Koblenz

Ein verhinderter Behindertenbeauftragter

Hinweis-Schild für Menschen mit Behinderung
Bekommt Koblenz einen neuen Behindertenbeauftragten? © dpa / picture alliance / Fredrik Von Erichsen
Von Anke Petermann · 04.03.2015
Wenn in rund zwei Wochen der Koblenzer Stadtrat tagt, wird Christian Bayerlein als ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter wohl nicht wiedergewählt. Der 39-jährige Informatiker galt eigentlich als gesetzt - bis bekannt wurde, dass er offen über seine Sexualität als Behinderter spricht.
Warum genau die Koblenzer CDU-Fraktion vor der erneuten Kandidatur des bis dahin unumstrittenen Behindertenbeauftragten plötzlich internen Beratungsbedarf sah, ist dem sozialpolitischen Sprecher Stephan Otto im Lauf eines langen Gesprächs nicht zu entlocken. Er spricht vage von "Fragestellungen" in Bezug auf Christian Bayerlein.
"Was hat er denn letztendlich geleistet in seiner Amtszeit, was war der Kern seiner Aufgabenwahrnehmung, hat er sich so letztendlich in seiner Aufgabenwahrnehmung auch so dargestellt, ist es rübergekommen, ist er für uns möglicherweise der geeignete Kandidat, ja oder nein."
Nein, heißt jetzt wohl die Antwort im Koblenzer Stadtrat, nicht nur bei der CDU. Niemand spricht es öffentlich aus, aber die Bekenntnisse Christian Bayerleins in der Berliner taz gaben wohl den Ausschlag dafür, dass er den Rückhalt verlor. Sogenannte Sexualbegleitung sei teuer und zu wenig spontan, offenbarte Bayerlein in dem Interview. In sozialen Netzwerken habe er unter anderem eine Beziehung mit einer sado-masochistischen Komponente geknüpft.
Er kenne Menschen, die es erregend finden, jemanden zu füttern oder zu halten, der das selbst nicht kann. Behinderung als Fetisch - kein Problem für Bayerlein. Aber wohl für manches Stadtratsmitglied. Christian Bayerlein selbst geht gelassen damit um, dass seine Amtszeit vermutlich bald ausläuft, auch wenn seine Parteifreunde von den Grünen ihn unterstützen.
"Also ich empfind' das weniger als Abstrafung als als Reflexhandlung, nach dem Motto, der Bayerlein ist ein Politiker, hat ein öffentliches Mandat, und so zeigt man sich nicht als Politiker - als Reflex sozusagen. Natürlich ist sehr schade, dass der Posten oder das Amt des Behindertenbeauftragten damit so reingezogen wird, und natürlich würde ich mir wünschen, weitermachen zu können, denn für die Stadt Koblenz ist es sehr wichtig, dass ein engagierter, auch manchmal provokanter Mensch Behindertenbeauftragter ist, um Dinge voranbringen zu können."
"Seine Sache hat er sehr gut gemacht"
Doch positiv sei, dass das Thema selbstbestimmter Sexualität inzwischen überregional Aufmerksamkeit errege, das könne Menschen mit Handicap Mut machen. Und genau das hatte Bayerlein mit seiner Provokation beabsichtigt.
Olga Dolgich leitet für den Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter die Kontaktstelle Koblenz. Die junge Frau leidet wie Bayerlein an Muskelschwund und sitzt im Elektrorollstuhl. Sie steht hinter dem Behindertenbeauftragten.
//"Er wollte einfach zeigen, dass auch behinderte Menschen ganz normale sexuelle Wünsche haben und ein Sexualleben haben. Also, auf jeden Fall sollte er Behindertenbeauftragter bleiben.
Seine Sache hat er sehr gut gemacht, denn er kennt unsere Probleme, er kennt es nicht vom Hören, sondern durchlebt es jeden Tag und kämpft mit diesen Problemen, deswegen finde ich, dass er auf dem richtigen Platz ist."//
Bayerlein wirkte maßgeblich daran mit, die Koblenzer Bundesgartenschau 2011 und den Zentralplatz barrierefrei zu gestalten. Daran erinnert Achim Klein, Geschäftsführer von pro familia in Koblenz, und plädiert für Differenzierung.
"Der Behindertenbeauftragte tritt ein für die Rechte und für die Entwicklung von Strukturen und Prozessen für Menschen mit Behinderung, und diese Aufgabe erledigt Herr Bayerlein ohne Kritik. Wenn er in seiner Person kritisiert wird, weil er sich auf halb öffentlichen Netzwerken wie Facebook oder in überregionalen Zeitungen äußert zu seiner Sexualität, dann finde ich, ist das seine persönliche Sache, die nicht moniert werden muss."
Im Gegenteil, der gezielte Tabubruch könne Entwicklungen anstoßen in einer Gesellschaft, in der es immer mehr sexuelle Freizügigkeit gebe, eben nur nicht für Behinderte. Pro familia schätzt Bayerleins Mitarbeit im Vorstand, aktiv ist er auch bei der Aktion Mensch.
Was die Stadt Koblenz mit einem neuen Behindertenbeauftragten gewinnt, bleibt ungewiss. Was sie verliert, wenn sie Bayerlein abwählt, ist klar: einen, der das Amt gut vernetzt, politisch und provokant ausführt und als Informatiker stets ermutigt, Einschränkungen mit Hilfe elektronischer Kommunikation auszugleichen. Einen der in Erinnerung ruft, dass auch Menschen mit Behinderung das Recht auf ein Sexualleben haben. Auch wenn die Gesellschaft das gern verdrängen würde.
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