Körperkunst und Wiener Aktionismus

Von Alice Koegel · 06.03.2009
Halbnackte Künstler, die einen Hörsaal stürmen und dort in aller Öffentlichkeit all das taten, wofür man sonst das sogenannte stille Örtchen aufsucht, waren 1968 noch eine echte Provokation und die Geburtsstunde des Wiener Aktionismus. Heute zählt er zu den wichtigsten Beiträgen Österreichs zur Entwicklung der internationalen Avantgarde.
Ein riesiges Gemälde hängt an der hinteren Wand der Ausstellung, mehrere Meter breit, eine Art Triptychon von Hermann Nitsch. Auf den ersten Blick eine abstrakte Komposition, aber schon der Begriff "Komposition" wäre falsch. Schüttbilder nannte Nitsch solche Arbeiten und griff damit exakt den Herstellungsprozess auf: Denn er schüttete erst die Farbe auf die Leinwand, ließ sie verlaufen - und verteilte sie dann erst mit seinen Händen, seinen Händen wohlgemerkt, nicht mit Pinseln, und dieser Körpereinsatz konnte gelegentlich in einem dicken Handabdruck gewissermaßen als Signatur enden. So wird, was wie ein abstraktes Bild wirkt, zu einem geronnenen Resultat einer Aktion, bei der vor allem eines im Vordergrund stand, so Alice Koegel, die Kuratorin dieser Ausstellung: der eigene Körper.

"Die Künstler haben ihren eigenen Körper als Material und als Medium eingesetzt. Brus und Nitsch haben das sicherlich sehr exzessiv getan, Schwarzkogler hat oft mit Modellen gearbeitet, und Mühl war im Grunde genommen mehr der Regisseur als der Agierende."

Günter Brus suhlte sich in nasser Farbe und bemalte so den Körper und Boden und Wände des Raums. Fotos zeigen diese Aktion, und Hermann Nitsch nahm eigenhändig ein Lamm auseinander, bis er am Ende von Eingeweiden bedeckt erschöpft dalag. Farbfotos zeigen: Es muss gespritzt haben, vor allem aber auch gerochen.

"Es war sicherlich ein Aspekt der Aktion der Wiener Aktionisten, dass sie alle Sinne angesprochen haben, nicht nur das, was wir heute nur noch durch das Schauen rezipieren können, sondern es gab extreme Gerüche, Farbe spritzte und im Grunde wurden alle Sinne angesprochen."

Hinter alldem steckte natürlich auch die Lust an Provokation, am Tabubruch. Schließlich war die österreichische Gesellschaft vor 50 Jahren, als diese Künstler auf den Plan traten, noch konservativer als die bundesrepublikanische.

"Es ging wirklich um den Tabubruch in alle Richtungen und gegen das klinische Körperbild; beispielsweise bei Mühl war es definitiv ein Angriff auf das Menschenbild, das auf Seife und Intimspray beruht."

Die Sprengung aller Grenzen zielt vor allem auf die Kunst. Nichts war mehr heilig, vor allem gab es keine Restriktionen durch moralische Tabus: Rudolf Schwarzkogler ließ auf Fotos Symbole für Kastrationsängste, aber auch Symbole aus dem Christentum arrangieren. Ein ausgenommener Fisch auf das männliche Glied gelegt, dann immer wieder Rasierklingen darauf oder daneben. Und Schwarzkogler machte so auch deutlich, dass diese Wiener Aktionisten nicht immer nur Aktionen für Publikum inszenierten.

Seine Fotoserien waren genau komponiert und geplant. Das waren die Aktionen der anderen allerdings auch. Man glaubt nur, hier sei reine Anarchie am Werk gewesen, pure Spontaneität. Die gab es sicher auch, aber in Vitrinen zeigt Alice Keogel, wie minutiös diese Aktionen geplant waren, fast hat man den Eindruck, diese Künstler, die so berserkerhaft ans Werk zu gehen schienen, hätten nichts dem Zufall überlassen, so zufällig das Resultat dann auch ausgesehen haben mochte.

"Es gab Einladungen an die Autofahrer, dass sie ihre Autos doch bitte woanders parken mögen, um Platz für die Aktionen zu haben, man sieht anhand der Einladungen, wann zu welchem, Zeitpunkt welche Aktion passieren sollte, dass es da eine gewisse Dramaturgie gab."

Diese Vitrinen übrigens rechtfertigen eine solche Ausstellung, denn natürlich kann man Aktionen nicht im Museum nachstellen. Hier muss man sich auf ein paar Filme und Fotos beschränken, die ganzen Vorstudien aber können dem Besucher einer solchen Ausstellung Zusammenhänge und Hintergründe eröffnen, die dem Betrachter einer Aktion damals so klar nicht vor Augen gestanden haben dürften. So gelingt es der Ausstellung, deutlich zu machen, dass sich hinter dem Schlagwort "Wiener Aktionismus" eine Vielzahl unterschiedlicher künstlerischer Mentalitäten verbirgt - und dass diese Aktionen, so kurzlebig für den Moment sie auch nur gedacht waren, eine erstaunliche Wirkung ausübten.

"Aktionismus, egal ob man ins Fernsehen guckt, in die Medien oder in sein Umfeld, findet sicherlich an viel mehr Orten statt, als man das vielleicht denkt: Was ist für uns alles schon natürlich geworden, was zur Zeit des Wiener Aktionismus undenkbar war, dass es öffentlich ausgestrahlt werden könnte; wer regt sich heute noch darüber auf, wenn in einem Hörsaal uriniert wird, würde uns das heute in gleicher Weise provozieren. Insofern hat der Wiener Aktionismus sehr viel bewirkt und auch nachfolgende Generationen durchaus geprägt und beeinflusst, die sicherlich ohne Aktionismus etwas andere Biographien hätten."