Knisterndes Klebeband ist Musik in seinen Ohren

Von Hartwig Tegeler · 03.10.2012
Seit Jahren stecken die Mitglieder von "L'art pour l'art" viel Arbeit und Enthusiasmus in die Ausbildung junger Musiker und Komponisten. Jonathan Mummert ist eines dieser Nachwuchstalente.
Auch wenn es schon Mitte der Woche ist und Jonathans Stück "Lichtinseln" am Wochenende aufgeführt wird …

Jonathan Mummert: "Es geht darin um Feuer."

... begeben sich der Komponist und sein Lehrer Matthias Kaul noch gelassen auf Klangsuche: "Das ... – Ja!"

Am Anfang stand für alle elf jungen Komponisten der Klasse ein Jahres-Thema: "Schüsseln, eiern, flutschen. Alles eine Frage des Rhythmus." Und das Komponieren geht dann wie?

Mattias Kaul: "Ja, wie man komponiert, ist relativ leicht zu erklären, oder? Wenn die Idee da ist?"

Der musikalische Laie kratzt sich bei diesem Thema etwas verwundert am Kopf.

Jonathan Mummert: "Man hat eine Idee und setzt die um."

Jungkomponist Jonathan Mummert jedenfalls, 14 Jahre alt, groß, schlank, häufig ein schalkhaftes Grinsen im Gesicht, entwickelte – ausgehend vom Thema – seine Idee zu "Lichtinseln" in enger Anlehnung an den Begriff Rhythmus. Irgendwann war auch das Feuer da – im Kopf, in der Fantasie, im kreativen Prozess.

Jonathan Mummert: "Und weil es im Feuer Rhythmen gibt, so flackernde Rhythmen, haben wir im Flügel flackernde Rhythmen-Klänge gesucht. Weil man sagen kann, dass jede Bewegung eigentlich einen Rhythmus hat oder ist."

Warum es jetzt um Klebeband geht, wird man rational kaum begründen können. Was ja das Gute an Kunst ist.

Um den Flügel herum im ersten Stock des alten Forsthauses in Winsen/Luhe stehen Pianist Hartmut Leistritz sowie Matthias Kaul und Astrid Schmeling, Leiter der Kompositionsklasse (bei "Lichtinseln" auch Mitspieler), und der Komponist Jonathan. Kleb's nicht dahin, wo du dich wieder verhedderst, meint Astrid Schmeling. Es geht ums Klebeband.

Jonathan Mummert: "Da habe ich mich nicht verheddert, da war das nur so komisch, weil das das Doppelseitige war."

Die Philosophie des Klebebandes an der richtigen Stelle zielt hier nicht auf Kabelfixierung wie sonst auf der Bühne üblich, sondern auf den richtigen Klang. Sorgfältig klebt Jonathan das Tape über die Streben des Metallrahmens im Flügel ...

"Beim Abziehen, dann knistert das so oder gibt dann so ein Klebeband-Abziehgeräusch."

Was jetzt stattfindet, ist keine Improvisation…

"Höchstens, wenn's da steht."

... sondern die Musiker halten sich strikt an Jonathans Partitur. Fragen entstehen trotzdem immer wieder.

Astrid Schmeling/Jonathan Mummert: "Wie war das? Freie Bewegungsarten und gezwungene Bewegungsarten. Das spielt keine Rolle dann? – Hier steht 'unter Spannung stehendes Knistern' halt. Und wenn man das abzieht, das steht ja unter Spannung."

Dass aus Klebeband-Abziehen Musik werden kann, ist jetzt zweifelsfrei zu hören.

Jonathan Mummert: "Was ich immer so zum Einspielen mache ..."

Das Zimmer von Jonathan in der Wohnung seiner Mutter in einer Seitenstraße in Winsen, bestückt mit Bett, Schreibtisch, Stuhl, Posaune, Gitarre, Klavier. Mit vier fing Jonathan an, Klavier zu spielen, mit sechs zu komponieren – so, wie seine beiden älteren Geschwister vor Jahren, so wie jetzt seine achtjährige Schwester, die jetzt mit ihm zusammen in der Kompositionsklasse ist. Damals, als er begann, wohnte Jonathan noch mit seinem Vater, Gitarrist beim Ensemble "L'art pour l'art", im Forsthaus.

"Ich habe damit, glaube ich, nur angefangen, weil ... ich weiß das nicht mehr, das ist ja ewig her ... Ich glaube, Mama und Papa haben mich gefragt, ob ich das machen will, habe ich einfach ja gesagt."

Welche Musik er sonst gerne hört – außer der, die er selbst schreibt: Wise Guys, und Nina Hagen und alles…

" … alles eigentlich, außer dieses Mainstream-Pop-Zeug und so, das finde ich langweilig.""

Dass in der Schule wenige seiner Kumpel dafür Verständnis haben ...

"… ist halt so, wenn man so was macht, dass das dann so ist."

Wobei neben dem Avantgardistischen als Fingerübung mitunter auch mal ein Schlager entstehen kann. Achtung: hier – wahrscheinlich – die öffentliche Welturaufführung von "Der Hänger der Nation".

Ein junger Musiker und Komponist, übt der viel?

"Muss ich das sagen?"

Natürlich, muss er nicht, ist aber zu diesem Statement zu überreden: "Sagen wir mal so: Ich könnte mehr üben, wenn ich wollte."

Ist er verbissen? "Ja, ich glaub nicht."

Diszipliniert? "Wenn ich den Tisch abdecken muss, dann wahrscheinlich nicht so."

Komponieren fällt leichter als Hausarbeit? "Kann man so sagen."

Wer hätte anderes erwartet. Die Ideen für ein Stück, meint Jonathan, kommen allerdings nicht auf Abruf:

"Es kann auch passieren, dass es so in meinem Unterbewusstsein ist, und ping, ist mitten in Mathe 'ne Idee. Vielleicht nehme ich mir auch irgendwann mal meine Posaune und probiere aus. Das Ausprobieren ist eigentlich immer der beste Weg, glaube ich."

Zurück im Forsthaus. Mattias Kaul/Jonathan Mummert:

"Was ist der Unterschied zwischen diesem ... [Streichgeräusch] ... und deinem?"

Einzelunterricht bei Mattias Kaul. Wie jede Woche eine Stunde. Ein kleiner Raum, auf dem Tisch stapeln sich Notenblätter. Jonathan soll heute das Stück vom letzten Jahr genauer in der Partitur notieren. Aber zum Glück liegt da zufällig unter den Stapeln mit diesen kryptischen Zeichen eine ungefähr 50 Zentimeter lange armdicke Pappröhre; so ein Ding, mit dem Bilder verschickt werden. Während Matthias Kaul etwas erklärt, fängt Jonathan an, der Rolle Rhythmen zu entlocken. Kaul schaut genüsslich grinsend zu, wie sich der Kompositionsunterricht anhand der schnöden Papprolle in eine musikalische Materialuntersuchung wandelt.

Die Musik der jungen Komponisten im Umfeld von L'art pour l'art entsteht aus dem Lebensalltag. Sie ist nicht massenkompatibel, aber ebenso wenig abgehoben, sondern spannend, überraschend. Pure Kreativität.

Jetzt also haben Jonathan und seine Kompositions-Mitstreiter mit der CD "Haltbar gemacht" den Klassik Echo 2012 gewonnen. Wie er das findet? Klar, sagt der 14-jährige Komponist ...

"... is halt cool, nä!"