Klingende Kleidung

Von Dirk Asendorpf · 16.08.2006
Diabetikern wird eine vollautomatische Einstellung ihres Insulinhaushalts versprochen, ambulant Operierten eine ferngesteuerte Nachbetreuung und Gelähmten künstlicher Ersatz für Nerven und Muskeln. Pervasive Computing heißt das Zauberwort neuer Kommunikationstechnik ohne Tastatur. Geforscht wird gerade mit Kindern an klingender Kleidung.
Ein Mädchen dreht sich und lässt ihr Ballettkleid fliegen. Das klingt merkwürdig. Denn gut versteckt hängt zwischen den Rüschen ein Beschleunigungssensor. Drahtlos ist er mit einem Computer verbunden, der die Bewegungen in Töne umsetzt. Dreht sich das Mädchen schneller, klingt es lauter und höher.

"Normalerweise arbeite ich mit Kindern zwischen vier und fünf Jahren. Die kommen rein und fangen an zu spielen. Und plötzlich merken sie: Oh, während ich spiele, mache ich diesen Klang."

Die Niederländerin Kristina Andersen hat sich das Spiel mit der klingenden Kleidung ausgedacht. Es macht Spaß, und es öffnet einen Blick in die Zukunft. Während die Kinder spielen, sammelt Andersen Erkenntnisse über die Kommunikation zwischen Mensch und Computer.

"Grundsätzlich interessiert es mich herauszufinden was passiert, wenn man jemandem einen Sensor gibt, der nicht weiß, wie ein Sensor funktioniert. Die Kinder haben ja keine Vorstellung von drahtloser Computertechnik und diesen Dingen. Während sie versuchen zu verstehen, wie das funktioniert, gucke ich, ob es bei ihnen eine intuitive Herangehensweise gibt, die zur Entwicklung besserer Schnittstellen auch für Erwachsene führen könnte."

Drahtlose Übertragung, Sensoren und Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine, das Kinderspiel mit der klingenden Kleidung dreht sich um die zentralen Begriffe der Computerentwicklung. Immer kleinere Rechner werden immer häufiger untereinander vernetzt.

Und winzige Sensoren sorgen dafür, dass sich Mensch, Umwelt und Maschine auch ohne Tastatur und Bildschirm verstehen. Unter den Begriffen Pervasive oder Ubiquitous Computing – also durchdringende oder allgegenwärtige Computerkraft – wird weltweit an einem solchen Internet der Dinge gearbeitet. Noch ist das vor allem Grundlagenforschung, aber die ein oder andere praktische Anwendung fällt auch schon ab.

Zum Beispiel für eine Karateschule in Tokio. Yutaka Sakane ist nicht nur Karatemeister. Als Informatiker hat er an der Shizuoka Universität ein technisches Hilfsmittel entwickelt, das seine Karateschüler beim Erlernen der korrekten Bewegungsabläufe unterstützt:

"Das System registriert die Bewegung, sammelt und analysiert diese Daten. Wenn sich der Schüler bewegt, ertönt ein Klang. Und anhand dieses Klanges kann er seine Bewegung verbessern."

Nur wenn der Karateschüler den Schlag richtig ausgeführt hat, bekommt er einen Wohlklang zu hören. Schlägt er falsch, tönt es schräg. Dann kann er sich am Bildschirm eine Videoaufzeichnung seines Schlags ansehen, in die die ideale Bewegung eingeblendet wird. Das klingt simpel, ist jedoch überhaupt nicht einfach zu programmieren. Weltweit befassen sich ein knappes Dutzend Universitäts-Institute mit Pervasive Computing. Friedemann Mattern leitet in Zürich das älteste von ihnen:

"Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, aus den Massen von Daten, die wir nun automatisch bekommen von Sensoren, aus denen nun eine sinnvolle Information zu machen. Die Daten alleine sind es ja nicht, sondern man möchte ja daraus Informationen gewinnen, in welcher Situation man ist, was genau vorliegt, damit man auf intelligente Art automatisch reagieren kann."

Am Anfang steht das spielerische Ausloten der neuen Möglichkeiten. Doch später soll Pervasive Computing Menschen in fast allen Lebenslagen unterstützen.

"Altenpflege zum Beispiel. Ältere Leute, die autonom sind, autonom bleiben wollen, aber Schwierigkeiten haben, dort kann man die Technik gut einsetzen, um zu beobachten, ohne dass die Personen sich selbst zu sehr beobachtet fühlen, ob das Leben noch gut vorangeht. Also die kleinste Sensortechnik verbunden mit drahtloser Kommunikation ermöglicht es, Leuten selbständig noch zu sein und dennoch in gewisser Weise überwacht zu werden."

Diabetikern wird eine vollautomatische Einstellung ihres Insulinhaushalts versprochen, ambulant Operierten eine ferngesteuerte Nachbetreuung und Gelähmten künstlicher Ersatz für Nerven und Muskeln. Für die einen klingt das verlockend, für die anderen bedrohlich.

"Pervasive Computing wird das Leben sicherlich bequemer machen auf eine Art. Man muss sich um viele Dinge nicht mehr kümmern. Dann tritt auch so eine Art Abstumpfungseffekt ein: Man lässt die Technik einfach gewähren. Diese Entscheidung, ob wir eine Information erhalten wollen oder nicht, wird an ein automatisches System abdelegiert, dem wir vertrauen müssen. Wenn es gut funktioniert, ist es gut für uns, wenn es schlecht funktioniert, haben wir kaum noch Kontrolle darüber."

Andreas Köhler gehört zu den Autoren der ersten Studie über gesellschaftliche Chancen und Gefahren des Pervasive Computing. Auch wenn die Entwicklung noch ganz am Anfang steht, so kann er doch bereits eine grundlegende Forderung an die Entwickler der allgegenwärtigen Computernetze benennen.

"Die Hersteller müssen dafür sorgen, dass die Benutzer in der Lage sind, darüber zu entscheiden, welchen Betriebszustand sie einstellen wollen. Im simpelsten Fall bedeutet das, dass ein Computer auch einen Ausschaltknopf haben muss. Das ist immer weniger der Fall."