"König von Deutschland"

Gesehen von Hans-Ulrich Pönack · 04.09.2013
Thomas Müller (Olli Dittrich) ist der absolute Norm-Deutsche, ein echter Herr Mustermann. Eigentlich "todlangweilig", wie sein Sohn findet, aber weil er so stinknormal ist, auf einmal im Visier von Marktforschungsunternehmen, die ihn rund um die Uhr ausspionieren.
Papa Helmut Dietl, 69, schwächelt ja seit geraumer Zeit filmisch, konnte mit seiner Komödie "Vom Suchen und Finden der Liebe" (2005) und zuletzt mit der Polit-Satire "Zettl" (2012) wenig punkten, bleibt aber dank der besten deutschen TV-Serie aller Zeiten "Kir Royal" (1986) und mit seinen Kinofilmen "Schtonk!" (1992) und "Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief" (1997) unübertroffen. Sohn David, 1979 in Los Angeles geboren, seit 1989 in München lebend, tritt mit dem Abschlussfilm seines Regie-Studiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin offenbar in seine Fußstapfen.

Er heißt Thomas Müller, ist 46 Jahre alt und stammt aus Normsen. Klingt nach Norm und trifft den inhaltlichen wie gedanklichen Faden. Thomas Müller ist brutalster deutscher Durchschnitt. Die definitive Mitte vom Maß. Nichts an ihm stinkt nach etwas Besonderem. Eine graue Mensch-Maus als grauer Angestellter. Der zwischen Schrankwand, Ledergarnitur und Großbildfernseher mit seiner Lehrer-Gattin Sabine (fein diszipliniert: Veronica Ferres) lebt.

Man redet etwa eine Viertelstunde pro Tag, dafür sitzt er bis zu vier Stunden abends vor dem Bildschirm (Lieblingsratesendung: "König von Deutschland"). Pünktlich um 6.18 Uhr klingelt früh der Wecker. Im Bad benötigt er knapp 24 Minuten, isst am Liebsten Schnitzel mit Kartoffelsalat, fährt einen VW. Ein deutscher Herr Mustermann.

Der hofierte Durchschnittsmensch
"Er ist todlangweilig und stinknormal", urteilt Sohn Alexander. Was also ist an diesem Trockenbruder Thomas Müller dran, dass "man" sich plötzlich "groß" für ihn interessiert? Das heißt - erst wird er aus seinem Job geschmissen, dann lernt er den charismatischen Herrn Schmidt kennen. Thomas Schmidt (Wanja Mues als präziser faustischer Verführer,der ihm sogleich einen neuen lukrativen Job bei einem aufstrebenden Industriedienstleistungsunternehmen ("Industries Limited") vermittelt, wo dieser Durchschnittsmensch erstaunlich hofiert wird.

Mit neuer Brille ("Du siehst aus wie Honecker", meint allerdings sein Vater) und neuen Rauchmeldern in der Wohnung, sowie mit der guten Aussicht, sich doch nun das Eigenheim auf der Vorortwiese demnächst leisten zu können.

Natürlich stimmt hier 'was nicht. Thomas Müller ist ein Auserwählter. Man hat gerade ihn bewusst "entdeckt" und kräftig manipuliert. Denn er ist das ideale Wesen für die Marktforschung. Klar, sein Denken, Handeln, seine Bewegungen und Bemerkungen sind das Nonplusultra für den deutschen Massengeschmack. Im Konsum ebenso wie im "Politischen"- für die nächsten Wahlen zum Beispiel. Also wurde und wird dieser Thomas Müller rund um die Uhr "abgeklopft", beobachtet, analysiert, befragt. Bis er das - endlich - schnallt und gemeinsam mit seinem Sohn und dessen Freundin zurückschlägt. Während seine Gattin ("Ich liebe Fußbodenheizung") ihn längst schon "veräußert" hat und mit "Denen" kooperiert.

David Dietl liefert keine deutsche "Truman Show" ab, sondern lässt unterhaltsame Gedanken und Figuren auf kecker Flamme los mit überschaubarer, deutlicher, aber stets kitzliger Breitseite. "Thomas Müller sind inzwischen" -klar- "wir alle!" raunen die satirischen, zynischen Bilder und Motive, die dadurch stark wirken, weil an der Rampe ein brillanter Könner stimmungsvoll prächtig mimt: Olli Dittrich.

Der jugendlich wirkende 56-jährige Offenbacher, der grandiose "Dittsche" aus dem Fernsehen, zum Beispiel, ist ein Multi-Talent, ein intelligenter Spaßverbreiter ("Der WiXXer"). Und er taucht hier in (s)eine Paradefigur ein: in den gewöhnlichen, "lieblichen" Deutschtümmler, ohne diesen lächerlich zu machen, zu denunzieren. In seiner fulminanten Körpersprache schafft dabei der Familien-"Dittsche" diese Type faszinierend ran. Nah. Authentisch.

Was haben wir hierzulande nur für wunderbare Schauspielertalente, doch wenn sie nicht das Glück haben, einem Quentin Tarantino zufällig zu begegnen, dann "versenden" sie sich zu oft und zu viel. Ein Olli Dittrich gehört einfach mehr und öfter auf die Kinoleinwand. Er packt es, dass man gebannt ist. Von seinem Thomas-Wir-Müller.

David Dietl hat mit "König von Deutschland" einen hoffnungsvollen, bravourösen Starkinofilm hingekriegt.


"König von Deutschland"
Deutschland 2012 - Regie: David Dietl, Darsteller: Olli Dittrich, Veronica Ferres, Wanja Mues, Katrin Bauerfeind; Kamera: Felix Novo de Oliveira; Musik: Francesco Wilking, Patrick Reising; 97 Minuten, FSK ab 0 freigegeben


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