"Körper des Königs" von Pierre Michon

Botschaften eines fantastischen Poeten

Der französische Schriftsteller Pierre Michon, aufgenommen am 29.10.2009 in Paris
Der französische Schriftsteller Pierre Michon © AFP / Francois Guillot
Von Helmut Böttiger · 02.06.2015
Rätselhaft schillernde Texte: Sie kreisen um Literaturikonen wie Faulkner, Flaubert oder Beckett - und um die Suche nach deren Spur im Leben des Autors selbst. Fünf Essays des Franzosen Pierre Michon sind im Band "Körper des Königs" jetzt auf Deutsch erschienen.
Pierre Michon ist in Deutschland immer noch ein eher unbekannter Autor. In Frankreich hat er es allerdings inzwischen zu einer Berühmtheit gebracht, die mit derjenigen Peter Handkes hierzulande vergleichbar wäre. Es gibt von ihm nur einige kleine, schmale Bücher, hochkonzentrierte Texte, in denen die Sprache innerlich zu vibrieren scheint.
Seine Region am Rande des Zentralmassivs – er wurde 1945 in Les Cards geboren – wird in Michons Texten zu einer mythischen Landschaft mit mythischen Menschen, ungefähr so wie die Zone in den amerikanischen Südstaaten, in der William Faulkner seine Prosa angesiedelt hat und zum fiktiven Yoknapatawpha County erhob.
Essays über Faulkner, Flaubert und Beckett
Um William Faulkner kreist auch einer der fünf Essays in Michons jetzt auf Deutsch publiziertem Bändchen, das im Original 2002 erschienen ist. Neben Faulkner widmet er sich mit Flaubert einer weiteren Bezugsgröße – der existenzielle Ernst, mit dem die Literatur den Menschen in Beschlag nimmt, wird hier ironisch beglaubigt.
Der sehr kurze, titelgebende Essay aber dreht sich um Samuel Beckett, genauer: um ein Fotoporträt Becketts aus dem Herbst 1961. Es zeigt den längst hochberühmten Dichter zum einen schon als Klassiker, als den "König", der er nun war, zum anderen aber auch mit seinem "zweiten, sterblichen, funktionalen, relativen Körper". Der "ästhetisierende Fotograf" Lütfi Özkök hat es geschafft, diese zwei Körper gleichzeitig festzuhalten, und Beckett, so insinuiert Michon, weiß das in diesem Moment und denkt sich: "Ich bin der Text, warum soll ich nicht die Ikone sein?"
Auch im Faulkner-Essay ist eine Fotografie der Ausgangspunkt, jenes "mythologische Porträt" aus dem Jahr 1931, das ebenfalls zwei Gestalten dieses Dichters gleichzeitig zum Ausdruck bringt: "dieses frontale, massige und rückhaltlose Sichtbarwerden des Künstlers als junger Tunichtgut, als junger Imperator, als junger Farmer". Michon beschreibt exakt den Augenblick, der den Fotografen den Auslöser drücken ließ, eine unmerkliche Veränderung in Faulkners Blick nämlich. Der Schriftsteller habe in diesem Moment "den Elefanten" gesehen, und dieser Elefant wird für Michon zu einem großen Symbol für die Literatur selbst: Es hat seinen Ursprung in der "Herkunft", jener "übertriebenen und schuldhaften Herkunft, die Faulkner den Süden nennt."
Autobiografisches zum Abschluss
Eine kleine Arabeske widmet sich außerdem Ibn Mangli, der um 1370 in Kairo einen Satz über den Jagdtrieb des Falken schrieb, den Michon auf den Schreiber selbst anwendet, in der Vorahnung des eigenen Todes. Und am Schluss stehen autobiografische Reminiszenzen, das längste Stück des Bandes, das aber gleichfalls sehr verdichtet ist. Hier folgt Michon der Spur seiner vorangegangenen Essays und sucht sie in seinem eigenen Leben: Gibt es Situationen, in denen das gedoppelte Ich eins wird? Michon beginnt beim Gebet, bei dem dies möglich scheint, endet aber bei Literatur und reichlich Alkohol.
Es sind rätselhaft schillernde Texte, die alle um die Möglichkeit der Literatur kreisen, die eigenen Grenzen aufzuheben – im paradoxen Wissen, dass dies nie möglich sein wird. Gerade dadurch aber setzt sie etwas Anderes frei. Michon weiß um die Kräfte, mit denen die Literatur das Leben in Bann hält.
Ein fantastischer Autor. Selbst in seinen Essays stecken alle geheimen Botschaften der Poesie.

Pierre Michon: Körper des Königs
Aus dem Französischen von Anne Weber
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
101 Seiten, 17,95 Euro

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