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Zum Tod von Leonard Cohen
Ein Gebet in Zartbitter

"Hallelujah" von Leonard Cohen ist nicht nur ein musikalisches Meisterwerk, das Stück hat auch eine erstaunliche Geschichte. Der Song wurde erst von Cohens damaliger Plattenfirma verschmäht und brauchte dann Jahre, um zu der Pop-Hymne zu reifen, die es heute ist - eine Gemütsdusche für besondere Anlässe.

Von Jürgen Kalwa | 12.11.2016
    Leonard Cohen trägt ein helles Hemd, darüber eine dunkle Weste, außerdem einen Hut und schaut in die Kamera.
    Leonard Cohen bei einem Auftritt in Nimes (Frankreich) im Jahr 2009 (picture alliance /dpa /EPA /Yoan Valat)
    Es ist das Jahr 1984. Die Zeit, in dem der Poet und Songwriter Leonard Cohen nach Möglichkeiten sucht, sich musikalisch weiterzuentwickeln. Und das in einer Klangwelt, die von Drum Computern und Synthesizern dominiert wird. Damals sitzt Cohen bereits geschlagene drei Jahre an einem Lied, für das er am Ende insgesamt 80 Verse schreibt. Die Zeilen füllen zwei Notizbücher. Eine Baustelle.
    Trotzdem geht er in diesem Sommer in New York ins Studio und nimmt den Song auf.
    Das Lied beginnt so: "Ich habe gehört, es gibt einen geheimen Akkord, den David gespielt hat. Und er hat dem Herrgott gefallen. Aber Du interessierst dich nicht wirklich für Musik, oder?"
    Lange Entwicklungsphase
    Die Frage geht an alle Zuhörer. Aber die erste Antwort kommt vom Chef von Leonard Cohens damaliger Plattenfirma Columbia Records. Columbia weigert sich, "Hallelujah" und das dazugehörige Album "Various Positions" zu veröffentlichen. Eine kreative Koryphäe im Mahlwerk der Plattenindustrie. Das Album erscheint erst ein Jahr später auf einem anderen, kleinen Label quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
    Wunder dauern manchmal etwas länger. In diesem Fall vergehen Jahre. Jahre, in denen das Stück die Entwicklungsphasen eines Schmetterlings erlebt. Larve, Puppe und dann die volle Entfaltung. "Hallelujah" ist heute einer der am häufigsten aufgenommenen Songs in der Geschichte der Pop-Musik. Gemütsdusche für traurige Szenen in Fernsehserien und Kinofilmen. Paradenummer für stimmstarke Kandidaten in Casting-Shows. Eine Musik, die sowohl bei Hochzeiten als auch bei Beerdigungen gespielt wird. Universale Magie in C-Dur.
    Wie es dazu kam, ist eine faszinierende Geschichte. Recherchiert hat sie der New Yorker Musikkritiker Alan Light und in dem Buch "The Holy Or the Broken" aufgeschrieben.
    "Bob Dylan hat es als erster entdeckt und gespielt. Mitte der Achtzigerjahre. Niemand hatte auch nur eine Idee von diesem Lied. Das macht dich eben zu Bob Dylan. Du schaust dir an, was es gibt, und sagst: 'Das da, das ist ein interessanter Song.' 15 Jahre, bevor alle anderen Leute nachziehen. Eine faszinierende Fußnote zu dieser Geschichte."
    Meisterwerk aus wenigen musikalischen Bausteinen
    Der nächste, der das Lied für sich entdeckte, war John Cale. Vielen bekannt als Mitglied der Band Velvet Underground. Seine Fassung erscheint 1991 auf dem Tribute-Album "I'm Your Fan", mit dem 18 Künstler Cohen ihre Reverenz erwiesen.
    Aber auch diese Version schlummert lange vor sich hin. Zehn Jahre lang. Bis 2001, 17 Jahre nach dem Entstehen, als die Regisseure des computeranimierten Kinderfilms "Shrek – der tollkühne Held" den Song entdecken. Alan Light:
    "Einer der unwahrscheinlichsten Einsatzorte aller Zeiten: der entscheidende emotionale Moment im Film. Der Regisseur von 'Shrek' hat gesagt: Es ist für diese Szene das passende Gefühl. Man muss sich einfach von der Idee trennen, das ist Leonard Cohen und also nichts für Kinder. Denn jeder reagierte. Die Kinder. Die Eltern. Warum? Weil es funktioniert."
    Reden wir über das Lied. Es ist ein Meisterwerk aus wenigen musikalischen Bausteinen. Was die Komposition so erhaben macht, ist deren Spannung im Verhältnis zur Melodie im Anstieg zum Refrain. Eine Akkordfolge, von der Cohen in der ersten Strophe sogar spricht. "The fourth, the fifth. The minor fall, the major lift". Das sind – in der Sprache der Musik – die Schritte von der Tonika über die Subdominante zur Dominante, der Fall ins Moll und der Aufstieg erneut ins Dur.
    Bei den Coverversionen gehen die Meinungen auseinander
    So klingt das Lied übrigens in der Fassung von Jon Bon Jovi, einem Pop-Rocksänger auf dem schmalen Grat zwischen Kraft und Kitsch. Wie der das Lied interpretiert – da gehen die Meinungen übrigens auseinander. Alan Light:
    "Bei Leonards Fans gilt Bon Jovis Version als die unpopulärste. Leonards Favoriten hingegen sind die von K. D. Lang und die von Bon Jovi."
    Die Wertschätzung von K. D. Langs Fassung kann man durchaus nachvollziehen. Sie hat aus dem herben Stück verworrener Weisheit eine besondere Facette herausgeschält. Bei ihr wird das Lied zum Triumphgesang. "Und auch wenn alles falsch gelaufen ist, stehe ich vor dem Herrn des Liedes. Mit nichts auf meiner Zunge als Halleluja."
    Und was ist mit Leonard Cohen? Diese Aufnahme entstand in London 2008.
    Cohen hat sich nur selten zum Phänomen "Hallelujah" geäußert. Auch nicht gegenüber Alan Light, der für sein Buch nahezu alle berühmten Interpreten interviewt hat. Irgendwie scheint das kein Verlust, denn die besondere Ausstrahlung seiner Komposition vermag der alte Herr ohnehin nicht zu erklären:
    "Man versucht jedes Mal, einen guten Song zu schreiben und alles hineinzulegen, was man hat, hat er mal dem kanadischen Fernsehen gesagt. Aber man kann nicht bestimmen, was daraus wird."
    Nein. Nicht, wenn es gut ist. Richtig gut ist.