch von anderen Ministerien entsprechende Personen dabei wären. Das war auch übrigens der Vorschlag von der Türkischen Gemeinde beim ersten Integrationsgipfel, wo damals unser Vorschlag abgelehnt wurde. Ja gut, jetzt haben wir eine Institution, die kann man ausbauen, die kann man, diese Institution, verbessern, das ist die Aufgabe aller Mitglieder.

Hattinger: Wie könnte man zum Beispiel diese Institution verbessern?

Kolat: Ich denke, indem man die Aufgabe noch mal verändert, dass man andere Ministerien beteiligt, dass wir nicht die Staatsministerin, sondern die Bundesregierung beraten, jedoch ist es ein Anfang, ein erster Anfang – das ist immer nicht so einfach, von heute auf morgen alles zu verändern. Es darf nicht sein wie beim Integrationsgipfel: Als das damals gegründet wurde, war Euphorie bei uns allen. Dann hat sich herausgestellt, dass wir im Integrationsgipfelprozess zum Beispiel nicht über Gesetze, Gesetzestexte diskutieren konnten, das wurde uns verwehrt.

Und dadurch wurde der Integrationsgipfel irgendwann zu einer Showveranstaltung. Ich denke, hier beim Beirat hat man vielleicht die Möglichkeit, in einer kleineren Gruppe etwas intensiver zu diskutieren. Wenn das gelingt, dann ist das gut für Deutschland. Wenn das nicht gelingt, dann kann es natürlich auch wiederum zu einer, ja, zu einer Institution werden, die dann nicht das Sagen hat.

Aber wie gesagt, es geht ja hier um eine Beiratsfunktion, um eine Ratgeberfunktion. Wir sind gerne bereit, unsere Überlegungen dort einzubringen, und dann hängt das davon ab, welche dann von der Staatsministerin übernommen werden.

Hattinger: Von der, nämlich Maria Böhmer, haben wir in den vergangenen Jahren wenig gehört in Sachen Integrationspolitik, da kamen die Impulse eher aus dem Innenministerium, siehe Deutsche Islamkonferenz. Was trauen Sie persönlich Frau Böhmer denn zu?

Kolat: Ja, das ist das Grundproblem, hat mit Frau Böhmer nicht direkt zu tun, sondern das Staatsministerium hat eigentlich keine Kompetenzen. Sie hat auch keine Kompetenzen im Bereich erstens Finanzen, also sie hat keine finanziellen Möglichkeiten, sie hat auch keine innenministeriellen Kompetenzen. Deswegen brauchen wir dort ein neues Ministerium mit richtigen Instrumenten. Zum Beispiel hatte ich auch vorgeschlagen, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Staatsministerin zuzuordnen, damit sie Werkzeuge hat – sie hat überhaupt keine Werkzeuge.

Dann müsste sie zum Beispiel eine Mitzeichnungsmöglichkeit haben bei Gesetzesvorhaben. Weil in der Regel werden die Gesetze – nicht in der Regel, sondern immer – vom Bundesinnenministerium vorbereitet, und das Innenministerium hat natürlich einen anderen Blickwinkel auf die Probleme. Das Ministerium, das Innenministerium, sieht die Problematik immer aus der sicherheits- und ordnungspolitischen Sicht, und das muss sich ändern. Integration, besser gesagt Partizipation ist ein gesellschaftliches Gleichstellungsthema, und so soll das dann angegangen werden. Deswegen brauchen wir ein starkes Ministerium für Partizipationsfragen.

Hattinger: Wir haben gerade schon über die Zweidrittelmehrheit gesprochen, die Sie benötigen, um dort in diesem Gremium etwas zu verändern – wie stark ist denn der Zusammenhalt in den verschiedenen Migrantenverbänden?

Kolat: Ja, da gibt es zehn, die seit Jahren auch zusammenarbeiten. Ich denke, diese Verbände sind alle im Integrationsgipfelprozess und in den nationalen Integrationsplanprozess eingebunden. Das sind Kolleginnen und Kollegen, die in dem Bereich erfahren sind. Da muss man schauen, wie mit den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmerin ein Konsens gefunden wird. Ich bin nicht skeptisch, sondern ich denke, dass das nicht dazu kommen soll, dass einzelne Mitglieder sich darstellen, sondern dass wir gemeinsam in dieser Frage nach vorne schauen.

Wie können wir die Wir-und-ihr Diskurse zum Beispiel verändern? Wie kommen wir zu einem Wir-Menschen-in-Deutschland? Das muss die Aufgabe sein, und nicht, wer dann was sagt, sondern das Gesamte: Dass wir mal einen neuen Diskurs bekommen in Deutschland. Das, denke ich mal, ist viel wichtiger. Ich denke, wir können das schaffen, wenn alle sich da persönlich ein bisschen zurückstellen, und dann geht das auch.

Hattinger: Inhaltlich, Herr Kolat, soll es vor allem um Spracherwerb, Bildung und Arbeitsmarkt gehen – sind das tatsächlich die wichtigsten Bausteine im Augenblick?

Kolat: Natürlich, wir haben ja noch nicht darüber gesprochen, um welche Themen es gehen soll. Wir werden auch von unserer Seite Vorschläge machen, zum Beispiel mehr Partizipation, wie können wir mehr Partizipation, mehr Teilhabe schaffen in Institutionen, in gesellschaftlichen Bereichen. Das ist sehr, sehr wichtig. Und zweitens möchte ich gerne zum Beispiel die Diskussion über den Begriff Deutsch reinbringen, wie können wir den Begriff Deutsch so einbringen, dass das von allen Menschen in Deutschland als der Begriff verstanden wird, also eine neue Diskussion, eine Diskussion über Deutschsein. Was ist deutsch, was ist deutsch-türkisch, was ist nicht deutsch, also all diese Begrifflichkeiten möchte ich gerne auch dort diskutieren.

Ich möchte auch über den Begriff Integration diskutieren, den ich abschaffen will. Natürlich heißt der Beirat so, aber ich denke, wir müssen darüber diskutieren. Denn dieser unbestimmte Begriff, sagt ja sozusagen erst den Migrantinnen und Migranten, ihr müsst euch einbringen. Sondern mit dem neuen Begriff Teilhabe, Partizipation möchte ich sagen, dass beide Seiten eine Bringschuld haben, und das, denke ich mal, ist wichtig, dass wir darüber auch dort sprechen.

Hattinger: Das war Kenan Kolat, er ist Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Mit ihm sprachen wir über den Bundesbeirat für Integration, der sich heute konstituiert. Herr Kolat, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Kolat: Bitte schön, gerne!

Links bei dradio.de:
"Wie lang ist man eigentlich Migrant?" - Integrationsbeauftragte Maria Böhmer erklärt den Bundesbeirat für Migration (DLF)
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