Kloster Ettal

Keine neuen Fünftklässler im Internat

Das Kloster Ettal ist eine Benediktinerabtei im Dorf Ettal in Oberbayern.
Das Kloster Ettal ist eine Benediktinerabtei im Dorf Ettal in Oberbayern. © picture-alliance / dpa
Von Susanne Lettenbauer · 26.09.2014
Sexuelle Übergriffe, Gewalt, Demütigungen: Die 2013 veröffentlichte Studie hatte es in sich. Das Kloster Ettal war für viele Internatskinder ein schrecklicher Ort – der jetzt mit sinkenden Anmeldungen kämpft.
Majestätisch wie seit 1330 thront das Kloster Ettal über dem Graswangtal in der Nähe von Oberammergau. Die nächstgrößere Stadt ist Garmisch-Partenkirchen, mit dem Bus gut 20 Minuten bis dorthin. Die Jugenddisco ist in Oberammergau, gut zehn Busminuten entfernt.
Ettal bietet einen Klosterladen, eine Käserei, ein Hotel und Holzschnitzerläden, sonst nur Berge, Wiesen und Wälder. Touristen aus aller Welt bewundern täglich die ungewöhnliche zwölfeckige Klosterkirche. Der Bau strahlt Gelassenheit aus und Souveränität. Vielleicht vertrauen deshalb, seit Gründung 1905, Eltern ihre Kinder der Klosterschule an, einem humanistischen Gymnasium mit neusprachlichem Zweig. Bis 2010.
Ort der Angst und Hilflosigkeit
Vier Jahre später: Die Schritte hallen laut in den gut 250 Jahre alten Klostergängen wider. In den 1950er bis 70er-Jahren wurden hier nachweislich Schüler misshandelt. Was genau ablief hinter den Klostermauern, das wurde seit 2010 in jahrelanger Kleinarbeit recherchiert und 2013 in einer Studie veröffentlicht. Die rund 150 Seiten haben es in sich. Körperliche Misshandlungen, sexuelle Übergriffe, Gewalt und Demütigungen. Das vermeintliche Elitekloster Ettal war für viele Kinder und Jugendliche jahrzehntelang ein Ort der Angst und Hilflosigkeit. Daran lässt die Studie keinen Zweifel. Eine professionelle Pädagogik hätte gefehlt, die Erzieher seien total überfordert gewesen. Dies habe die Misshandlungen im Kloster Ettal ermöglicht.
Davon will Frater Gregor heute nichts mehr wissen. Der Internatsleiter betont, dass sich vieles verändert habe:
"Also wir haben unser Internat und unsere Struktur ja nicht erst geändert in 2010, das ging ja schon viel früher los, dass man mehr auf Teamarbeit achtet und auch personalintensiver arbeitet. Also es ist ja nicht so, es gibt da einen Erzieher und da gibt es einen Präfekten, sondern wir haben immer ein Team."
Mehr Personal in der Betreuung
Gesprächsgruppen mit den Schülern zum Thema Missbrauch, Kurse zur Stärkung des Selbstvertrauens, ein personalintensiver Betreuungsschlüssel von 1:11, verstärkte Teambildung seien heute an der Tagesordnung, so Frater Gregor.
Auch das Privatleben der Mönche wurde neu gestaltet, sagt der frühere Prior Maurus:
"Dass er auch Kontakte und Freundschaften hat zu Menschen außerhalb des Klosters. Das ist wichtig für das seelische Gleichgewicht eines Mönchs, dass es nicht zu Entgleisungen kommt, die missbräuchlich sein könnten."
Die Präventionsmaßnahmen, die seit vier Jahren an der Klosterschule für die knapp 400 Schüler angeboten werden, scheinen dennoch nicht zu überzeugen. Im Schuljahr 2009/2010 habe es noch 13 Fünftklässler unter den fast 100 Internatsbewohnern gegeben, ein Jahr später sieben, im vergangenen Schuljahr waren es fünf und im laufenden Schuljahr 2014/15 sind die Schlafräume der Fünftklässler leer geblieben, bedauert der Internatsleiter:
"Für die Schule selbst und das Tagesheim gibt es sehr wohl Anmeldungen. Da ist der Anmeldebereich so, wie wir es in etwa kennen. Aber für das Vollinternat ... das stimmt uns einerseits schon traurig, aber andererseits das ist eine Tendenz in vielen Häusern, dass einfach in der Unterstufe es weniger Kinder werden. Und ganz menschlich sehe ich es auch, in der fünften Klasse sind die Schüler zehn Jahre alt, da tut man sich schwer zu sagen, ich entscheide mich für ein Internat."
Sinkende Anmeldezahlen
Dass das fehlende Interesse der Eltern direkt mit den Missbrauchsvorwürfen zusammenhängt, könne man so nicht sagen, meint die Klosterleitung. Klosterchef Abt Barnabas sieht im Rückgang der Anmeldezahlen eher einen generellen Trend:
"Wir wissen natürlich, dass wir nicht eine Insel sind, sondern wir leben in dieser deutschen Gesellschaft. Es gibt insgesamt weniger Kinder in unseren Familien, das wissen wir landesweit, dann die Verunsicherung betreffs G-8 und G9 und dann gibt es eine hervorragende Infrastruktur in unserem Land."
Natürlich gehe ihm das Schicksal der betroffenen Schüler nah, so der Abt. Dass sich im vergangenen Jahr einer das Leben nahm, das sei auch die Schuld der Schule. Sein Kloster habe aus den Missbrauchsvorgängen seit den 1950er-Jahren gelernt, rechtzeitig auch nur Andeutungen von Schülern ernst zu nehmen. Das gesamte Konzept der Prävention sei verändert worden, so Abt Barnabas:
"Wir müssen miteinander darüber reden, dass Strukturen, die es gegeben hat, in denen Jugendliche verletzt werden konnten, nicht wieder auftreten können. Prävention darf dabei nicht ein Konzept sein, das einmal kommt und dann bleibt, sondern Prävention ist etwas was fortgeschrieben werden muss. Menschen ändern sich, die Gesellschaft ändert sich und dementsprechend muss die Prävention immer wieder fortgeschrieben werden."
Ein versetzter Pater kam wieder zurück
"Es wurde schon darüber gesprochen, aber man hat versucht, es intern zu regeln, der Pater wurde dann ja auch versetzt und kam dann zurück. Für uns Kinder damals oder Jugendliche war das ein Thema, das natürlich problematisch war, man hat sich aber eher darüber lustig gemacht",
erzählt der ehemalige Ettaler Schüler Thomas Vogler.
Gut 1000 Euro kostet das Klosterinternat heute im Monat. Sechs Tage die Woche, also auch am Samstag im Klassenzimmer sitzen, dazu kommen Studierzeiten, Sonntagsgottesdienst, Musik- und Sportkurse.
Wer tut sich und seinem 10-jährigen Kind das heute noch an, fragt Robert Köhler. Er besuchte neun Jahre lang das Ettaler Internat und gehört zum Vorstand des Vereins Ettaler Missbrauchsopfer:
"Die Personen, die jetzt dort sind, halte ich für sehr integer an dieser Stelle. Und an dieser Stelle hat Abt Barnabas auch viel Mut im Weiteren bewiesen eine ordentliche Aufarbeitung der Historie zu machen."
Eltern nähmen immer häufiger Abstand, ihr Kind schon als 10-Jährige ins Internat zu schicken, weiß auch der Verband der katholischen Internate in Deutschland. Wenn, dann kämen die Schüler ab der siebten oder achten Klasse als Quereinsteiger dazu. Ein deutschlandweiter Trend. Frater Gregor vom Internat Ettal will das Schulkonzept trotzdem nicht ändern. Die Anmeldezahlen werden wieder steigen, ist er überzeugt. Wann genau, werde man sehen.
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